piwik no script img

Das Dekret für das Kriegsrecht

■ Die Militärs bestimmen über den Ausnahmezustand in Türkisch-Kurdistan

Am 9. April verfügte das türkische Kabinett unter Vorsitz des Staatspräsidenten Turgut Özal ein Dekret, mit dem der in Kurdistan bereits geltende Ausnahmezustand verschärft wurde. Nach dem Dekret, das ohne parlamentarische Beratungen unmittelbar rechtswirksam wurde, hat der Supergouverneur für das Ausnahmezustandsgebiet, Hayri Kozakcioglu, Vollmachten wie ein Kriegsrechtskommandant. Das Dekret war schon zuvor in einer geheimgehaltenen Sitzung des „Nationalen Sicherheitsrates“ abgesegnet worden, wo die Militärs bestimmend sind. Laut Dekret

-kann der Supergouverneur jedweden Bürger, der „Aktivitäten zum Schaden der allgemeinen Sicherheit und öffentlichen Ordnung“ entfaltet, aus dem Gebiet verbannen. Der/die Verbannte muß sich danach an dem Ort aufhalten, der vom Innenministerium bestimmt wird;

-können Druckerzeugnisse, „die zur Störung der öffentlichen Ordnung führen“, die „Bevölkerung in der Region aufregen und so gefaßt sind, daß die Sicherheitskräfte bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben behindert werden“, verboten werden. Druckereien können geschlossen werden. Auch Verlage und Druckereien außerhalb des Ausnahmezustandsgebietes sind betroffen. Ein einfaches Verwaltungsdekret genügt für das Verbot und die Schließung einer Druckerei. Faktisch heißt das Pressezensur;

-können dem Supergouverneur nicht genehme Beamte, Offiziere, Richter und Staatsanwälte aus ihrem Dienst im Ausnahmezustandsgebiet entlassen und versetzt werden;

-wird in der Region das Strafmaß für „Separatismus“ und „Unterstützung separatistischer Aktivitäten“ verdoppelt

-sind gegen die Dekrete des Supergouverneurs keine gerichtlichen Klagen zugelassen.

Unmittelbar nach Veröffentlichung des Dekrets schwärmten Polizisten im Istanbuler Verlagsviertel Cagaloglu aus, um den Druckunternehmern Angst und Schrecken einzujagen: Der Druck einer unliebsamen Zeitschrift habe die sofortige Schließung des Betriebs zur Folge. Aufgeschreckt zitierten die Manager des größten türkischen Medienkonzerns 'Hürriyet‘ den Herausgeber von '2000'e Dogru‘, Dogu Perincek, zu sich. Man bedauere, aber das linke Wochenblatt '2000'e Dogru‘ (frei übersetzt: Der Weg ins nächste Jahrtausend) könne nicht mehr in der 'Hürriyet'-Druckerei gedruckt werden. Der türkische Staatspräsident Turgut Özal triumphierte: „Endlich wird diese Zeitschrift nicht mehr gedruckt. Das Dekret hat Fuß gefaßt.“

Sang- und klanglos wird der kurze Frühling, den die Presse seit 1987 zum ersten Mal nach dem Militärputsch wieder genoß, beendet. Die großen Zeitungen haben sich geduckt: Über Kurdistan werden nur Artikel in Einvernahme mit dem Generalstab geschrieben.

öe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen