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Das Ding, das kommtSchwamm-Intelligenz

Das hatten sie gerade dort nicht erwartet. „Zutiefst geschockt“ waren die FotografInnen vom Internetblog „MeerArt“ im Sommer, wie dreckig es in Hamburgs Hafencity mittlerweile aussieht. „Die Grünflächen sind überwuchert und voll mit Müll. Überall lag etwas herum, ob Servietten, Tüten, To-go-Becher und Kippen. (…) Macht denn hier keiner mehr sauber oder was ist los in Hamburgs Vorzeigeviertel?“

Zumindest die letzte Frage mag am Freitagmittag auch der eine oder andere dort beschäftigte oder Tourismus machende mutmaßliche To-go-Becher-Wegschmeißer im Kopf gehabt haben – angesichts des gelben Putzschwamms, der da mitten auf den Marco-Polo-Terrassen aufgestellt wurde. Denn der ist riesig und unübersehbar: dreieinhalb Meter lang, zweieinhalb Meter breit und fast zwei Meter hoch.

„Ein Topf- oder Küchenschwamm wird zur Reinigung verwendet und besteht im Wesentlichen aus Schaumstoff. Die raue Unterseite dient zum Scheuern“, erklärt ein Schild daneben lapidar. Und dass es natürlich gar nicht um Kleinkram wie Servietten, Kippen oder Unkraut gehe. Sondern um ein Riesenproblem: billige Parolen, Hetze, hausgemachte Ängste – um den gesellschaftlichen Putzfimmel also, ums rassistische Großreinemachen: „Hieran müssen wir scheuern, um den Kern freizulegen. Geh weg, du Schmutz!“

Aufgestellt hat den Riesenschwamm der Hamburger Journalist, Poetry-Slam-Conférencier und Künstler Michel Abdollahi. „Angst und Panikmache, wo man hinschaut“, erklärt der 35-Jährige seine Straßenaktion. „Es entsteht das Gefühl, die Welt würde morgen explodieren. Das ist Blödsinn. Trotzdem müssen wir uns wehren.“ Aber natürlich nicht wirklich mit ätzenden Putzmitteln, sondern ganz klassisch, mit ätzendem Humor, Argumenten und Aufklärung.

„Hieran müssen wir scheuern, um den Kern freizulegen. Geh weg, du Schmutz!“

Dafür geht Abdollahi als Außenreporter des NDR-Kulturjournals denn auch regelmäßig dahin, wo der Rassismus sich ganz ungeschminkt und ungeschönt, so richtig dreckig, zeigen lässt: ins Nazidorf Jamel etwa, oder mit einem „Ich bin Muslim. Was wollen Sie wissen?“-Schild in Deutschlands Fußgängerzonen. Oder nach Panama, wo Deutsche auf der Flucht vor all den Geflüchteten einen sauberen Neuanfang suchen. MATT

„Der Schwamm“: bis So, 23. Oktober, Marco-Polo-Terrassen, Hamburg

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