Das Coronajahr im Kulturleben: „Theater und Oper sterben“
Was hat das Coronajahr für Kulturschaffende bedeutet? Drei Berichte von Kulturschaffenden aus Italien, Berlin und Bangkok.
In der Kultur stand weltweit vieles still im Pandemie 2020. Wie ist es Künstlerinnen und Künstlern ergangen in dieser Zeit? Astrid Kaminski hat nachgeforscht und ihre Stimmen protokolliert.
„Es gibt keinen Schutz für Künstlerinnen und Künstler“
Romeo Castellucci, Theater- und Opernregisseur, Norditalien
Im Moment bin ich auf dem Gipfel eines Berges in den Apenninen. Etwas weiter unten habe ich ein kleines Häuschen, wo es aber keinen Telefonempfang gibt. Ich akzeptiere die soziale Distanz, bin jedoch nicht aus Angst vor dem Virus hier, sondern weil ich nun die Gelegenheit habe, mehr Zeit mit Bäumen zu verbringen.
Ich tausche die derzeit schmerzliche Stille gegen eine andere, eine kontemplative Stille ein. Ich wohne zusammen mit einer Eiche, die etwa 400 Jahre alt ist. Ihretwegen habe ich das Haus, das damals eine Ruine war, vor zwanzig Jahren gekauft. Bäume sind für mich ein Grund, warum es sich lohnt geboren zu sein.
So um die 50 meiner Projekte wurden gestrichen in diesem Jahr, die Salzburger Festspiele etc etc. Tabula rasa. Theater über das Internet war jedoch keine Alternative für mich. Unser Minister schlug ein „Theater-Netflix“ vor. Was nur eines zeigt: wie wenig er davon versteht. Das Internet kann Theater zwar dokumentieren, aber es kann kein Theater sein. Theater ist ein Akt der Präsenz.
In diesem Sinn habe ich weitergearbeitet und „BROS“ vorbereitet, ein Stück über die Polizei. Ich habe es direkt zur Anfangszeit der Pandemie konzipiert, vor dem schrecklichen Mord an George Floyd in Minneapolis. Es soll aber kein Kommentar oder eine Kritik der Polizei sein. Das wäre zu einfach. Es geht vielmehr um die Polizei als sowohl anthropologische wie obskure Kraft, um die Durchdringung und die Ambivalenz von Verborgenem und Notwendigem. Aber auch um das Prinzip einer Art gesellschaftlicher Haut, was sich wiederum auch auf die Epidemie übertragen lässt: einem Gespanntsein zwischen Gesetz und Reglementierung des Körpers, Gewalt und Kontrolle, Unordnung und Ordnung – all das sind sehr alte Prinzipien. Es wird ein Stück für etwa 50 Laien in Uniform werden.
Natürlich ist meine Situation, die Möglichkeit mich zurückzuziehen und gleichzeitig auf das Zeitgeschehen antworten zu können, ein großes Privileg. Die Kunstszene in Italien durchleidet dagegen eine sehr schwere Zeit. Die Künstler und Künstlerinnen, vor allem die jungen, wurden von der Politik aufgegeben, es gibt überhaupt keinen Schutz für sie. Es ist zudem beinahe unmöglich, einen Generationswechsel in den Institutionen zu vollziehen. Die Hürden für die Jüngeren sind viel zu hoch. Eine Förderung zu bekommen ist so gut wie unmöglich. Es gibt in der Politik – sowohl der rechten wie der linken Parteien – kein Bewusstsein für die Kunst des Theaters. Sie ist ein Tauschwert. Direktionsposten werden als politische Geste vergeben, nicht aufgrund künstlerischer Expertise. Das Theater und die Oper in Italien sterben. Und das in einem Land, in dem es in jedem Dorf ein Operntheater gab! Die Scala wird überleben, das war’s. Dieser Prozess war schon im Gange, Corona hat ihn beschleunigt. Wir erleben einen künstlerischen Exodus.
