Das Ende von Acta: Sieg der Straße
Lange interessierte der geplante Pakt niemanden. Doch dann wuchs eine Protestwelle gegen Acta, der sich das EU-Parlament schließlich beugen musste.
BERLIN/BRÜSSEL taz | Es ist ein Triumph für alle, die in den letzten Monaten gegen das umstrittene Anti-Piraterie-Abkommen Acta protestiert haben: Heute werden die Abgeordneten des Europäischen Parlaments über das Abkommen abstimmen. Und derzeit sieht alles danach aus, als würden sie es endgültig beerdigen.
Dass es so gekommen ist, überrascht selbst Netzaktivisten wie den Grünen Markus Beckedahl, die Acta schon länger wegen seiner Intransparenz kritisiert hatten. Sie fürchteten, die Telekommunikationsfirmen könnten künftig als Hilfspolizisten benutzt werden, um Urheberrechtsverstöße ihrer Kunden aufzuspüren (siehe Kasten).
Ende Dezember 2011 habe er mit etwa zwanzig aktiven internationalen Acta-Gegner auf einem Kongress in Berlin zusammengesessen: „Wir waren ziemlich frustriert, weil sich niemand dafür interessierte.“ Kein Wunder, wenn es um ein internationales Handelsabkommen geht, über das wenig zu lesen war, weil es im Geheimen ausgehandelt wurde und dessen Inhalt so schwammig ist, dass selbst Experten Interpretationsschwierigkeiten hatten.
Die Abkürzung Acta steht für Anti-Counterfeiting Trade Agreement (Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen). Der internationale Pakt soll Urheberrechte weltweit durchsetzen, geistiges Eigentum wie Patente oder Marken sollen geschützt werden. Laut EU-Kommission entsteht durch Piraterie in Europa jährlich ein Schaden von rund 8 Milliarden Euro.
Acta soll etwa regeln, wie Geschädigte besser mit Justiz, Zoll und Polizei zusammenarbeiten können. Das schließt auch den Schutz von Urheberrechten im Internet ein.
Kritik zieht das Abkommen vor allem auf sich, weil es eine umfassende Überwachung des Internets durch die Provider erzwingen sollte. So hätten Telekommunikationsfirmen verpflichtet werden können, den Datenverkehr ihrer Kunden etwa nach illegalen Film-Downloads zu durchsuchen. Zudem wurde scharf kritisiert, dass Acta hinter verschlossenen Türen ausgehandelt wurde.
Doch dann formierte sich in den USA Protest gegen den dortigen Stop Online Piracy Act (Sopa), der genau wie Acta den Schutz von geistigem Eigentum im Netz durchsetzen sollte. Digitalaktivisten, IT-Unternehmen und einflussreiche Webseiten kritisierten dies scharf. Besonders der „Sopa Blackout Day“ am 18. Januar sorgte international für Aufsehen – der Tag, an dem unter anderem die englischsprachige Wikipedia nur Erklärungen gegen Sopa zeigte. Den Schwung nutzten Acta-Gegner in Europa – und endlich stießen sie auf Gehör, vor allem beim jungen, netzaffinen Publikum.
Thema auf den Titelseiten
Zuerst protestierten die Polen. Keine Woche nach dem „Sopa Blackout Day“ gingen dort Zehntausende gegen Acta auf die Straße. Das Abkommen war plötzlich europaweit ein Thema auf den Titelseiten – und im Netz: Ein veraltetes, alarmistisches Video der Hackergruppe Anonymous, das vor Passagen warnte, die längst aus dem Acta-Text gestrichen waren, wurde millionenfach geklickt. In Deutschland mobilisierte die Piratenpartei, ebenso wie einflussreiche Youtube-Blogger.
Am 11. Februar kamen europaweit in mehr als 200 Städten Hunderttausende bei klirrender Kälte zu Demos. „Das ist ein Momentum, das man so nicht planen kann“, sagt Beckedahl. Die Politik reagierte überrascht auf den unerwarteten Widerstand – aber sie reagierte. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gab bekannt, Acta nicht unterzeichnen zu wollen. Vorerst.
Während die Straßenproteste gegen Acta sich in den folgenden Wochen ausdünnten, starteten die Netzaktivisten die zweite Offensive: Aus vielen EU-Ländern chrieben Netzaktivisten Abgeordneten Mails, riefen in ihren Büros an, organisierten Veranstaltungen und Kundgebungen. „Der enge Kern kennt sich schon seit unseren Protesten gegen Softwarepatente“, sagt Beckedahl. Gegen die hatten sie bis 2005 erfolgreich bei EU-Politikern argumentiert. Diese Strukturen werden auch nach den Acta-Protesten nicht zerfallen, sagt Beckedahl.
Die Welle des Protests in den folgenden Monaten war für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments bemerkenswert, denn gewöhnlich bekommen sie nur sehr wenig Feedback ihrer Wähler. „Seit Anfang des Jahres bekommen wir jede Woche Hunderte von E-Mails gegen Acta, und zwar ganz persönliche, nicht nur Massenmails. Auch auf der Straße sprechen mich Leute auf Acta an“, sagt der grüne EU-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht. „Solch ein Interesse an unserer Arbeit ist eine Seltenheit.“
Gemeinsame europäische Öffentlichkeit
Plötzlich entstand, was der Europäischen Union sonst meistens fehlt: eine gemeinsame europäische Öffentlichkeit. Acta-Gegner aus halb Europa wandten sich an das einzige tatsächlich demokratisch gewählte Gremium der EU – das Parlament.
Albrecht hatte schon 2011 versucht, an geheime Acta-Verhandlungsdokumente zu kommen – zunächst ohne Erfolg. Die Regierungen sträubten sich. Eine breite Debatte entstand im Parlament erst, als die Menschen gegen Acta auf die Straße gingen und das Abkommen fast zeitgleich Mitte Januar ins EU-Parlament kam.
Mehrmals gab es Demonstrationen während der Parlamentssitzungen in Straßburg, nach und nach entschieden sich immer mehr Fraktionen, Acta abzulehnen: Erst die Linke und die Grünen, die das Abkommen schon vor den Protesten negativ beurteilt hatten, dann die Sozialdemokraten und schließlich große Teile der Liberalen. Sogar einige Konservative aus Südosteuropa wollen heute gegen das Abkommen stimmen.
„Jahrelang haben sich nur wenige Spezialisten für Acta interessiert. Die massiven Proteste haben dafür gesorgt, dass sich die Abgeordneten mit dem Thema auseinandersetzen mussten“, sagt Albrecht. Und weil viele keine Ahnung hatten, war die Chance der Kritiker um so größer, mit ihrer Kritik zu überzeugen.
Eine Chance, die die Acta-Gegner nutzten: Alle fünf zuständigen Ausschüsse des Europäischen Parlaments votierten in den vergangenen Monaten dagegen. Seitdem herrscht im Netz eine euphorische Stimmung. Denn den Netzbürgerrechtlern ist klar: Acta war nicht ihre letzte Schlacht ums Urheberrecht.
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