: „Das Faß zum Überlaufen gebracht“
■ Morgen wird über die Schließung von acht Bücherhallen entschieden / Interview mit HÖB-Betriebsrätin Karin Werner
taz: Wie war die Reaktion in den Stadtteilen in den vergangenen Wochen auf die Schließungspläne?
Karin Werner: Als die am 15. Januar bekannt wurden, hatten wir ein mulmiges Gefühl. Wir fürchteten, daß aufgrund der allgemeinen Finanzsituation in der Bundesrepublik, die natürlich auch unsere Leser trifft, alle resigniert sind. Wir haben uns aber schnell eines Besseren belehren lassen. Es war fast so, als ob dies das Faß zum Überlaufen gebracht hätte. Es gab eine große Protestwelle, die von Tag zu Tag zunahm. Das persönliche Engagement einzelner Leser hat uns vollkommen überrascht.
Vor zehn Jahren gab es schon einmal Schließungspläne.
Damals gab es auch eine schwierige Finanzsituation in der Stadt. Doch es gab einen großen Unterschied zu den heutigen Plänen: Vor zehn Jahren kam die Initiative von Seiten der Kulturpolitiker, die zehn Bibliotheken schließen wollten. Damals hat sich der gesamte Protest der Bürger wie der Mitarbeiter gegen die Politiker gerichtet. Diesmal kamen die Schließungspläne ja von Seiten der Betriebsleitung.
Wie war die Kommunikation mit der Leitung in den vergangenen Wochen?
Es gab ja ein sogenanntes Beratungsgremium, in dem gewählte Vertreter aus den Bibliotheken saßen, die mit der Betriebsleitung über momentane und langfristige Themen diskutiert haben. Doch dieses Gremium fühlte sich total überrumpelt, als es mit den Schließungsplänen konfrontiert wurde. Freitag vor einer Woche haben die Kollegen, die sich veralbert vorkamen, die Arbeit niedergelegt.
Diese Ideen kommen also aus dem stillen Kämmerlein?
Mehr oder weniger. Genau die Bibliotheken, die jetzt zur Schließung vorgeschlagen sind, sind immer mal im Gespräch gewesen. Im Sommer gab es einen Vorstoß des alten Direktors Dr. Jochimsen der genau diese Bibliotheken zur Schließung vorgeschlagen hatte. Das war eine Planung, die er dem Verwaltungsrat vorzulegen versuchte. Das gelang damals nicht, weil die Senatorin es ablehnte, über diese Pläne zu reden.
Wie wurde denn nun die Auswahl der Bücherhallen getroffen?
Eigentlich gibt es keine fachlichen Begründungen für genau diese Standortschließungen. Das weiß auch die Betriebsleitung, das sagt sie auch. Doch es wird einfach argumentiert: „Wir sind so unter Finanzdruck, daß wir uns Standorte ausgucken müssen. Und diese acht liegen in Gebieten, in denen in relativer Nähe andere Stadtteilbibliotheken vorhanden sind, so daß zumindest die mobile Leserschaft mit Bus und Bahn die nächstgelegene Bücherhalle erreichen kann“.
Doch damit fallen die nicht-mobilen Leser weg, die nicht eben wenige sind. Und auch das entfällt, was früher Stadtteil-Bibliotheken ausmachte – nämlich für jeden leicht zu Fuß zu erreichen zu sein. Bei der zunehmenden Finanzmisere auch in Privathaushalten überlegen die Leute sich, ob sie mit zwei Kindern in den Bus steigen, um Bücher auszuleihen. Und die Leute in den Stadtteilen nehmen sehr wohl wahr, was mit den Einrichtungen in ihrem Umfeld geplant ist.
Fragen: Thomas Plaichinger
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