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Das Dauergebäck

Lebkuchen und Pfefferkuchen sind in ganz Mittel- und Nordeuropa verbreitet, jede Region hütete ihre eigenen Rezepte. Vorläufer des Süßgebäcks kannten schon die alten Ägypter

Gewürze wie im indischen Masala: Im Lebkuchen stecken Zimt, Nelken, Koriander, Muskat, Kardamom, Ingwer Foto: Jeremy Hudson/Foodanddrinkphotos/mauritius image

Von Lisa Shoemaker

Als Kind konnte man mich weder mit gekauftem noch mit selbst gebackenem Weihnachtsgebäck erfreuen. Das einzige, das Gnade vor meinen mäkligen Geschmacksknospen fand, waren die Plätzchen und vor allem die Elisenlebkuchen meiner Großmutter. Der Opa, ein zum Konditor konvertierter Wirtssohn aus Lothringen, hatte sich aus dem Staub gemacht, doch sein Vermächtnis wurde alle Jahre wieder in der Vorweihnachtszeit zelebriert.

Sein Rezept besteht aus gemahlenen Mandeln, Farinzucker (ich nehme Muscovado), Eiern, Zitronat und Orangeat sowie Gewürzen. Diese Masse wird auf Oblaten gestrichen, auf Bleche gelegt, die Bleche werden auf Schränke gestellt, um über Nacht anzutrocknen, und am nächsten Tag gebacken.

Seit Jahrhunderten gibt es eine Vielfalt an Lebkuchenrezepten, ihre Gewürzlisten lesen sich fast wie die eines indischen Masalas: Es duftet nach warmen Aromen wie Zimt, Nelken, Koriander, Muskat, Kardamom und Ingwer. Zuletzt wurde hierzulande im Mittelalter derart intensiv gewürzt.

Die deutsche Lebkuchentradition nahm in den Klöstern des 11. Jahrhunderts ihren Anfang. Ihre Vorläufer sind sogar noch wesentlich älter, wie Grabbeigaben aus dem alten Ägypten belegen. Dort wurden sie den Verstorbenen als Wegzehrung ins Jenseits mitgegeben. Kein Wunder also, dass Lebkuchen im Bäckereihandwerk zu den Dauerbackwaren zählen.

Sie sind wahrscheinlich das erste Süßgebäck der Menschheit und die angenehmere Version des harten Fladens, den schon zu Vorzeiten Händler und Soldaten mit sich führten. Noch heute tunken amerikanische Soldaten hardtack (harter Fraß) in ihren Kaffee.

Nicht ganz geklärt ist die Herkunft des Wortes „Leb“ in Lebkuchen. Es leitet sich entweder vom lateinischen „libum“ (Fladen) oder vom mittelhochdeutschen „leip“ ab, das heute noch im Laib Brot weiterlebt.

In Bayern war dagegen die Bezeichnung „Lebzelte“ üblich. Die Lebzelterei war der Berufsstand der Honigbäcker und Wachszieher, die das alleinige Recht besaßen, daraus neben dem Gebäck auch noch Kerzen und Met herstellten, zum Leidwesen der anderen Bäcker.

Pfeffer- und Honigkuchen sind über ganz Mittel- und Nordeuropa verbreitet. Von Großbritannien (gingerbread) über Frankreich (pain d’épices) und die Schweiz (Appenzeller Biberli), über Polen (Toruńskie pierniki, Thorner Lebkuchen) bis hinauf nach Schweden (pepparkakor) findet man ortsgebundene Spezialitäten, die sich über Jahrhunderte erhalten haben, wohl auch, weil die jeweilige Zunft der Lebküchner, Lebzelter in Bayern, ihre Rezepte geheim hielt. Eine Ausnahme bildete im 16. Jahrhundert ein Abkommen zwischen Thorn und Nürnberg, in dem die eine Stadt der jeweils anderen gestattete, deren Spezialität zu backen.

Dass sich Nürnberg im ausgehenden Mittelalter als Zentrum der Lebkuchenbäckerei entwickelte, ist kein Zufall. In den fränkischen Wäldern gab es reichlich Honig, und man saß an der Gewürzquelle: Die Venezianer vertrieben ihre Waren über Nürnberg in Mitteleuropa.

Ursprünglich bestanden Honig- und Pfefferkuchen vor allem aus Honig, Mehl und Gewürzen und waren steinhart. Hirschhornsalz und Pottasche als Triebmittel kamen erst in der Neuzeit dazu. Weitere Zutaten tauchen bei den regionalen Variationen auf. Aachner Printen sind mit Schokolade überzogen, Liegnitzer Bomben sind mit Marzipan und Früchten gefüllt, in Basler Leckerli stecken kandierte Früchte, Mandeln und Haselnüsse.

Da Lebkuchen oft verschenkt wurden, mussten sie auch hübsch anzusehen sein. Dazu wurde der Teig in Model – mit langem o – gepresst. Model waren aufwendig geschnitzte Holzreliefformen. Noch heute kommt diese Technik bei Spekulatius zum Einsatz. Kinder bekamen zur Einschulung das Abc, mit einem Herz beschenkten sich die Liebsten. Es gab auch Model mit anderen Körperteilen. So nahm man Lebkuchen in Form von Beinen, Nasen oder Fingern als Votivgabe auf eine Walfahrt mit, je nachdem, welches Körperteil Sorge bereitete.

Gegessen wurden sie übrigens zu allen Jahreszeiten. Ganz fremd ist uns das nicht, gibt es doch Lebkuchenherzen auf Jahrmärkten rund ums Jahr zu kaufen.

Eine der bekanntesten Familien, die noch eine traditionelle Lebzelterei führt, ist die Familie Hipp. Ja, genau, die Hersteller von Babynahrung. Die war anfangs nur ein zufälliges Nebenprodukt. Als Ende des vorletzten Jahrhunderts die Zwillinge des damaligen Chefs kränkelten, mahlte er den Zwieback aus der Bäckerei, verrührte ihn mit Milch und fütterte den Brei. Die Kinder wuchsen und gediehen prächtig. Das sprach sich herum. Also wurde das Pulver ins Sortiment aufgenommen. Der Rest ist Geschichte. In Pfaffenhofen an der Ilm werden bis heute Lebkuchen verkauft und im an die Konditorei angeschlossenen Museum sind auch Model zu bewundern.

Wer übrigens, wie ich, beim Frühjahrsputz hart getrocknete Lebkuchen auf Schränken entdeckt, kann sie kulinarisch weiterverwerten: Lebkuchen sind ein populäres Soßengewürz für Sauerbraten und schlesische Weißwürste. Der thüringische Topfbraten, ein Eintopf aus Schlachtabfällen und Innereien, wird mit Lebkuchen angedickt und dabei wohl auch der eine oder andere Geschmack übertüncht.

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