■ Das Aufbauprogramm Ost der SPD trifft die Stimmungslage: Bescheidenheit ist angesagt
Es ist schon erstaunlich, welches Maß an ökonomischem Pragmatismus die SPD an den Tag legt, wenn vom Osten die Rede ist. Während Oskar Lafontaine für den Westen Lohnerhöhungen fordert, um die Kaufkraft und damit die Binnennachfrage anzukurbeln, wird den neuen Bundesländern der umgekehrte Weg empfohlen. Löhne und Tarife sollen kaum steigen und sich am Produktivitätszuwachs der Unternehmen orientieren. Im Gegenzug erhofft sich die SPD mehr Arbeitsplätze, verlangt eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital.
Das sind die Kernthesen des Wahlprogramms Ost, das Parteichef Oskar Lafontaine und Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe gestern in Bonn vorstellten.
Das Ost-Programm trägt nicht nur dem tatsächlich vorhandenen Wirtschaftsgefälle zwischen Osten und Westen Rechnung. Deutlich ist die nüchterne Handschrift des SPD-Parteichefs selbst aus dem Programm herauszulesen. Hatte nicht Lafontaine 1990, damals noch als Kanzlerkandidat, gegenüber einer schnellen Währungsunion mit der DDR vor dem Zusammenbruch der in die Privatisierung entlassenen Planwirtschaft gewarnt? Acht Jahre später, angesichts der tristen Realität im Osten, muß Lafontaine seine Einschätzung von damals nur in die Gegenwart fortschreiben. Was bleibt, ist ein gehöriges Maß an Skeptizismus gegenüber der ökonomischen Chance des Ostens – diesmal allerdings unterfüttert durch die wirtschaftlichen Realitäten.
Zeitlich hätte das Ost-Programm der SPD nicht besser plaziert werden können. Zwar auf die Bundestagswahl ausgerichtet, soll es Ende April in Sachsen- Anhalt Früchte tragen. Die dortige Wahl, bei der die rot-grüne Landesregierung auf dem Prüfstand steht, wird zum Testfeld für die Akzeptanz der SPD im Osten. Das Signet steht seit gestern fest: östliche Bescheidenheit. Das trifft die Stimmungslage, nicht nur die in Sachsen-Anhalt. Fast überall in den neuen Ländern lautet die Devise: Erfolg ist, wenn die Verhältnisse nicht noch schlechter werden, als sie schon sind.
Mit ihrem nüchternen Blick verschafft sich die SPD zu guter Letzt einen taktischen Vorteil sowohl gegenüber der CDU als auch der PDS. Die CDU wird nicht müde werden, auf die Erfolge ihres Einheitskanzlers Helmut Kohl zu verweisen. Ein Pfund, mit dem sie kaum noch wuchern kann, das sich schon verbraucht hat. Sie gerät in Gefahr, die Wirklichkeit allzu offensichtlich schönzureden. Und die PDS wird sich auf ausufernde Forderungen nach staatlich finanzierten Beschäftigungsprogrammen kaprizieren und damit als unsolider Gaukler erscheinen. Severin Weiland
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