: Das Mädchen und die Mörder
■ Für die einen noch die Sissi, dient sie einer anderen jetzt als Beispiel für feministische Thesen. Heute wäre Romy Schneider 60 Jahre alt geworden
1969 drehte Romy Schneider in England den Film „Inzest“. Sie spielt darin eine Mutter, die ihren Sohn als Liebhaber mißbraucht, und darum zunächst dessen leiblichen Vater und später auch den Stiefvater tötet. Drei Jahre zuvor war die Schauspielerin selbst Mutter eines Sohnes geworden, den sie 1981, knapp ein Jahr vor ihrem eigenen Tod, auf tragische Weise verlieren sollte. Beim Überklettern eines schmiedeeisernen Zaunes spießte sich der 14jährige David selbst auf und starb an den Verletzungen. „David ist alles, was ich liebe“, sagte Romy Schneider, als sie von dem Unfall erfuhr. Einige Jahre zuvor, nach ihrer Trennung von dem Theaterregisseur, Schauspieler und Vater ihres Sohnes, Harry Meyen, sprach sie einmal von dem „Liebesverhältnis“, daß zwischen ihr und David bestehe.
Interessanterweise spielt „Inzest“ in der gerade erschienenen Romy-Schneider-Biographie von Alice Schwarzer keine Rolle. Dabei macht sie das Thema des sexuellen Mißbrauchs zum Dreh- und Angelpunkt ihres Porträts der Schauspielerin. „Il a essayé de coucher avec moi. Et pas seulement une fois.“ Er habe versucht, mit ihr zu schlafen, und das nicht nur einmal, hatte ihr Romy Schneider 1976 in Köln aufs Tonband gesprochen, vor 22 Jahren, als die beiden Frauen das einzige Mal zusammentrafen. Da redete Romy Schneider mit der selbsternannten deutschen Expertin für Frauenbewegung und Frauenbefreiung über ihren Stiefvater Hans Herbert Blatzheim. Als 1977 die erste Emma mit einem Porträt Romy Schneiders erschien, schwieg Schwarzer über diesen Punkt noch. Statt dessen war dort zu lesen: „Ich glaube, Männer haben immer versucht, sie zu erniedrigen, weil sie Angst vor ihrer Stärke haben müssen.“ 21 Jahre später packt Alice Schwarzer aus. Und versucht an Romy Schneider noch einmal die Geschichte der Frauenemanzipation zu exemplifizieren.
Allerdings liest man in Schwarzers Buch nichts, was nicht auch schon Michael Jürgs in seiner Biographie neun Jahre nach Romy Schneiders Tod geschrieben hat. Seien es die sexuellen Übergriffe des Stiefvaters, sei es der naheliegende Verdacht, die Mutter, Magda Schneider, hätte ein Verhältnis mit Adolf Hitler gehabt, oder Romy Schneiders angebliche Bisexualität – nichts davon ist neu, es steht jetzt nur im Kontext eines 70er-Jahre-Feminismus, der heute keine Alice mehr ins Emma-Wunderland lockt.
„Romy verkörpert den Konflikt der modernen Frau. Sie wollte alles, die Schauspielerei, Mann und Kinder“, meint Alice Schwarzer, „sie ist die Rebellion und Unterwerfung zugleich.“ Einen Kübel voll Häme hätte man ihr aus Deutschland hinterhergegossen, als sie mit Delon 1959 durchbrannte, schreibt Schwarzer und verbucht Romy Schneider letztlich doch selbst als „Verhinderin“ in der Frauenbewegung ab. Kaum ein Wort verliert sie über die Schauspielerin, abgesehen von der Vergewaltigungsszene in dem Film „Das alte Gewehr“, der ihr als Pfandstück für den sexuellen Mißbrauch durch den Stiefvater dient.
„Diese Biographie ist das Zynischste, was ich je über Romy Schneider gelesen habe“, sagt Christiane Höllger, die einzige Freundin, die Romy Schneider all die Jahre in Deutschland hatte. „Sie spricht Romy Schneider jegliche Liebesfähigkeit ab“, erklärt sie, doch sei das nicht das einzig Ärgerliche an dem Buch. Christiane Höllger fühlt sich vor allem aus einem Grund verletzt: „Alice Schwarzer hat Prosatexte aus meiner Filmerzählung abgeschrieben und sie zu Dokumentarmaterial gemacht, ohne mich zu fragen. Wenn sie jetzt sagt, Romy Schneider hätte auch Schriftstellerin werden können, ist das für mich persönlich reinste Ironie.“ Die Freundin läßt die rechtlichen Möglichkeiten einer Klage gegen Schwarzer prüfen, Michael Jürgs will nichts unternehmen: „Das ist schließlich Alice Schwarzers Problem, wenn sie die Hälfte aus meinem Buch abschreibt.“ Auf ihrer „PR-Maschine, die prima läuft“, will er nicht mitrollen.
Romy Schneider war 43 Jahre alt, als sie in ihrer Pariser Wohnung am Schreibtisch saß und ihr Herz aufhörte zu schlagen. Heute wäre sie 60 Jahre alt geworden, und die Vermarktung ihres Lebens läuft tatsächlich prima. In Österreich, wo Romy Schneider in Wien am 23. September 1938 als Tochter der Schauspieler Magda Schneider und Wolf Albach-Retty geboren wurde, wird sie mit dem 100. Todestag der Kaiserin Elisabeth im Doppelpack verkauft, denn seit dem ersten „Sissi“-Film im Jahr 1955 ist Romy Sissi – zumindest für eine große Anzahl von Menschen. Und so wird auch an diesem Geburtstag am Mythos Romy Schneider weitergestrickt.
