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Archiv-Artikel

„Das Ästhetische ist politisch“

Seit fast zwanzig Jahren zeigt das Verborgene Museum ausschließlich Kunst von Frauen. Die Malerin Gisela Breitling hat es mitgegründet – aus Protest gegen eine männerdominierte Kulturschreibung

VON WALTER SCHWAB

Die Rednerin: Das Verborgene sei das Weibliche, wird gerne gesagt. Irgendwann im Lauf der Kulturgeschichte wurde vom Anatomischen – dem versteckten Geschlecht – offenbar direkt auf die gesamte weibliche Hälfte der Menschheit geschlossen. Anders lässt sich nicht erklären, warum Politik und Kultur bis heute so vermittelt werden, als kämen sie weitgehend ohne Frauen aus.

Der Zwischenrufer: Halt! Stopp! Gibt es nicht Condoleezza Rice, Angela Merkel und Alice Schwarzer und in Berlin – na, sag schon – ach, egal. Ihr Feministinnen seid in den 80er-Jahren stehen geblieben und wollt den Fortschritt nicht sehen. Außerdem: Sag endlich, worum geht es?

Der Moderator: Es geht um das Verborgene Museum, das nächstes Jahr zwanzig wird. Eigentlich ist es eine Galerie, kein Museum, weil es keine eigene Sammlung hat. Versteckt in einem Charlottenburger Hinterhof liegt es. Es ist das einzige in Berlin, das konsequent nur Kunst von Frauen ausstellt. Die kramt es aus kaum zugänglichen Nachlässen und versteckten Depots hervor.

Um das überhaupt leisten zu können, stellen die drei Frauen, die sich heute um das Museum kümmern, die Malerin und Essayistin Gisela Breitling, die Kunsthistorikerin Elisabeth Moortgat und die Theaterwissenschaftlerin Marion Beckers, mittlerweile vorwiegend Arbeiten von Künstlerinnen aus, die im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts aktiv waren. Das ist eine der Chancen, dem Museum ein Profil zu geben. „Ohne Profil geht heute gar nichts“, sagt Gisela Breitling. Sie meint es ironisch, hält sich aber daran. Denn was bringt es, sich so an den Gesetzen des Mainstream zu reiben, bis man blutet?

Derzeit zeigt das Verborgene Museum Skizzen von Grethe Jürgens, einer Vertreterin der „Neuen Sachlichkeit“, die von 1899 bis 1981 lebte und die meiste Zeit in Hannover verbrachte. Großes zeichnerisches Können, eine radikale Strichführung und ein scharfer Blick auf die Realität offenbaren sich in den postkartengroßen Werken. Sie ahnen eine dunklere Wirklichkeit voraus. Jürgens hatte kaum 30-jährig entschieden, sich als Künstlerin selbstständig zu machen. Was das bedeutete? Hartes Brot! Zumal sie während der Nazizeit in die innere Emigration ging und sich – wie viele ihrer Zeitgenossinnen – nach dem Krieg schwer tat, als Künstlerin wahrgenommen zu werden. Im Zuge der Aufmerksamkeit, die der „Neuen Sachlichkeit“ in den 70er- und 80er-Jahren zukam, erfuhr Jürgens aber noch zu Lebzeiten Anerkennung für ihr Frühwerk. Heute nimmt kaum mehr jemand von ihr Notiz. „Das Ästhetische ist politisch“, sagt Breitling deshalb bei der Ausstellungseröffnung. Soll heißen: Was wahrgenommen wird, unterliegt mehr als nur Fragen des Geschmacks. Es ist ihre Erweiterung des Slogans der Frauenbewegung, der forderte, das Private politisch zu verstehen.

Damals, als dieser Slogan noch nicht belächelt wurde, als Abtreibung in manchen Gegenden Deutschlands noch ein Verbrechen war, als Ehefrauen für einen Kredit die Unterschrift ihrer Männer brauchten, als Vergewaltigung in der Ehe Recht und sexueller Missbrauch von Kindern ein Kavaliersdelikt war, und als Politik und Kultur mit großer Selbstverständlichkeit ohne Frauen auskamen, gründete eine Hand voll Feministinnen das Verborgene Museum.

Denn neben den sichtbaren Museen gibt es die versteckten. Gemeint sind Archive und Depots. In Katakomben, Kellern und Tiefgaragen unter den staatlichen Galerien und Kunstinstituten lagert, was nicht ausgestellt wird. Um diese für die Öffentlichkeit verschlossenen Abteilungen ging es den Frauen. Sie vermuteten zu Recht, dass dort – wenn überhaupt – die Werke von Künstlerinnen verstaubten.