Ästhetisch gesehen bin ich dagegen weniger pessimistisch. Wenn wir es schaffen, die Stille auszuhalten, werden wir danach die Kraft des Blicks, der Präsenz, der Gemeinschaft neu erleben. Es gibt das Potenzial, neu sehen zu lernen. Der Blick wird Feuer fangen.
„Die Chance der Heilung schwindet“
Martha Hincapié Charry,Choreografin und Kuratorin, Berlin
Ich hatte in diesem Jahr eine Recherche für mein neues Stück über die Zukunft Amazoniens geplant. Also flog ich Anfang März von Berlin nach Bogotá und dann weiter in den Süden zum Stamm der Tikuna. Nach zwei Wochen musste ich jedoch wieder abreisen. Kolumbien stand ein harter Lockdown bevor und die Indigenen beschlossen, alle Fremden in dieser Zeit auszuweisen, um sich auf ihre eigenen Bedürfnisse und Rituale zu konzentrieren.
Einen Tag vor dem landesweiten Lockdown kam ich wieder in Bogotá an, wo er bereits zwei Tage zuvor verhängt worden war. Ich wusste daher nicht, wohin. Meine Schwester, die als Ärztin in einem Krankenhaus arbeitet, konnte mich, weil es ihre Berufsausübung gefährdet hätte, nicht aufnehmen. Freund:innen, die ich kontaktierte, hatten Angst, dass ich Viren mitbringen könnte. Schließlich meldeten sich, auf einen Facebookpost hin, Freunde aus Santa Marta in der Sierra Nevada. In ihrer Gemeinschaft hatte ich im letzten Jahr im Rahmen eines Pina-Bausch-Fellowships gelebt. Mit dem letzten Flug aus Bogotá flog ich nun erneut hin.
Die Gemeinschaft betreibt ein künstlerisches Zentrum, das über Hoteleinnahmen finanziert wird. Die Situation war dramatisch. Die Ökonomie der ganzen, komplett auf den Tourismus angewiesenen Gegend brach zusammen. Alle wurden arbeitslos. Staatliche Hilfen gab es nicht. Um die Zukunft zu sichern, haben wir Obst und Gemüse angebaut. Schnell wachsende Sorten wie Melonen, Kürbis, Zucchini. Aber auch Avocado, Bananen und Kakao. Ab 16 Uhr herrschte Ausgangssperre, verhängt von den paramilitärischen Gruppen, von denen die Gegend kontrolliert wird.
Nach drei Monaten gelang es mir schließlich, einen Flug nach Deutschland zu finden, obwohl eigentlich alle Flughäfen bis Anfang September geschlossen waren. Der Hinweis auf den Flug kam von einem befreundeten Deutschen aus Bogotá. Er wusste, dass Kolumbien Ende Juni eine Maschine nach Europa senden und das deutsche Auswärtige Amt den Flug nutzen würde, um Menschen nach Deutschland auszufliegen. Ich kontaktierte daher erneut die deutsche Botschaft. Dort sagte man mir sehr direkt, dass der Flug nur für Deutsche bestimmt sei. Und außerdem: „Bitte melde dich nicht mehr, wir wissen schon von dir.“
Ich lebe mit einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis seit zwanzig Jahren in Deutschland und war ziemlich geschockt, das zu hören. Schließlich gelang es mir, über die Fluggesellschaft ein Ticket zu buchen. Die 15-stündige Fahrt mit Sondergenehmigung über die geschlossene Autobahn kostete noch einmal so viel wie der Flug.
Dann war ich wieder in Deutschland – vollkommen erschöpft. Aber die Theater haben hier im August kurzzeitig wieder aufgemacht, und die Premiere meines Stücks „Amazonia 2040“ fand statt. Leider ist durch das Coronachaos die Situation in Amazonien – die Abholzung, die Anhäufung von Plastik und Müll und die Vergiftung von Wasser und Boden durch Rohstoffabbau – noch schlimmer geworden. Die Chance einer Heilung der Erde durch die Natur schwindet umso mehr.
