PRESS-SCHLAG: Das Faß ohne Boden
■ Der hochverschuldete 1. FC Nürnberg erfüllt DFB-Ultimatum — Konkurs vorerst abgewendet
Ein Diahersteller, ein Röhren- Großhändler und ein Immobilien-Kaufmann haben den einst so ruhmreichen 1. FC Nürnberg aus der in der Vereinsgeschichte bislang größten Krise befreit. Sie bewahrten den mit 23 Millionen Mark verschuldeten Verein mit einer Bürgschaft von knapp über vier Millionen Mark vor dem Konkurs und damit dem Lizenzentzug für die laufende Spielzeit. Teppichgroßhändler Michael A. Roth, Chef von ARO, schaut derweil in die Röhre. Er winkte dem 1. FC Nürnberg mit 15 Millionen DM, stellte jedoch knallharte Bedingungen. „Der soll von mir aus den AC Milano kaufen“, beschied Club- Hauptsponsor Gerhard Junge, Chef des Diaherstellers „reflecta“, dem Teppich-Krösus und kündigte an, er werde sich „noch langfristiger beim Club engagieren“.
Die Vereinsführung des 1. FC Nürnberg weiß nicht, ob sie sich über derartige Ankündigungen freuen soll, hat man doch den Werbeetat von „reflecta“ schon bis 1995 vollständig im voraus ausgeschöpft. Junge war es, der dem im Frühjahr 1991 in starken Abstiegs- und Geldnöten steckenden Traditionsverein eine wundersame Geldvermehrung beschert hatte. Hatte noch im Januar der damalige Club-Präsident Gerd Schmelzer seinen Hut genommen, weil es sich der Verein finanziell nicht leisten konnte, den erfolglosen Weltmann Arie Haan als Trainer zu schassen, kaufte der Verein die beiden Nationalspieler Hans Dorfner (Bayern München) und Dieter Eckstein (Eintracht Frankfurt), den argentinischen Ballzauberer Sergio Zarate und zu guter Letzt mit Willy Entenmann noch einen zweiten Trainer.
Der Gewaltakt hatte Erfolg, der 1. FC Nürnberg blieb in der Liga. Wie ein Wunder rollte der Rubel weiter. Für insgesamt 4,5 Millionen Mark wurden „Schnäppchen“ wie zum Beispiel André Golke vom FC St. Pauli im Saisonschlußverkauf geordert, obwohl Insider längst wußten, daß beim Club bereits der letzte Hosenknopf verpfändet war. Teppich-König Roth, von 1979 bis 1983 Präsident beim 1. FC Nürnberg, der schon im Oktober 1990 den Verein kurz vor dem Konkurs wähnte, wurde damals nur milde belächelt, schließlich saß auf dem Schatzmeister- Stuhl mit Ingo Böbel ja ein richtiger Wirtschaftsprofessor.
Böbel verschwieg den 6.000 Vereinsmitgliedern den wahren Schuldenstand. Er nutzte die Affäre um die großzügigen Geschenke des 1. FCN an die Pfeifenmänner, um sich rechtzeitig vom hohen Schuldenthron abzuseilen. So blieb es seinem Nachfolger, dem erfolgreichen Konkursverwalter und Firmensanierer Horst Pitroff, vorbehalten, der Öffentlichkeit und den Vereinsmitgliedern reinen Wein einzuschenken. Er gab die „stolze Summe“ von 22 Millionen Mark Schulden bekannt und nannte die Lizenzspieler- Mannschaft „das einzig Erfreuliche“ in der momentanen Situation. Die trumpfte auf, je höher der Schuldenberg anwuchs. Kurz vor dem DFB-Ultimatum gewann sie in Hamburg und schlug den Meister aus der Pfalz. Der Club avancierte zum UEFA-Cup-Anwärter.
Sollte die Spielfreude- und stärke wirklich direkt proportional zur Höhe der Schulden und Dramatik der wirtschaftlichen Misere sein, dann muß ohne jeden Zweifel der Club als ernsthafter Meisterschaftskandidat gelten. Die Niederlage am Freitag gegen Frankfurt kann darüber nicht hinwegtäuschen. Im Gegenteil. Viele Spieler glaubten irrtümlich, der Verein hätte mit der Millionen-Bürgschaft schon das rettende Ufer erreicht. Weit gefehlt. Die Lizenzerteilung hängt von einer Reduzierung des Schuldenbergs durch den Verzicht von Gläubigern auf ihre Forderungen ab. Von dieser Seite aus ist aber nichts zu befürchten. Die Schulden stiegen inzwischen trotz optimaler Zuschauerresonanz um weitere zwei Millionen. Also Motivation und Ansporn genug, um die nächsten zwei Auswärtsspiele bei den Stuttgarter Kickers und dem Erzrivalen Bayern München locker für sich zu entscheiden. Bayern-Manager Uli Hoeneß ist bereits im Vorfeld vollständig irritiert: „Beim 1.FCN weiß man gar nicht mal, wer wem gehört.“
Im Endspurt sollte dann gar alles für den 1. FC Nürnberg sprechen, denn so Teppich-König Roth eindeutig: „Der Club ist ein Faß ohne Boden.“ Bernd Siegler
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