Was sie bei ihren Streifzügen ans Licht brachten, wollten sie 1987 in der Akademie der Künste ausgestellt wissen. Für den 750. Geburtstag Berlins schickte man sich an, die Stadt wie einen Geck herauszuputzen. Im Westen spielte Geld dabei keine Rolle, selbst im Osten wurden entlang mancher Straßen die Fassaden renoviert.

Es spricht für das subversive Denken der Frauen, die das Konzept des Verborgenen Museums entwickelten, dass sie sich genau in diesem Moment durch die Verliese wühlten, wo außen alles auf Glanz getrimmt wurde. Natürlich wurden sie in den Kellern fündig. Ein Teil der Ausbeute – Bilder und Objekte von über 150 Frauen – wurde am Ende in der Akademie der Künste gezeigt. Darunter berühmte alte Meisterinnen wie Angelika Kaufmann, Marie-Louise Elisabeth Vigée Le Brun, Sofonisba Anguissola.

Gisela Breitling war eine aus der zeitweise fast zwanzigköpfigen feministischen Aktivistinnengruppe – die Einzige, die bis heute dabei ist. Wer von ihnen genau die Frage stellte, was eigentlich mit jenen Künstlerinnen sei, die es noch nicht einmal in die Depots der Museen schaffen, weiß sie heute auch nicht mehr. Ihnen jedenfalls war das Verborgene Museum gewidmet, das 1986 in der Charlottenburger Schlüterstraße entstand.

Die 1939 in Berlin geborene Breitling ist selbst Malerin. Wie viele Berliner Künstlerinnen, die noch Erinnerungen an den Krieg haben, malt sie gegenständlich. Als müssten sie durch ihre Kunst das, was sie kaputt gehen sahen, zumindest bildlich wieder zusammenfügen. Bei Breitling ist diese Entwicklung konkret nachzuvollziehen. In ihren frühen Arbeiten stehen die meist weiblichen Figuren wie lebendig blickende, aber dennoch zerstörte Ikonen auf Ruinen. Radikale Absage an Zukunft war das. Im Laufe der vergangenen dreißig Jahren haben sich ihre Frauenfiguren – neben Stillleben das meistgemalte Motiv – allerdings erholt. Nackt und schutzlos sind sie immer noch, aber nun kommen sie als Synthesen der Kunstgeschichte der letzten 500 Jahre daher. Gotische Entsagung zelebrieren sie und barocke Opulenz.

„Gegenständlich wurde immer gemalt“, meint Gisela Breitling und kritisiert damit den Vorwurf, sie hätte sich damit radikal vom Mainstream der Kunstentwicklung entfernt. „Dies nicht wahrnehmen zu wollen ist Teil eines ausgrenzenden Systems. Wo gibt es denn das: nur eine Kunstrichtung?“ Wer genötigt wird, darauf eine Antwort zu geben, vernichtet sich unter Umständen selbst, denn „Diktatur“ und „Zensur“ könnte sie lauten. „Was also bedeutet es, wenn nur eine Kunstrichtung in der Rezeption Gültigkeit erlangt?“ Breitling ist eine luzide Denkerin, die mit Worten weiterhin gegen die Eliminierung der Frau aus Kunst, Politik und Gesellschaft anspricht. Bei Eröffnungen im Verborgenen Museum kann man sich an ihren scharfsinnigen Überlegungen, die es mittlerweile selbst in Aphorismensammlungen geschafft haben, reiben. „Was der Frau verboten ist, macht den Mann männlich.“

Zwischenrufer: Bist du jetzt endgültig zum Frauenversteher geworden?

Die Rednerin: Kapier es endlich: Es gibt keine Aufbruchsbewegung in der Folge der 68er, die so viel Veränderung in der bundesrepublikanischen Gesellschaft bewirkt hat wie die Frauenbewegung. Und keine andere – sei es die für den Frieden oder die Umwelt – wird für das, was sie geleistet hat, heute so niedergemacht, ignoriert, für obsolet erklärt und belächelt wie die Frauenbewegung. Darum geht es. Darum geht es auch im Verborgenen Museum.

Grethe Jürgens: Aus den Skizzenbüchern 1919–1921. Bis 20. März im Verborgenen Museum, Schlüterstraße 70. Do.–Fr. 15–19 Uhr, Sa.–So. 12–16 Uhrwww.dasverborgenemuseum.de