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Das Land in Unruhe versetzen

Wolfgang Clement kann das Gejammer nicht mehr hören. Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister fährt jetzt selbst vierzehn Tage lang durchs Land und sucht in Unternehmen nach Lehrstellen  ■ Von Walter Jakobs

Es war bisher ein mühsamer Tag. Doch dann kommt Heinz-Josef Blastik, und schon strahlen die Gesichter im kleinen Troß von Wolfgang Clement, der bis zum 16. Juli mit einem Bus durchs Land fährt – auf der Suche nach Lehrstellen. Endlich wieder ein „ermutigendes Beispiel“, diesmal aus der kränkelnden Baubranche. 18 zusätzliche Lehrstellen hat Bauunternehmer Blastik im Gepäck, drei davon stellt er im eigenen Betrieb zur Verfügung.

Es sind zumeist die kleineren Handwerker, die während der Clement-Tour Ausbildungsinitiativen entwickeln, die über den eigenen Betrieb hinausgehen. Den bisherigen Rekord hält der Troisdorfer Metallinnungsmeister D. Eubel: 121 neue Stellen trieb allein er in seiner Region auf. Nach fünf Tagen der weitaus größte Brocken unter den rund 500 zusätzlichen Ausbildungsplätzen, die die Clement-Helfer zusammen haben.

Mehr als ein erster Schritt zur Beseitigung des in diesem Jahr besonders dramatischen Lehrstellenmangels ist das gewiß nicht. Allein in Nordrhein-Westfalen suchen zur Zeit noch 42.000 Jugendliche einen Ausbildungsplatz. Ihnen stehen nur gut 25.000 unbesetzte Stellen zur Verfügung. Bundesweit suchen drei Monate vor Beginn des Ausbildungsjahres noch knapp 280.000 Auszubildende einen Betrieb – bei 111.700 freien Plätzen.

In Nordrhein-Westfalen steht Clement zusammen mit den Wirtschaftsverbänden und den Industrie- und Handwerkskammern bei den Jugendlichen im Wort: „Jeder junge Mensch in NRW, der ausgebildet werden will, wird ausgebildet“, lautet das Versprechen, das Politik und Wirtschaft im Rahmen des nordrhein-westfälischen „Ausbildungskonsenses“ abgegeben haben. „Diese Zusage gilt auch in diesem Jahr“, versichert Clement. Wer am Ende keine Lehrstelle im Betrieb findet, soll zumindest einen Platz in einer überbetrieblichen Ausbildungsstätte oder in einer Berufsvorbereitungsmaßnahme angeboten bekommen. Doch das sind für den umtriebigen Clement „Notlösungen“, über die er in diesen Tagen gar nicht sprechen mag, weil „es jetzt um zusätzliche betriebliche Plätze geht“.

Dafür will er das Land in „Unruhe“ versetzen, sucht er mit allen Mitteln die Ausbildungsmisere „zumindest in NRW zum Thema Nummer eins zu machen“. Im Gegensatz zur Bonner SPD setzt der Rau-Kronprinz dabei auf „Freiwilligkeit“ und lehnt jede „Zwangsabgabe“ ab.

Während Bündnisgrüne und Jusos in Nordrhein-Westfalen mit Blick auf den „Ausbildungskonsens“ unisono vom „Ausbildungsnonsens“ reden, und DGB-Vorstandsmitglied Regina Görner am Dienstag erneut eine staatliche Ausbildungsplatzabgabe forderte, hält Clement an seinem Kurs der „Freiwilligkeit“ unbeirrt fest. Sein Credo: „Wir müssen die politische Phraseologie hinter uns lassen und die vernünftigen Leute an einen Tisch bringen. Dann können wir die Probleme auch dauerhaft lösen.“ Statt sich in Grundsatzdiskussionen zu verzetteln – etwa über den zweiten Berufschultag, den Bildungsminister Rüttgers abschaffen will – wirbt er für differenzierte Modelle, um zu ändern, worüber sich manche Kleinbetriebe beklagen: Daß die Lehrlinge oft nicht im Betrieb sind. So können etwa in saisonabhängigen Berufszweigen die Berufsschulen künftig in Zusammenarbeit mit den Kammern den Unterricht je nach Bedarf stark flexibilisieren: Blockunterricht ist dabei ebenso vorgesehen wie vollständig berufsschulfreie Wochen.

„Ich wußte gar nicht, daß das möglich ist“, wundert sich Peter Bierwirth, Mitglied des Vorstandes der „Dorinth“-Hotelgruppe, die in Deutschland 650 Jugendliche ausbildet. Wenn solche Differenzierungen möglich würden, so Bierwirth, dann „erhöhen wir unsere Ausbildungsrate um zehn Prozent“.

„Weg von den eingefahrenen Gleisen“ will Clement – und diese Botschaft kommt bei den Unternehmern an. Etwa bei dem Sprecher der Geschäftsleitung der Krefelder Maschinenfabrik Voith/Sulzer, Dr. Kurth. Von den 482 Beschäftigten am Krefelder Unternehmensstandort sind 40 Auszubildende. Würden mehr Betriebe eine solche Ausbildungsquote (8,3 Prozent) erreichen, das Problem wäre bald gelöst.

Auf Tatmenschen wie Kurth, der „das ewige Standortgejammer“ seiner Managerkollegen „nicht mehr hören kann“, setzt Clement. „Barrieren“, so Kurth, gelte es nicht nur in der Politik abzubauen: „Wir können in Deutschland phantastisch Maschinen bauen, und das ist keine Frage der Löhne oder Lohnnebenkosten, sondern in erster Linie eine Frage der Organisation.“ Das „Gejammer hilft uns überhaupt nicht weiter. Wir müssen weg von der Schwarzmalerei. Dann kriegen wir die Sachprobleme auch gelöst.“

Erstaunliche Selbstkritik hört man überall. Am Dienstag, beim „Ausbildungsstammtisch“ mit Unternehmern und Funktionären in einem Duisburger Hotel, klingt das ähnlich: „Wir müssen alle weniger reden und mehr tun. Wir müssen unsere soziale Verantwortung wahrnehmen“, appelliert Wolfgang Gaßmann, Klimatechnikproduzent aus Neukirchen- Vluyn an die Runde. Daß solche Appelle fruchten, darauf setzt Wolfgang Clement. 100.000 Menschen unter 25 Jahre sind allein in Nordrhein-Westfalen arbeitslos. Die meisten von ihnen haben keine Ausbildung. Das hält, davon ist der sozialdemokratische Pragmatiker zutiefst überzeugt, „kein demokratischer Staat auf Dauer aus. Deshalb turne ich hier rum.“

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