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Das Leid der Zwangsarbeiter„Menschen wie Fleischwaren gehandelt“

Briefe sowjetischer Kriegsgefangenen in Nazi-Deutschland sind erschütternde Zeugnisse. In einer Lesung werden sie in Bremen vorgestellt

Sowjetische Kriegsgefangene im Lager, August 1942 Foto: (Bundesarchiv)
Interview von Lea Schweckendiek

taz: Herr Heckmann, was hat es mit den sogenannten Freitagsbriefen auf sich?

Martin Heckmann: Die Briefe erzählen die Geschichten von ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen, die in Deutschland Zwangsarbeit leisten mussten, von ihren Arbeitsbedingungen und Lebensumständen.

Wie sind diese Briefe entstanden?

Der russische Verein Kontakte-Kontakty e.V. hat seit 2006 in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion nach Überlebenden dieser Zeit gesucht. Das war nicht einfach, bedenkt man, dass die Zeit der Zwangsarbeit über 60 Jahre zurück lag und viele Überlebende bereits gestorben waren. Die Zeitzeugen haben dann ihre Geschichten aufgeschrieben und immer zum Freitag veröffentlicht.

Im Interview: Martin Heckmann

59, ist Schauspieler, freier Sprecher und Rezitator.Am Mittwoch (17.10.) veranstaltet er ein Szenische Lesung mit Briefen sowjetischer Kriegsgefangener, um 19 Uhr im Bürgerhaus Vegesack in Bremen.

Wie sehen die Geschichten aus?

Die Berichte sind ziemlich grausam. Es gab furchtbare Bestimmungen, wie mit den Gefangenen umzugehen war – etwa eine systematische Unterernährung und drakonische Bestrafungen sind dort festgeschrieben. Vor allem aber der rassistische Aspekt sollte beachtet werden: Die Kriegsgefangenen slawischer Herkunft wurden aufgrund ihrer „Minderwertigen Abstammung“ von anderen Gefangenen getrennt und wesentlich schlechter behandelt als etwa englische, französische oder amerikanische Gefangene. Der Zwangseinsatz sowjetischer Gefangener in der Industrie und der Umgang mit ihnen erinnert mich, makaberer Weise, immer wieder an die heutige Massentierhaltung. Die Menschen wurden wie Fleischwaren gehandelt, als Menschenmaterial gerade so am Leben gelassen, um zu arbeiten.

Mit welchen Emotionen arbeitet die Lesung?

Am Ende der Lesung bleibt vor allem eine Fassungslosigkeit im Publikum. Nach dem Ende vergehen in der Regel Minuten der Stille. Das ist auch gut so, denn es braucht einen Raum, um das Gehörte zu verarbeiten. Während der Lesung machen wir keine Pause. Ich finde den Gedanken, sich zwischen diesen Briefen mal eben eine Cola zu holen und sich zurück in den weichen Stuhl fallen zu lassen, unpassend – die Menschen konnten ja damals auch nicht weg. Das Thema soll, so muss man es sagen, dem Publikum schmerzhaft nahe kommen. Und das tut es auch.

Szenische Lesung mit Briefen sowjetischer Kriegsgefangener: Am Mittwoch (17.10.) um 19 Uhr im Bürgerhaus Vegesack in Bremen.

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