■ Das Bundesverfassungsgericht und die Abtreibungsfreiheit: Ohne Paragraph 218 kein Erlangen
Das Bundesverfassungsgericht hält den Schlüssel zur Rechtmäßigkeit von Menschenexperimenten – wie dem in Erlangen – in den Händen. Denn die Hüter der Verfassung entscheiden in diesem Dezember zum zweiten Mal über den Paragraphen 218, also darüber, ob das Grundgesetz verlangt, die Frau für die Zeit ihrer Schwangerschaft aus den allgemeinen Bürgerrechten auszuschließen. Sollten sie im Falle, daß die Frau „ganz Frau=Gebärmutter“ ist, ihr das Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper und ihr Leben erneut absprechen, dann billigen sie indirekt auch, daß der Gebrauch eines (hirn)toten Frauenleibes durch die Humanmedizin im Namen des zu schützenden Lebensrechts von Ungeborenen mit den ethischen Grundsätzen unserer Gesellschaft konform geht.
Zwischen dem Abtreibungsverbot – das ja noch immer gilt – und der Legalität von Experimenten der Erlanger Art besteht eine verhängnisvolle Wechselbeziehung. Das Bundesverfassungsgericht hat die Abtreibungsreform in den siebziger Jahren mehrheitlich abgelehnt. Damals kreierte man eine sexistische Rechtslogik, auf die sich Mediziner wie jene in Erlangen heute berufen können. Die Männerjustiz befand nämlich, daß in der in einem Leib und einer Person schwangeren Frau zwei – im Zweifelsfall konkurrierende – Rechtspersonen existieren.
Damit begann die Verrechtsstaatlichung einer Frauenverachtung, die schon die schwangere Frau zum bloßen „fötalen Umfeld“ degradiert. Die Bayern exerzieren genau diesen Tatbestand jetzt mit diversen Gesetzentwürfen vor. So soll die Eigenbedarfskündigung im Mietrecht künftig von noch im Mutterleib befindlichen Föten angestrengt werden dürfen. Von Frauen, Müttern oder werdenden Müttern ist in diesen Gesetzen, die derzeit im Bundesrat diskutiert werden, nicht mehr die Rede. Nur noch von Vätern, Vormündern und Ungeborenen.
Nicht nur wird der Frau verweigert, die Veränderung ihrer körperlichen Integrität und ihres Ichs durch Schwangerschaft willentlich zu bejahen oder zu verneinen. Es wird ihr auch abgesprochen, als moralisch- sittlich verantwortungsfähiger Mensch eine Zukunftsentscheidung darüber zu treffen, ob sie eine physische und seelische Beziehung mit einem zu leben beginnenden Menschen eingehen will und kann, die mit der Geburt nicht endet. Ist die Schwangere eine Sterbende, eine Hirntote, eine aufs ideale willenlose Frau, schlägt die Stunde der Götter in Weiß. Auf der Schwelle zwischen Leben und Tod kann niemand die „Retter des ungeborenen Lebens“ daran hindern, alle ethischen, moralischen, physischen und seelischen Grenzen menschlicher Existenz zu überschreiten.
Jede Frau läuft heute Gefahr, als Schwangere zum Experimentierobjekt zu werden, weil ihr rechtlich die „Verfügungsgewalt“ über den Fortgang ihrer Schwangerschaft vorenthalten wird. Nur wenn auch die schwangere Frau in ihren Selbstbestimmungsrechten dem Mann gleichgestellt wird, werden den Frauen in diesem Land die Menschenrechte ernsthaft zuerkannt. Und nur das eröffnet die Möglichkeit, Experimente wie in Erlangen nicht länger ohnmächtig mitansehen zu müssen, sondern sich auch auf juristischem Weg gegen sie zur Wehr setzen zu können. Monika Knoche
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