■ Das Herz der rot-grünen Regierung ist noch nicht eingetaktet: Infarktgefahr im Kanzleramt
Das Hin und Her der rot-grünen Regierungspolitik hat zwei Ursachen. Das Durcheinander ist – erstens – publizistisch vollkommen überhöht. Eine 100 Tage währende Schonfrist etwa, die sonst selbst völlig eingeschlafenen Kabinetten zusteht, durfte die Regierung Schröder nicht genießen. Sie hat, kaum im Amt, einen Sixpack säkularer Reformen vorgelegt: Abkehr vom Blutrecht, Ausstieg aus der Atomenergie, die Vereinfachung des Steuerrechts und seine Fokussierung auf Familien, die Gesundheitsreform und die der Renten sowie die Ausbildungsförderung für jedermann – das ist ein sehr ambitioniertes Programm. Dabei in Fährnisse zu geraten ist ganz normal.
Daß die von Interessierten so massiv geschürte Kritik an Rot-Grün tatsächlich verfängt, hat indes einen – zweiten – Grund: Die Regierungsmaschine schwächelt am Herzen. Das Kanzleramt ist es, das nicht funktioniert. Dort sind neben dem Manager Gerhard Schröder ein Haufen weiterer Leute eingerückt – aber keiner, der den Laden koordiniert. Regierungssprecher Heye verkauft seinen Schröder so gut, wie er ist: Der kleine Kanzler kommt mit dem Auf-den-Tisch- Hauen stets groß raus. Mehrfach aber hat Schröder die Karte „Chefsache“ gezogen, ohne daß dies bereits nötig gewesen wäre. Schuld daran sind die beiden Leute, die qua Amt die Regierungszentrale leiten sollen: Hombach und Steinmeier. Der politische Chef, Hombach, sieht nur aus wie ein Leuchtturm. An Überblick kann er dem anerkannten Profi Steinmeier nicht das Wasser reichen. Der ist bloß der Verwaltungsleiter jener Behörde, die zwischen den Koalitionspartnern und den Fachministerien koordinieren – und die rot-grüne Politik publikumswirksam verkaufen soll. Nichts davon ist erfüllt. Im Gegenteil: Es gibt keine Regierungspanne, die nicht auch dem Kanzleramt zuzuschreiben wäre.
Ausgerechnet in diesem Moment wollen die Grünen Fritz Kuhn auf die rot-grüne Steuerbrücke schicken. Ihr habt ja so recht, möchte man ihnen zurufen, aber es ist zu spät! Klar hätte ein Macher vom Kaliber Kuhns der politischen Koordination gutgetan. Keine wichtige Sache wäre an ihm vorbeigelaufen, ohne den grünen Stempel zu bekommen. Bloß: Wie soll man Kuhn jetzt noch organisatorisch einbauen? Wer soll für ihn weichen? Nein, der Kopf der Regierung ist schon aufgebläht genug. Man muß nicht noch mehr Personal hineinbeordern. Das Duo Hombach/Steinmeier muß endlich im Duett singen. Oder es muß ein Bypass gesetzt werden, um die beiden zu umgehen. Sonst droht Rot-Grün der Infarkt. Christian Füller
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