Das Auswärtige Amt und der Fall Käsemann: Der Unwille zu helfen
Während andere Regierungen ihrer Bürger aus den Händen der argentinischen Militärs befreiten, blieb den Deutschen jede Hilfe versagt.
BERLIN taz | "Kein einziger Deutscher hätte damals sterben müssen, wenn unsere Diplomaten und Politiker tatsächlich den Willen gehabt hätten, diesen 'Verschwundenen' zu helfen," resümiert der Dokumentarfilmer Frieder Wagner seine Recherchen zum Verhalten des Auswärtigen Amtes gegenüber der argentinischen Militärdiktatur.
Zu dem gleichen Ergebnis war auch Professor Ernst Käsemann gekommen, der Vater der ermordeten Elisabeth Käsemann: Wegen unterlassener Hilfeleistung klagte er Außenminister Hans-Dietrich Genscher an - die Klage wurde 1980 abgewiesen. Nach allem, was heute bekannt ist, genügt die Beschreibung "unterlassene Hilfeleistung" vermutlich nicht - eher dürfte von offener Kumpanei die Rede sein.
Immerhin schrieb das Auswärtige Amt noch 1977, als etliche der Menschenrechtsverletzungen der Diktatur bereits bekannt waren, in einem internen Papier: "Nach dem Scheitern aller Versuche, auf verfassungsmäßigem Wege das unter dem unfähigen und korrupten peronistischen Regime entstandene Machtvakuum auszufüllen, war das Eingreifen der Streitkräfte der einzig gangbare Ausweg." So bewerteten auch die konservative bundesdeutsche Zeitungen den Putsch in Argentinien.
Es waren knapp über 100 Deutsche und Deutschstämmige, die in die Fänge der Diktatur gerieten und ermordet wurden. Während Großbritannien, Österreich und viele andere Länder es schafften, viele ihrer Staatsbürger durch rasches Handeln freizubekommen, blieb den Deutschen jede Hilfe versagt - kein einziger wurde gerettet. Die Beteuerungen des Auswärtigen Amtes gegenüber Familienangehörigen, man unternehme "alles nur menschenmögliche", war eine Schutzbehauptung.
Erfolglose Bitte um Hilfe
Denn schon wenige Tage nach ihrer Verschleppung war das Schicksal Käsemanns auch in Deutschland bekannt: Die Britin Diana Austin, eine Freundin Käsemanns, war am gleichen Tag verhaftet worden und hatte die Deutsche noch in Polizeihaft gesehen.
Als Austin - nicht zuletzt auf Intervention der britischen Regierung - nach Tagen schwerer Folter und mehrfacher Vergewaltigung freikam, rief sie die Familie Käsemann an, erzählte, was vorgefallen war, und schrieb dann von ihrem Fluchtort New York aus einen detaillierten Bericht, den sie auch ans Diakonische Werk und an Amnesty International sandte. All das wurde dem Auswärtigen Amt am 26. April 1977, einen Monat vor der Ermordung Elisabeth Käsemanns, vorgelegt und dringend um Hilfe gebeten. Erfolglos.
Das Auswärtige Amt ließ mitteilen, da die argentinische Regierung von einer Elisabeth Käsemann nichts wisse, könne sie nichts unternehmen. Und selbst als die Leiche Elisabeth Käsemanns nach Deutschland überführt worden war und die Obduktion die Ermordung festgestellt hatte, glaubte die Bundesregierung offiziell noch immer an die Version, nach der Käsemann bei einem Gefecht mit Guerilleros getötet worden sei.
So oder so ähnlich verhielt sich das Auswärtige Amt in allen Fällen, bei denen Angehörige deutscher "Verschwundener" auf die Verpflichtung der Bundesregierung zur Hilfe gehofft hatten. Gleichzeitig wurde die Bundesrepublik zum wichtigsten Waffenlieferanten der Militärdiktatur. Eine Aufarbeitung dieses Kapitels deutscher Diplomatie steht noch aus.
Weitere Informationen: "Dass du zwei Tage schweigst unter der Folter! Elisabeth Käsemann, Klaus Zieschank, die Diktatur in Argentinien und die Leichen im Keller des Auswärtigen Amtes". Laika Verlag Hamburg
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