piwik no script img

Das Ende einer Vergangenheit

■ Polen und Litauen unterzeichnen Freundschaftsvertrag

Warschau (taz) – Ein weiteres Kapitel osteuropäischer Geschichtsdiskussion wird offiziell abgeschlossen: Nachdem die Regierungen in Warschau und Vilnius zweieinhalb Jahre über ihre gemeinsame Vergangenheit gestritten hatten, unterzeichneten Polens Präsident Walesa und sein litauischer Amtskollege Brasauskas gestern in Vilnius ein Freundschaftsabkommen. Polen hat damit auch mit dem letzten seiner Nachbarn „seine Beziehungen auf eine neue Grundlage gestellt“.

Während des Verhandlungsmarathons hatte Polen vor allem einen effektiven Schutz der polnischen Minderheit in Litauen eingefordert, die dort in weiten Kreisen als eine Art „fünfte Kolonne“ gilt. Litauen dagegen verlangte, die Annexion von Vilnius und Umgebung durch Polen in der Zwischenkriegszeit offiziell zu verurteilen. Zwar wird der genaue Wortlaut des Abkommens immer noch geheimgehalten, klar ist jedoch, daß es eine solche Verurteilung nicht enthalten wird.

Wenn sich nun selbst nationalistische litauische Gruppierungen wie die frühere Volksfront „Sajudis“ mit diesem Ergebnis abgefunden haben, ist dies nicht zuletzt ein Resultat des russischen Drucks auf die baltischen Länder. Litauens Politikern auf der Rechten und der Linken scheint nach den Wahlen in Rußland immer deutlicher geworden zu sein, daß Litauens Weg in EG und Nato über Polen führt. Regierungsvertreter betonen zudem, daß der Durchbruch leichter zu schaffen war, weil auf beiden Seiten der Grenze wieder linke Parteien regieren.

Der Vertrag schreibt die bestehenden Grenzen fest und stellt klar, daß auch für Polen Vilnius die „historische litauische Hauptstadt“ ist, was in Litauen zur Beruhigung von immer noch gehegten Ängsten vor Grenzrevisionen führen dürfte. Der Konflikt um Vilnius ist jedoch ein rein historischer, der von Nationalisten beider Seiten hochgespielt wurde. In Polen findet sich keine ernst zu nehmende politische Partei, die bereit wäre, solche Ansprüche zu stellen. Auch in Litauen existieren zwar Karten, auf denen Teile Nordostpolens litauisch markiert sind, doch ist das mehr Nostalgie als politische Propaganda. Für Litauens Rechte war das Schüren antipolnischer Ressentiments ein bequemes Mittel, die regierende Linke als unpatriotisch zu diffamieren.

Nach der Vertragsunterzeichnung scheint der Weg nun frei zu sein für die liberalen Intellektuellen beider Länder, deren Appelle für eine Verständigung bisher ungehört verhallten. Allen Nationalisten zum Trotz sind nämlich große Teile der polnischen Presse ausgesprochen litauenfreundlich. Seit Jahren besteht ein enger Gedankenaustausch zwischen polnischen Historikern, Schriftstellern, Publizisten und Politikern, der noch aus jenen Zeiten herrührt, als polnische Samisdatliteratur nach Litauen eingeschmuggelt und Vertreter der litauischen Unabhängigkeitsbewegung von Solidarność geschult und teilweise auch finanziert wurden. Klaus Bachmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen