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Das Grünzeug ist immer grün

Was sich immer richtig anhört, muß nicht immer richtig sein: Auch die Münchner Bayern sind mal unclever, gewinnen aber trotzdem 3:2 beim VfL Bochum  ■ Aus Bochum Christoph Biermann

Das Gras ist grün, und der FC Bayern ist kühl, clever, berechnend, abgezockt. Und weil das so tief im Bewußtsein aller verankert ist, ist es auch so, wenn es nicht so ist. „Die Bayern waren einfach cleverer“, meinte also Thomas Stickroth, Libero beim VfL Bochum und sonst eigentlich eher ein Mann für analytische Präzision. „Die Bayern sind unheimlich abgezockt“, sekundierte also auch sein Mannschaftskamerad Mirko Dickhaut bei der Betrachtung des 3:2-Sieges der Münchner im Ruhrstadion. Das hört sich immer richtig an, stimmte allerdings überhaupt nicht. Von Berechnung und Coolness der Bayern war so viel zu sehen, wie Grün auf einer frisch umgegrabenen Wiese. „Wir haben in der zweiten Halbzeit viel gelitten“, stöhnte Giovanni Trapattoni, der auf der Trainerbank dieses Leiden mit den schönsten Grimassen illustriert, pausenlos auf alles und jeden eingeredet und veitstanzend wild gestikuliert hatte. Für sein Team ohne Matthäus, Strunz, Rizzitelli und den früh verletzt ausgewechselten Elber wurde es ziemlich eng. Im Tohuwabohu der letzten halben Stunde quälte den rippengeprellten Thomas Helmer zudem verzweifelt die Atemnot: „Ich konnte nicht schreien und damit die Abwehr organisieren.“ Und während die Bochumer zum Schluß mit einem halben Dutzend Offensivspielern das Tor der Bayern berannten, vergaben die Münchner aufs hitzigste die besten Kontermöglichkeiten. Carsten Jancker, der sich dabei ganz besonders profilierte, wußte am Ende schon gar nicht mehr, in welchem Wettbewerb er sich befand: „Wir haben zwar die Chancen versiebt, sind aber trotzdem weitergekommen.“

Pokal, Bundesliga, Europapokal, wer soll da im Fußball-Dauerbetrieb auch noch durchblicken. „Bei der Belastung kann man nicht mehr erwarten“, sagte Uli Hoeneß und meinte selbstverständlich nicht Janckers mangelnde Orientierung, sondern die Leistung seiner Mannschaft. Also jubelte der Bayern-Manager einfach mit und sprach wie alle von „super Stimmung und super Spiel“. Was es auch war, weil es eben so wenig kühl und abgezockt war, sondern aufgedreht und auf beiden Seiten von Fehlern nur so wimmelte. So verlor Mario Basler in der eigenen Hälfte den Ball und leitete damit das Bochumer 1:0 in der 17. Minute ein. „Bei eigener Führung wollten wir hinten sicher stehen und die Bayern brutal auskontern“, sagte Klaus Toppmöller. Aber die Coolness-Vorgabe des Bochumer Trainers hielt nur sechs Minuten, dann glich Basler („So was kann ich von Mario doch erwarten“, meinte Oliver Kahn) per glücklichem Fernschuß wieder aus. Weitere zehn Minuten später kassierte der VfL sein in dieser Saison obligatorisches Freistoßtor, und Mario Basler machte sich damit zum Spieler des Tages. Nach zehn Tagen ohne Training und von einer Erkältung geplagt, „wußte ich morgens selbst nicht, daß ich spielen würde“. Giovanni Trapattoni setzte ihn trotzdem ein – die Erklärung dafür allerdings blieb in den Nebeln seines italo-alemannischen Kauderwelsches verborgen. Vielleicht war das ja Cleverness.

Nach 55 Minuten durfte Basler gehen, 63 Sekunden später erzielte der für ihn eingewechselte Alexander Zickler das 1:3 – nach einem Freistoß natürlich. „Die haben eigentlich kein Tor aus dem Spiel heraus erzielt“, maulte Stickroth. Aber irgendwie kam der VfL, „die leidenschaftlichere und bessere Mannschaft“ (Toppmöller), mit seinen Vorhaben hinten und vorne nicht hin. „Die Bayern hatten zuletzt so schlecht gespielt, wir wollten ihnen als erste einen auf die Mütze geben“, sagte Dariusz Wosz. Den letzten Anlauf dazu stoppte dann Torsten Kracht, dessen Zweikämpfe mit dem glatzköpfigen Riesen Carsten Jancker Stoff für ein Wrestling-Programm geboten hätte. An seinem Geburtstag sah Kracht acht Minuten vor dem Abpfiff zum vierten Mal in nur 36 Bundesligaspielen die gelb-rote Karte.

So gewannen die Münchner die „schöne, große Partie“ (Trapattoni) mit Nüsternlänge. Und der inzwischen wieder zu Luft gekommene Thomas Helmer spähte bereits den 1. FC Kaiserslautern als ernsthaften Konkurrenten um den Meisterschaftsgewinn aus: „Am Anfang hat man vielleicht noch gelächelt, aber das ist bei denen nicht mehr allein Glück.“

FC Bayern München: Kahn – Helmer – Babbel, Kuffour – Basler (55. Zickler), Hamann (90. Lizarazu), Fink, Nerlinger, Tarnat – Elber (26. Scholl), Jancker

Zuschauer: 31.222 (ausverkauft)

Tore: 1:0 Gülünoglu (16.), 1:1 Basler (23.), 1:2 Basler (34.), 1:3 Zickler (56.), 2:3 Juran (64.)

Gelb-rote Karte: Kracht (82.) wegen wiederholten Foulspiels

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