Das Bild Berlins im Film: Die Seele der Stadt ist anderswo
Lange dominierte im Film das Bild Berlins als Insel für Aussteiger – doch das Flair früherer Tage ist zum Stereotyp verkommen. Wer Neues erzählen will, muss ausweichen.
Viele kennen das seit Jahren: Man will zum Bäcker – geht nicht. Ein Cateringbus steht im Weg. Wo steht das Auto? Abgeschleppt, weil Filmteam. War Berlin vor 10, 15 Jahren filmtechnisch ein nahezu weißer Fleck auf der Landkarte, so taucht die Stadt heute nicht nur in immer mehr Berlinfilmen auf, sondern auch in Werbespots, Videoclips und Hollywoodfilmen mit Matt Damon und Jackie Chan, die Berlin nur als schicke Kulisse (miss)brauchen. Allein die Drehtage, die vom Medienboard Berlin-Brandenburg gefördert wurden, steigen stetig: 752 waren es im Jahr 2005, 1.789 im Jahr 2008 und 2.258 im Jahr 2011.
Bilder von Berlin fluten die Welt – und zwar nicht nur die der prominenten Plätze, sondern auch jene, die Berlin im Film einmal besonders machten und immer wieder auch auf der Berlinale für Furore sorgten. Denn auch, wenn Berlin im Film ein unerschöpfliches Thema sein mag: Einen groben roten Faden gibt es doch. Vorm Mauerbau wurde Berlin gern als schneller, oft menschenfeindlicher Moloch gezeigt – Archetyp war Walther Ruttmanns „Berlin – die Sinfonie der Großstadt“. Nach dem Krieg fokussierten viele Berlinfilme dagegen auf die gespenstische Ruhe in der Trümmerstadt, und schließlich wurde die Mauer zur Chiffre eines Ortes, an dem das dynamische, urbane Leben verbaut ist. Auf einmal bevölkerten immer mehr Dropouts die Filme – Außenseiter, die in den Ruinen abstürzten oder Inseln bauten, auf denen man vor den Zumutungen west- wie ostdeutscher Normalitäten sicher war.
Eines der stärksten Images von Berlin als Aussteigerstadt entstand immer wieder in Prenzlauer Berg, besonders in der Gegend um die Schönhauser Allee mit ihren Hochbahnviadukten. Schon Sunny, die schöne, unangepasste Schlagersängerin aus Konrad Wolfs DEFA-Film „Solo Sunny“ (1980), wurde vor allem in Abrisshäusern in der Malmöer und Kopenhagener Straße gefilmt. Einmal fährt Sunny im Auto mit dem Zug auf der Hochbahn um die Wette – und kommt doch nirgends an. Oft sitzt sie mit ihrem Freund am Fenster, sie schauen auf kaputte Hinterhöfe, lauschen den Klängen einer Sitar und sprechen von Sehnsucht.
Berlin ist nach wie vor die deutsche Kinohauptstadt: Während andere Großstädte bei der Anzahl der Filmtheater und bei den Besucherzahlen Einbußen hinnehmen mussten, konnte die Metropole ihr hohes Niveau halten, wie aus einer Studie der Investitionsbank Berlin hervorgeht. Die Analyse wurde am Donnerstag mit Blick auf die bevorstehende Berlinale vorgelegt. Das Filmfest beginnt am 7. Februar.
An der Spree existieren dem Papier zufolge 93 Kinos und 261 Leinwände. Das Fazit lautet: "Im Vergleich gibt es nicht nur die meisten Kinos, sondern auch die meisten Kinobesucher." 2011 wurden demnach 9,13 Millionen Gäste in den Kinos gezählt. Das seien mehr als doppelt so viele wie in den Hochburgen München und Hamburg.
Im ersten Halbjahr 2012 seien die Besucherzahlen nochmals um fünf Prozent gestiegen, hieß es weiter. Die Ticketumsätze hätten zwischen Januar und Juni 2012 um 6,6 Prozent zugelegt. Positiv vermerkt wurden auch die Effekte durch Filmdrehs und die Berlinale selbst.
Die Stadt ist dem Untergang geweiht – ihre Helden leben in einem Vakuum des nicht-mehr und noch-nicht. Jahre nach der Wende schwenkt die Kamera in Wolfgang Beckers Film „Das Leben ist eine Baustelle“ (1997) noch immer über Fassaden voller Einschusslöcher an der Schönhauser – nur, dass schon überall renoviert wird. Die Dropouts dieses Films wissen trotzdem nicht, wohin mit sich, bilden Ersatzfamilien, jobben im Schlachthaus oder als Weihnachtsmann im Supermarkt. Am Schluss rennt ein Junge seiner Freundin nach und springt auf die fahrende Tram, in der sie Akkordeon spielt. Ob die beiden schnell genug sind für die Fahrt, die die Stadt aufgenommen hat?
Der bis dato letzte Film, der rund um die Schönhauser Allee gefilmt wurde, ist Jan Ole Gersters „Oh Boy“, der vergangenen Herbst in die Kinos kam. Auch hier schaut ein junger Loser traurig auf die Hochbahn. Er ist müde, seine Sehnsucht nach Kaffee groß. Die Stadt, in der es sich einmal gut und weitgehend ungestört vom besseren Leben träumen ließ, gibt es aber nicht mehr, sie spiegelt sich nur noch in seinem melancholischen Gesicht.
„Oh Boy“ ist ein schlauer Film, der weiß: Das Berlin der großen Freiräume ist längst geronnen zu einem hohlen Image, das jeder Realität entbehrt. Das wird nicht nur von Politik und Stadtmarketing bemüht, sondern auch von Hollywood: Steven Spielbergs Firma DreamWorks drehte gerade im Tacheles für einen Film, der nicht vom Tacheles handelt.
Der Zug ist abgefahren, und zwar endgültig. Wer heute noch etwas über die Wirklichkeiten dieser Stadt erzählen will, muss die letzten Ruinen Ostberlins und die Hochbahn in Prenzlauer Berg meiden. Er sollte ausweichen, in den Westen. Zum Beispiel an den Bundesplatz.
Dieser Text ist Teil des Schwerpunkts der Wochenendausgabe der taz.berlin aus Anlass der Berlinale, die kommende Woche beginnt. In der taz.berlin außerdem: Ein Besuch am Bundesplatz, der seit mehr als 25 Jahren von zwei Filmemachern begleichtet wird, und ein historischer Blick auf die Stadt im Film. Im Briefkasten oder am Kiosk
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