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Archiv-Artikel

„Das LSD ist zu mir gekommen“

LSD-Entdecker Albert Hofmann ist am Dienstag im Alter von 102 Jahren gestorben. taz-Autor Mathias Bröckers hat den Chemiker und Bewusstseinsforscher noch vor wenigen Wochen besucht. Ein Nachruf

DAS IST LSD

Voller Name: Lysergsäurediäthylamid Abstammung: LSD ist ein Derivat des hochgiftigen Mutterkorns, gehört zur Gruppe der serotoninverwandten psychedelischen Substanzen. Bedeutung: gilt als einer der wirkungsvollsten Pharmastoffe überhaupt. Wirkung: Ein Gramm soll genügen, um 10.000 bis 20.000 Menschen für zwölf Stunden in einen Rauschzustand zu versetzen.

Wenn man sich von einem sehr alten und lieben Menschen verabschiedet, ist jedes Mal ein bisschen Angst dabei, dass man sich vielleicht nicht mehr wiedersieht. Bei den Abschieden von Albert Hofmann in den letzten Jahren verspürte ich aber immer nur einen ganz leisen Anflug davon, denn die Lebendigkeit und die mentale Fitness dieses uralten Mannes ließen gar nicht an einen Abschied für immer denken. Genauso wenig wie seine Frische und Schlagfertigkeit am Telefon, etwa als ich ihm vergangenen Oktober dazu gratulierte, bei einer Umfrage in England zum größten lebenden Genie gewählt geworden zu sein: „Ach, ich bin es doch nicht, der gewählt worden ist, es ist das LSD.“ Aber gefreut hat er sich trotzdem, so wie er sich immer noch richtig ärgern konnte – über schlechte Artikel, falsche Zitate, schlampige Wissenschaft.

Seine wichtigste Entdeckung freilich verdankt sich einer kleinen Schlamperei im Labor. Bei einer Frühstückspause im April 1943 hatte er die Eingebung, eine schon fünf Jahre zuvor hergestellte Verbindung des Mutterkorn-Wirkstoffs Lysergsäure erneut zu produzieren – und absorbierte dabei versehentlich einige Millionstel Gramm, die zu erstaunlichen Bewusstseinsveränderungen führten.

Eine derart wirksame Substanz war in der ganzen Pharmakologie bis dahin nicht bekannt, sodass Dr. Hofmann am Tag darauf mit einer vielfachen Überdosis einen Selbstversuch ausführte. Da LSD weitestgehend untoxisch ist, führte dies zu keinen körperlichen Schädigungen, aber zu einem Horrortrip, bei dem sich Realität und Ich völlig auflösten und er glaubte, wahnsinnig geworden zu sein. Als die Wirkung jedoch etwas nachließ und die gewohnte Wirklichkeit zurückkehrte, schien sie strahlender, leuchtender, lebendiger. So wie ihm jetzt die Natur vorkam, hatte er es schon einmal erlebt, als 11-Jähriger bei einem Gang durch einen Sommerwald auf dem Martinsberg bei Baden. Damals war seine Neugier entstanden, dem Geheimnis dieser strahlenden Natur, deren Teil er war, auf die Spur zu kommen.

Aus armen Verhältnissen stammend, paukte er neben der Kaufmannslehre Latein, ein Pate bezahlte das damals kostenpflichtige Gymnasium. Nach einem Chemiestudium in Zürich trat er 1929 in die Abteilung Naturstoffe der Baseler Sandoz-Werke ein, die er bis zu seiner Pensionierung 1971 leitete. In dieser Zeit erforschte er zahlreiche Arzneiwirkstoffe, von denen einige bis heute Standardmedikamente sind, wie das in der Geburtshilfe eingesetzte „Methergin“. Für seine grundlegenden Forschungen, die in über 140 Arbeiten dokumentiert sind, erhielt Albert Hofmann zahlreiche internationale Preise und Ehrendoktorate.

Die Entdeckung des LSD – sowie des Psylocibin, des Wirkstoffs der mexikanischen Zauberpilze – machte sein Werk weit über die Gebiete der Pflanzenchemie und Pharmakologie hinaus von Bedeutung, allen voran für die Neurowissenschaften und Bewusstseinsforschung. Abgesehen von den US-Geheimdiensten, die in den 50er-Jahren ebenso üble wie erfolglose Experimente veranstalteten, indem sie Ahnungslosen LSD verabreichten, erwies sich die Substanz für Ärzte und Psychiater als vielversprechend.

Zahlreiche Forschungsberichte über den Erfolg von LSD-gestützter Therapie, etwa bei der Behandlung „aussichtsloser“ Fälle von Autismus oder Alkoholismus, erschienen. In der analytischen Psychotherapie erwies sich „Delysid“, so der Markenname des Medikaments, als geeignetes Werkzeug zur Freisetzung verdrängter oder blockierter seelischer Inhalte.