Jeder weiß besser, warum ihr das Herz so früh den Dienst versagte. Für die einen war es das Image der Sissi, das ein Leben lang an ihr wie „Griesbrei“ klebte und ihr eine Rückkehr von Frankreich nach Deutschland unmöglich machte. Für die anderen war es der Mief der Adenauer-Ära, der frühzeitig in den Berliner Filmstudios eine „Shirley Tempelhof“ aus ihr formte. Eine private Romy Schneider gab es nicht. Die einen geben der Mutter die Schuld, die die 14jährige Tochter vom Internat vor die Kamera holte und noch nach ihrem frühen Tod vermarktete, die anderen dem Stiefvater Blatzheim, der sich am Wirtschaftswunder der Stieftochter, ihren Gagen und ihrem Körper gesundstieß. Sein „wohlriechender, süßer Marzipanengel“ machte ihn zum Platzhirsch in der Gastronomie im Nachkriegsdeutschland, auf ihre Kosten servierte er in seinen Restaurants „Hühnerbrust à la Romy“. In der Filmbranche nannten ihn alle nur „das Brechmittel, das Romy Schneider vertritt“.
Und dann waren da noch der Alkohol und die Tabletten, und sie wäre nicht der einzige Star, der daran zugrunde gegangen ist. „Live fast, die young“, damit hielt's auch Romy Schneider, als sie noch jung und verliebt in Alain Delon war: „Es ist besser, kurz und schön, als lange und in Maßen zu leben.“ Ob sie ein schönes Leben hatte? Noch zu ihren Lebzeiten wurde keine Gelegenheit ausgelassen, Nabelschau zu betreiben. Als sich das Produkt Sissi in Frankreich das erste Mal nackt vor Viscontis Kamera in dem Film „Boccaccio 70“ auszieht, wird Romy Schneider entjungfert. „Sie hat das Zeug, die größte Hure seit den Zeiten der Ptolemäer zu spielen“, schreibt die Times, ihre Männer werden gezählt, später auch die Wein- und Champagnerflaschen in ihren Garderoben und Einkaufskörben, die sich in knapp 30 Jahren in 59 Filmen angesammelt haben. Nach ihrem Tod verlegen sich die Biographen aufs Brainspotting. Jeder meint nun, nicht mehr den Flaschen, sondern ihrer Seele auf den Grund gehen zu müssen.
Am wenigsten wird noch über ihre Filme gesprochen. Nicht über „Das Mädchen und der Kommissar“, Lily, die Prostituierte im schwarzen Latexledermantel mit Samtband um den Hals und doch ganz Girlie, supercool und witzig, das weiß, was es will. Und auch über ihre Rolle in „César und Rosalie“ redet niemand mehr, über eine Frau zwischen zwei Männern, die sie in einer kaum zu übertreffenden leidenschaftslosen Leidenschaftlichkeit spielt.
Und es ist auch nicht nur das anhaltende 60er- und 70er-Jahre-Revival, das die kammerspielartige Inszenierung der drei Figuren – Vater, Mutter und Sohn – in „Inzest“ auch noch heute kultfähig macht. Jamie und seine Mutter, die „Chelseabiene“, das sind nicht die Heroinfreaks von „Trainspotting“ aus dem Glasgower Arbeitslosenproletariat, sondern eben die Landhaussurrealisten der Upper class mit Hang zur Haltlosigkeit. Dann ist es vor allem der blitzartige Wechsel, den Romy Schneider als Mutter von der Verführerin zur Gespielin, zur liebenden Ehefrau, zur Taktiererin, schließlich zur Mörderin vollziehen kann, der einen vor der Leinwand bannt.
Nie war sie schöner, besser, hieß es nach ihrem endgültigen Durchbruch in den 70ern in Frankreich beinahe nach jedem ihrer Filme auch in Deutschland. Nie war sie so gut wie heute! „Ich habe mich daran gewöhnt, seit meinem 17. Lebensjahr wie eine Ware beliebig verkauft und verpackt zu werden“, sagte Romy Schneider einmal dazu. Aber auf ihre Vermarktung konnte sie nach Höllger auch anders reagieren: „...nicht mal als Alge der Erinnerung werd' ich auf dem Grund eurer Donau liegen. Selbst da, wo sie am tiefsten ist, werd' ich noch einen Stein drauftun, bis sie keinen Zipfel mehr von mir finden, eure Scheißenkel.“
In „Inzest“ legt Romy Schneider immer wieder eine Platte auf. „What's on your mind? What will you say?“ heißt es im Refrain. Was denkst du, was wirst du sagen? Eine Antwort bekommt sie nie und von ihr auch niemand anderer mehr. Jürgs sagt von seiner Biographie: „Es ist die Annäherung, aber bestimmt nicht die ganze Wahrheit.“ Heute liegt Romy Schneider begraben auf dem Friedhof von Boissy sans Avoir. Nicht auf dem Grund der Donau, aber unter ihrem Mädchennamen Rosemarie Albach. Und den Enkeln bleiben ihre Filme. Das ist wahr. Petra Welzel
Literatur: „Romy Schneider – Ein Leben in Bildern“. Henschel Verlag, 39,90 DM; Michael Jürgs: „Der Fall Romy Schneider. Eine Biographie“. Rowohlt, 14,90 DM; Alice Schwarzer: „Romy Schneider. Mythos und Leben“. Kiepenheuer & Witsch, 36 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen