piwik no script img

Archiv-Artikel

Das Ende der Behutsamkeit

SANIERUNG Vor 20 Jahren fiel der Startschuss für die „behutsame Stadterneuerung“ im Ostteil Berlins. 2 Milliarden Euro steckte das Land in marode Häuser. Die Verdrängung hat das nicht verhindert. Warum eigentlich? Ein Wiedersehen mit den Akteuren einer nur mäßig erfolgreichen Strategie

Kleines Glossar der behutsamen Stadterneuerung

■ Die Stunde der sogenannten behutsamen Stadterneuerung schlug in den achtziger Jahren in Kreuzberg. Mit öffentlichen Mitteln wurden Häuser saniert und die Mieten niedrig gehalten. Nach der Wende übertrug man das Instrumentarium auf Ostberlin.

■ Am 1. August 1993 beschloss der Senat die „Leitsätze der sozialen Stadterneuerung“. Am 8. Oktober dann wurden die ersten fünf Sanierungsgebiete förmlich festgelegt: die Spandauer Vorstadt in Mitte, die Kieze rund um Kollwitzplatz und Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg, das Samariterviertel in Friedrichshain und die Altstadt Köpenick. Im heutigen Pankow kamen später die Wollankstraße, die Winsstraße, der Teutoburger Platz und das Bötzowviertel dazu.

■ Ohne Geld geht nichts. Dreh- und Angelpunkt der behutsamen Stadterneuerung war deshalb die öffentliche Förderung. In Programmen wie „soziale Stadterneuerung“ oder „stadtweite Maßnahmen“ bekamen private Eigentümer 50 bis 100 Prozent der Sanierungskosten von der Investitionsbank Berlin (IBB) finanziert. Im Gegenzug verpflichteten sie sich, die Sanierungskosten nicht auf die Miete umzulegen.

■ Die sogenannten Einstiegsmieten lagen unter 5 Euro pro Quadratmeter. Zudem bekam der Bezirk das Recht, die Wohnungen zu belegen. Die Laufzeit dieser Sanierungsvereinbarungen betrug zwischen 15 und 30 Jahre.

■ Nahm ein Eigentümer keine Fördergelder an, konnte er theoretisch die Sanierungskosten auf die Miete umlegen. Um drastische Mietsteigerungen und damit Verdrängung zu verhindern, zogen die Stadtplanungsämter in diesem Fall das Baurecht und die sogenannten Sanierungsziele heran. Eine Modernisierung wurde nur genehmigt, wenn die Bevölkerungszusammensetzung nicht bedroht war. Es war die Geburtsstunde der sogenannten Mietobergrenzen. Sie galten von 1995 bis zum Jahr 2006, als sie vom Oberverwaltungsgericht in Leipzig als für die Eigentümer nicht zumutbar gekippt wurden.

■ Allerdings waren die Eigentümer auch so auf ihre Kosten gekommen. Modernisierungen in Sanierungsgebieten waren steuerlich abschreibbar. Nach der „Entlassung“ der Sanierungsgebiete sind sie nicht mehr genehmigungspflichtig.

■ Um die Mitbestimmung der Mieter im Sanierungsgeschehen zu sichern, war die Wahl so genannter Betroffenenvertretungen vorgeschrieben. Sie waren das Sprachrohr der Mieter und übten oft auch politischen Druck aus. Besonders aktiv war die Betroffenenvertretung am Helmholtzplatz. Politische Forderung auch hier: „Wir bleiben alle.“

■ Geld gab es nicht nur für die Modernisierung der Häuser, sondern auch für die Infrastruktur. In den Sanierungsgebieten wurden Schulen und Kitas gebaut sowie Plätze und Straßen hergerichtet. Ziel war es, die Wohnqualität zu steigern. (wera)

VON UWE RADA

„Überlegen Sie doch, wie das damals aussah. An den Fassaden bröckelte der Putz, oft waren noch die Einschusslöcher aus dem Krieg zu sehen.“ Wolfgang Nagel schiebt sein Mineralwasserglas hin und her. Mit Basecap und beiger Weste passt der 69-Jährige nicht so recht ins Café Einstein in der Kurfürstenstraße, das „Stammhaus“, wie er sagt. Aber der legere Look passt auch nicht zu einem ehemaligen Bausenator von Berlin. Vor zwanzig Jahren, am 1. August 1993, gab der SPD-Politiker Nagel den Startschuss zur behutsamen Stadterneuerung in Ostberlin.

„Zwei Monate später wurden bereits fünf Sanierungsgebiete ausgewiesen“, sagt Nagel stolz und zählt auf: der Kollwitzplatz und der Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg, die Spandauer Vorstadt in Mitte, das Samariterviertel in Friedrichshain und die Köpenicker Altstadt. Weitere folgten. Bis heute hat der Senat 1,96 Milliarden Euro in 22 Sanierungsgebiete gesteckt. „Im Rückblick“, meint Wolfgang Nagel, „hatten wir keine Alternative.“

Kollwitzplatz und Helmholtzplatz: das war ein Prenzlauer Berg, das 1993 gerade erst aus dem Dornröschenschlaf geküsst wurde. Das Café Westphal in der Kollwitzstraße war die weit und breit einzige Kneipe. In der Stubbenkammerstraße hatte das Café Bumerang eröffnet, eine Kellerbar mit Besetzercharme. Doch noch immer heizten die Außenwandheizungen der Marke Gamat eher den Prenzlberger Winter als die Wohnungen.

„In den Sanierungsgebieten herrschte Abwanderung“, erinnert sich der Exsenator. „Die Menschen erwarteten von uns, dass wir handeln. Das haben wir mit der behutsamen Stadterneuerung getan. Wir wollten die Häuser mit öffentlichem Geld sanieren und den Bewohnern die Möglichkeit geben, auch nach der Sanierung in ihrem Haus oder in ihrem Kiez zu bleiben.“

Wer heute durch die Kollwitzstraße schlendert, sieht ein anderes Prenzlauer Berg, eines, das im Vergleich zu 1993 wie ausgewechselt wirkt. Dicke Familienkarossen haben den Gebrauchtwagen ersetzt, routiniert nippen die Cafégäste am Aperol Spritz statt am Ostberliner Flaschenbier, Noch-nicht-Mütter überholen auf ihren Rennrädern ängstliche Gerade-erst-Muttis. Wo sind die Punks und Dreadlocks? Wo die Langhaarigen? Wo die Normalos, die im Osten Stinos hießen?

Anspruch und Wirklichkeit

Matthias Bernt wohnte damals in der Stubbenkammerstraße, gegenüber dem Bumerang. 23 Jahre alt war er, als die Sanierung im Kiez begann. Gleich danach wurde er in der Betroffenenvertretung aktiv. „Das war offiziell ein Gremium für die Mitbestimmung. Wir haben uns aber auch politisch eingemischt. Zum Beispiel haben wir erreicht, dass die Mietobergrenzen nach einer privat finanzierten Sanierung länger als ein Jahr galten“, sagt Bernt, der damals Politikwissenschaften studierte und inzwischen als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Regionalplanung und Strukturentwicklung (IRS) in Erkner arbeitet.

In der Betroffenenvertretung des Sanierungsgebietes Helmholtzplatz hat Bernt schnell begriffen, wie groß die Kluft war zwischen dem hehren Anspruch des Senators und der täglichen Sanierungspraxis. 1997, da war er gerade fertig mit der Uni, legte er im Auftrag des PDS-Abgeordneten Bernd Holtfreter eine Studie vor, in der erstmals von Gentrification und Verdrängung die Rede war. „Das führte zu großer Entrüstung beim Sanierungsbeauftragten S.T.E.R.N., im Bezirksamt und beim Senat. Die empfanden es als Provokation, dass da einer sagte: Ihr habt bei der behutsamen Stadterneuerung überhaupt nicht alles im Griff.“

Einer, der sich damals besonders ärgerte, war Theodor Winters, Geschäftsführer des Sanierungsbeauftragten S.T.E.R.N. Im Auftrag von Bausenator Nagel führte die S.T.E.R.N. GmbH Verhandlungen mit den Hauseigentümern, schloss Verträge ab, überwachte das Sanierungsgeschehen. Heute sagt Winters: „Das Problem mit der Verdrängung war von Anfang an klar. Die Frage war nur: Wer vertritt das öffentlich und warum?“

Der Betroffenenvertreter Bernt, so vermutet Theo Winters, der noch immer die Geschicke von S.T.E.R.N lenkt, habe wohl eine Strategie darin gesehen: die bewusste Verdrängung der Bewohner, und das mit öffentlichen Mitteln. „Für uns war das völlig abstrus. Es war doch eher so, dass uns die Verhältnisse mit dem Mauerfall überrollt hatten.“

Kaum einer blieb

Das „V-Wort“, das ein paar Jahre nach Sanierungsbeginn solche Emotionen weckte, ist heute gang und gäbe. Bereits 2010 hat ein Gutachten des Büros für Stadtplanung PFE, das S.T.E.R.N. in Auftrag gegeben hat, festgestellt, dass rund um den Kollwitzplatz nur noch 25 Prozent der früheren Bewohner lebten. In ihrer alten Wohnung waren nur noch 15 Prozent. Noch größer war der Bevölkerungsaustausch im Sanierungsgebiet Winsstraße: Der Anteil derer, die bereits 1993 im Kiez lebten, betrug 16 Prozent.

Hat sich der ganze Aufwand also gelohnt? Sylvia Höhne-Killewald ist sich da nicht so sicher. „Baulich ist die Sanierung gelungen“, findet die Geschäftsführerin der Mieterberatung Prenzlauer Berg. „Sozial dagegen eher nicht.“ Höhne-Killewald hat ihr Büro in der Prenzlauer Allee. Lange Zeit war die Verkehrsschneise eine Art Damm: Das Aufwertungskarussell am Kollwitzplatz machte hier halt, das östlich der Allee gelegene Winsstraßenviertel blieb verschont. Das hat sich inzwischen geändert, weiß Silvia Höhne-Killewald. Der Schwung von 1993, den Bausenator a. D. Nagel noch heute für sich reklamiert, war bald abgeebbt, erinnert sie sich: „Die Förderung für die Sanierung wurde immer weiter zurückgefahren, bis der rot-rote Senat sie 2002 ganz eingestellt hat.“

Damit entfielen auch die im Sanierungsrecht festgelegten Einstiegsmieten von unter 5 Euro pro Quadratmeter sowie die Belegungsrechte für den Bezirk, in den geförderten Wohnungen Leute mit Wohnberechtigungsschein oder Umsetzmieter unterzubringen.

Aber auch jenes Instrument, mit dem die Mieter bei privat finanzierten Modernisierungen geschützt werden sollten, ist inzwischen nicht mehr vorhanden. 2006 kippte das Bundesverwaltungsgericht die 1995 eingeführten Mietobergrenzen. „Diese Berliner Erfindung war eigentlich eine Erfolgsgeschichte“, sagt Höhne-Killewald. Weil im Sanierungsgebiet jede Modernisierung genehmigt werden musste, konnte der Bezirk die Sanierungsziele an eine zulässige Höchstmiete von etwa 5 Euro koppeln. „Seitdem haben wir nichts mehr“, ärgert sich die Mieterberaterin. „Und jede Neuvermietung und jede Umwandlung in Eigentum treibt die Mietenspirale nach oben.“ Theodor Winter sagt es anders: „Der Dschungel hat sich hinter uns wieder geschlossen.“