Enthusiasten wie der Autor Ken Kesey („Einer flog übers Kuckucksnest“) oder der Harvard-Professor Timothy Leary („Tune in, turn on, drop out“), die den LSD-Gebrauch ab Anfang der 60er-Jahre als Mittel seelischer Entspannung und Selbsterkenntnis propagierten, sorgten mit der Popularisierung für das Totalverbot der Substanz im Jahr 1967. In seinem Buch „LSD – mein Sorgenkind“ hat Albert Hofmann den Weg seiner Entdeckung von der Wunderdroge zur illegalen Substanz beschrieben, deren weitere Erforschung über Jahrzehnte nur noch im Untergrund möglich war.

Dass nach vier Jahrzehnten jetzt in der Schweiz wieder eine Genehmigung für die LSD-Therapie von Schwerkranken und Sterbenden erteilt wurde, bezeichnete er an seinem 102. Geburtstag am 11. Januar 2008 als „das größte Geschenk überhaupt“. Über all die Jahre des Verbots hatte er stets dafür plädiert, LSD als sakrale Substanz einzustufen und seine Verwendung im geeigneten Rahmen wieder zuzulassen.

Wie alle großen Naturforscher war auch Albert Hofmann bei seiner immer tieferen Erforschung der Bausteine der Natur auf immer größere Geheimnisse gestoßen und über die messende, rechnende Erkundung der Materie an jene Grenze gelangt, an der das Unfassbare beginnt: der Geist. Keine andere Entdeckung der Wissenschaft markierte diesen Übergang von Geist und Materie so genau wie LSD. Die materielle Substanz eines Staubkorns reicht seitdem aus, um die Wahrnehmung dessen, was wir für Wirklichkeit, Materie, halten, völlig zu verändern und mit Zusammenhängen konfrontiert zu werden, die unsere Verständnisfähigkeiten überschreiten: „Wer als Naturwissenschaftler kein Metaphysiker wird, ist kein Naturwissenschaftler“ – diese Aussage Albert Hofmanns war mehr als ein Bonmot, und er war bis zum Schluss beides: strenger, exakter Wissenschaftler und ein metaphysischer Weiser, der in seinem philosophischen Buch „Einsichten, Ausblicke“ den Begriff Evolution auf die kürzestmögliche Formel brachte: „Licht, Leben, Liebe“.

Die Beatles, die ihm einst ein signiertes Exemplar ihrer „Sgt. Pepper“-LP zuschickten, beantworteten damit die offiziell ungeklärte Frage, was mit „Lucy in the Sky with Diamonds“ gemeint sei, doch Albert Hofmann hat sich damit stets ebenso wenig gebrüstet wie mit den zahlreichen Dankesschreiben, die er von anderen berühmten Künstlern und Kreativen erhielt. Als er bei seinem letzten Vortrag in den USA Mitte der 90er-Jahre wie ein Popstar mit tosendem Jubel empfangen wurde, brach er diese Ovationen sogleich ab: „Danke, meine Damen und Herren, ich bin doch nur ein kleiner Schweizer Chemiker…“

Das war keine gespielte Bescheidenheit, denn er hat immer wieder betont, dass sein Zutun bei seiner großen Entdeckung gering war: „Das LSD ist zu mir gekommen.“ Wenn dem so ist, dann hätte sich dieses mächtige Werkzeug zur Erkundung des Weltraums der Seele keinen besseren Pionier auswählen können als einen so durch und durch bodenständigen und soliden Wissenschaftler, der nicht nur über ein höchst kompetentes Hirn, sondern auch über ein riesiges Herz und großen Humor verfügte.

Seine feste Überzeugung war, dass im ganzen Universum nichts verlorengeht: „Es gibt kein Ende, es gibt nur ständige Wandlung, Transformation.“ Vier Monate nachdem seine Frau Anita nach fast 75 Jahren Ehe im Dezember friedlich eingeschlafen ist, setzt Albert Hofmann diese Symbiose jetzt in gewandelter Form fort. Als ich ihn vor einigen Jahren bei einem Gang durch seinen Garten – eine große Almwiese, auf der er jeden Halm, jede Blüte, jeden Schmetterling kannte – nach der Angst vor dem Tod fragte, zeigte er auf die Wiese und lächelte: „Ich bin doch ein Teil von all dem Leben hier und werde es immer bleiben.“ Auch seine Entdeckung wird für immer bleiben – und der Nachwelt der wichtigste Wunsch dieses großen Wissenschaftlers: „Durch einen Bewusstseinswandel im einzelnen Menschen die Voraussetzungen schaffen für eine bessere Welt.“