„Das Visa-Ding wird uns umbringen“
Abhijan Toto, Kurator, Mitbegründer von The Forest Curriculum, Bangkok
Normalerweise lebe und arbeite ich zwischen Bangkok, Seoul und Berlin. Das klingt nach einer anderen Zeit, oder? Einer Zeit, in der wir mit relativer Zufriedenheit unsere Existenz auf transnationalen Arbeitsrealitäten aufbauen konnten.
Gerade lief in Bangkok mein Festival „A House in many Parts“, inspiriert von der aktuellen politischen Bewegung hier. Sie ist derart inklusiv und intersektional! Ob es um Stimmen der LGBTIQ*-Community, Sexarbeiter:innen, Migrant:innen oder Bauern geht: Kein Anliegen ist wichtiger als das andere. Es gibt ein großes Bewusstsein für Veränderungen. Wir hätten nie zu träumen gewagt, dass diese Themen heute die Schlagzeilen der Zeitungen bestimmen!
Allerdings musste ich in diesem Jahr mein Visum für Thailand erneuern. Zur Beantragung reiste ich in mein Herkunftsland Indien. Die Geschichte endete damit, dass ich mit Corona infiziert wurde und sechs Monate festsaß. Wie ich das Virus bekam, bleibt ein ziemliches Rätsel. Ich habe, gerade auch, weil ich bei meinen Eltern in Kalkutta wohnte, extrem aufgepasst und mich nur ein einziges Mal mit einer Freundin – draußen, mit Maske und Mindestabstand – getroffen. Der einzige geschlossene Ort, an den ich ging, war die thailändische Botschaft. Ich habe ja schon immer gesagt, dass dieses Visa-Ding uns eines Tages umbringen wird...
Atemwegsbeeinträchtigungen habe ich nicht wahrgenommen, dafür aber Erschöpfung und Müdigkeit. Als immerwährend leidender, masochistischer Kunstarbeiter dachte ich zunächst: Das wird schon, mache ich halt online weiter. Als ich dann eine Lecture auf Zoom, ironischerweise zum Thema „Kunst in Zeiten der Pandemie“, gab, wurde es ernst. Plötzlich wusste ich nicht mehr, was mein nächster Satz sein würde. Weg! Also sagte ich: „Leute, ich glaube, ich kann jetzt nicht weiter über die Pandemie sprechen, ich bin mittendrin.“
Schon davor hatte ich eine drastische Begegnung mit dem Virus. Mit unserer interdisziplinären Plattform The Forest Curriculum war eine Ausstellung für die Galleria d’Arte Moderna e Contemporanea in Bergamo geplant. Gerade zu der Zeit, als die Stadt zum Corona-Hotspot wurde. Ich machte also alles über Zoom. Während in der Stadt die Särge für die Toten ausgegangen waren, sprachen wir darüber, wie die Projektoren platziert werden. Die Ausstellung wurde sogar eröffnet, nur das eigentlich geplante Researchtreffen der Künstler:innen – ein wesentlicher Teil davon – musste ausfallen.
Wie wichtig das körperliche Zusammentreffen ist, hat ein Projekt in Seoul, das Kunstschaffende aus Südostasien rund um die Frage nach queerer Geborgenheit zusammenbrachte, verdeutlicht. Kurz zuvor war die Nachricht vom Infektionscluster in einem schwulen Nachtclub im Itaewon-Viertel um die Welt gegangen und hatte zu starken homophoben Anschuldigungen geführt. Unser Projekt konnte, unter Auflagen, trotzdem stattfinden. Es gab einen riesigen Zuspruch – unter anderem von jeder Menge K-Pop-Stars. So hat uns das Event das Paradox der Wichtigkeit der Versammlung in Zeiten körperlicher Unsicherheit und unsere Verantwortung als queere Kulturarbeiter:innen sehr krass vor Augen geführt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!