Zu wenig Gegenleistung

Hätte es Alternativen gegeben? Winters meint, man dürfe die behutsame Stadterneuerung nicht für alles verantwortlich machen. Als behutsamer Sanierer freue er sich, wenn die Mieter in einem Haus den unmittelbaren Sanierungsprozess überstehen. Für das, was danach kommt, sei das Mietrecht verantwortlich. „Das ist Bundesrecht. Dafür bin ich als behutsamer Stadterneuerer nicht zuständig.“

Gleichwohl räumt auch Winters ein, dass man heute anders vorgehen würde. Dass die 20 oder 30 Jahre Mieten- und Belegungsbindung, die man im Gegenzug für eine mit Steuergeldern bezahlte Sanierung bekommt, viel zu wenig seien. Dass sich der Dschungel nicht mehr schließen solle nach Abschluss der Sanierung und dem ersten Mieterwechsel.

„Man hätte mehr auf Genossenschaften setzen können“, so Winters. „Wenn man behutsame Stadterneuerung weiterdenkt, reicht es nicht, einfach nur den Prozess zu organisieren. Man muss über nachhaltige Finanzierungsformen nachdenken. Das kann nur kommunaler Wohnungsbau sein oder die Förderung von Genossenschaften. Das hat damals gefehlt, vor allem in den Boomgebieten.“

Für Jens-Holger Kirchner, den sie vor 20 Jahren am Kollwitzplatz noch „Nilson“ gerufen haben, ist die behutsame Stadterneuerung ohnehin Geschichte. Als der Grüne 2011 Stadtrat für Stadtentwicklung wurde, waren die meisten Sanierungsgebiete bereits aufgehoben. Und solange sie noch nicht in sogenannte Milieuschutzgebiete umgewandelt sind, braucht kein Eigentümer mehr eine Genehmigung für eine Modernisierung. Deshalb will Kirchner den Milieuschutz stärken. „Derzeit erleben wir eine zweite Modernisierungswelle“, sagt der Stadtrat. „Die Eigentümer wollen ein zweites Bad, einen zweiten Balkon, Fußbodenheizung. Alles Luxusmodernisierungen, die nur zum Ziel haben, die Miete hochzutreiben.“ Inzwischen hat Kirchner einen Kriterienkatalog vorgelegt, der das untersagt. „Gegen den Einbau eines Fahrstuhls haben wir aber keine Einwände“, sagt er. „Auch hier werden ja die Mieter älter.“

Matthias Bernt wirbt ebenfalls für eine alternative Stadterneuerungspolitik. „Man hätte die Förderung auf bestimmte Träger konzentrieren müssen. Zum Beispiel auf Genossenschaften. Auch eine Kommunalisierung von Wohnungsbeständen wurde versäumt.“ Bei den Privaten, sagt er, habe man viel Geld ausgegeben, das aber verpufft ist, wenn die Bindungen auslaufen. „Lieber weniger und dauerhaft als viel und endlich.“

Bernt hat es selbst erlebt. Sein ehemaliges Haus in der Stubbenkammerstraße wurde schon viermal weiterverkauft, jedes Mal war der Kaufpreis höher. Heute lebt er in der Bremer Höhe, einer Genossenschaft mit drei Baublöcken zwischen Schönhauser Allee und Helmholtzplatz. Sie kam 2000 als eines der letzten Projekte in den Genuss öffentlicher Förderung.

Wolfgang Nagel hat sein Mineralwasser ausgetrunken. Nach seiner Zeit als Bausenator ist er in die Immobilienbranche gewechselt, er kennt also beide Seiten. „Wenn wir für unser Geld mehr von den Eigentümern verlangt hätten, dann hätten die dankend abgesagt“, sagt er. Ganz zufrieden ist er dennoch nicht mit dem, was 20 Jahre nach Sanierungsbeginn passiert ist. „In den Sanierungsgebieten in Westberlin“, räumt er ein, „hat das Soziale mehr Erfolg gehabt.“