■ Silvio Berlusconi besucht heute Helmut Kohl
: Darf man so einem die Hand geben?

Wie geht man mit einer Regierung um, in der auch Faschisten sitzen? Darf, kann, soll man Silvio Berlusconi die Hand geben oder ihn am besten gleich boykottieren? Scharf anreden, Ultimaten stellen? Das Land international isolieren, wie vordem Pinochets Chile?

Zunächst drei nüchterne Feststellungen:

Erstens: Die Regierung Berlusconi ist aus freien Wahlen entstanden. Der Koalitionspartner Nationale Allianz (in der das Movimento sociale, die Nachkriegs-Sammelbewegung der Faschisten, das Sagen hat) hat einen Stimmenanteil von knapp über 12 Prozent; die Leute, die die Nationale Allianz wählen, wissen, was sie tun, denn seit den Parlamentswahlen vor drei Monaten ist kein Tag vergangen, an dem nicht die faschistische Gefahr beschworen wurde – und doch haben die Wähler vergangenen Sonntag bei den Europa-Abstimmungen ihr Kreuzchen wieder hinter der Nationalen Allianz gemacht. Es ist eine bewußte Entscheidung für eine Partei, der nicht einmal ein Verfahren, geschweige denn ein Verbot wegen Verfassungsfeindlichkeit anhängt.

Zweitens: Es gibt derzeit überhaupt keine Alternative zur Berlusconi-Fini-Bossi-Koalition; selbst Neuwahlen würden daran nichts ändern, wie die satten 50 Prozent Stimmen der drei Formationenen bei den Europawahlen zeigen. Weder die Linksdemokraten noch die Neokommunisten der Rifondazione, noch die ehemaligen Christdemokraten der Volkspartei, noch die Segni-Anhänger, noch die Grünen wollen mit Berlusconi paktieren. Welche Regierung also? Eine Notstandsregierung von der Art, wie sie zum Untergang der Weimarer Republik geführt hat? Ganz abgesehen davon, daß sich die Wählermehrheit an der Nase herumgeführt sähe, würde man ihren Willen so mißachten.

Drittens: Keiner der Minister der Nationalen Allianz hat jemals eine gerichtliche Anklage oder ein Ermittlungsvefahren am Hals gehabt, weder wegen verfassungsfeindlicher Tätigkeit noch wegen anderer strafrechtlich relevanter Verfehlungen. Auch politisch bekennt keiner von ihnen sich zu einem Programm, das verfassungswidrige Ziele verfolgt. Natürlich kann man annehmen, daß viele Neofaschisten das Verbot der Neugründung der Mussolini-Partei in der Verfassung gerne streichen, internationale Verträge – wie den über die Zugehörigkeit von Istrien und Dalmatien zu Jugoslawien – brechen und gar kriegerische Abenteuer auf dem Balkan und in Nordafrika durchaus in Erwägung ziehen möchten. Nur: Aus dem Programm läßt sich dies nicht ableiten. Wir müssen also wohl oder übel zunächst einmal die uns doch sonst so heilige Unschuldsvermutung anwenden. Und vielleicht sollten wir auch bedenken: Keiner dieser Minister hat je unschuldige Presseleute eisperren lassen wie weiland Franz Josef Strauß die halbe Spiegel-Redaktion, Augstein inklusive; keiner von ihnen hat sich bei Skandalen davongestohlen wie Frankreichs Mitterrand, dessen Premierminister sich darob umbrachte; keiner hat bei seinen politischen Gegnern einbrechen und abhören lassen wie US-Nixon.

Und keiner hat mafiose Bandenbildung und Anstiftung zum Mord betrieben, wie sie die Staatsanwälte dem siebenmaligen Regierungschef Andreotti vorhalten, den Deutschlands, Frankreichs, Englands, Amerikas Regierungen immer gerne bei sich sahen (und dem der damalige Außenminister Genscher zum Siebzigsten einen Leitartikel in La Repubblica gewidmet hat: „Viel Glück, Giulio“). Man sage nicht, die Vorwürfe gegen den Mann seien nicht bekannt gewesen. Es gab immerhin zwei Dutzend Ermittlungsverfahren gegen Andreotti, und einige Male hat er sich nur über seine parlamentarische Immunität vor dem Knast gerettet. Wir können gerne auch hier bis zum Urteil die Unschuldsvermutung in Stellung bringen. Nur dann bitte auch bei den polizeilich unbescholtenen Ministern der Nationalen Allianz.

All diese schweren Verfehlungen, in einigen Fällen auch Verfassungsbrüche, sind in demokratischen Ländern geschehen, doch niemand kam je auf die Idee, diesen staubigen, schmierigen oder gar blutbefleckten Burschen den Handschlag zu verweigern.

Dabei gäbe es tatsächlich Gründe, die italienische Regierung und insbesondere Berlusconi und noch einmal speziell einige seiner Minister zu rüffeln – aber es sind viel weniger die der Nationalen Allianz als die aus dem Stall des Ministerpräsidenten selbst. Der Publizist Giorgio Bocca hat in einem bemerkenswerten Aritkel in L'Espresso und erneut in La Repubblica geschrieben: „Ich habe viel weniger vor den Neofaschisten Angst als vor der konzertierten Aktion, die sich da zwischen Berlusconis Ministern und dem Mafia-Oberhaupt Toto Riina ankündigt. Die Minister geben genau dieselben Erklärungen wie Riina von sich: Sie behaupten, Oberermittler wie der palermische Oberstaatsanwalt Giancarlo Caselli, Mafia-Experten wie Pino Arlacchi, Politiker wie der bis vor kurzem amtierende Chef der Anti-Mafia-Kommission, Luciano Violante, täten nichts anderes, als ,kommunistische Komplotte‘ zu schmieden. Man solle die aussagewilligen Mafia-Dissidenten nicht mit Sonderbewachung schützen, sondern in gewöhnliche Gefängnisse verbringen, da würden sich die Mafiosi dann schon um sie kümmern.“

Für Bocca, der selbst Partisan war und der eine der kritischsten Mussolini-Biographien („Mussolini Socialfascista“) geschrieben hat, birgt das derzeitige Zusammenspiel der Drohungen, die Riina während Verhandlungspausen in die Kameras spricht, mit regierungsamtlichen Stellungnahmen die große Gefahr, daß wir „erneut zu einer Restauration des Zusammenlebens von Staat und Antistaat kommen, zu einer Mehrheit von Polizisten, Ermittlern, Richtern auf der Seite der Cosa nostra anstatt, wie derzeit, auf der Seite von Recht und Gesetz“.

Hier wäre der Ansatz, Berlusconi die Leviten zu lesen. Fraglich freilich, ob sich unser Kohl oder Frankreichs Mitterrand derlei überhaupt trauen – Berlusconi könnte ihnen nämlich antworten, daß ein gut Teil mafioser Macht in Italien auch dadurch zustande gekommen ist, daß die anderen Europäer sich bis heute weigern, im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität wirklich zusammenzuarbeiten. Bis heute ist Europol lediglich ein Minitorso aus einer Handvoll Beamten, haben die meisten Länder – Deutschland eingeschlossen – noch kein Geldwäschegesetz, das auch nur annähernd dem Italiens gleichkäme, ist eine Abstimmung einschlägiger Gesetze in weiterer Ferne, gestalten sich grenzüberschreitende Ermittlungen zu Lachnummern. Hier läge das Gebiet für wirkliche Kritik, aber auch wirkliche Hilfen – und der beste Schutz vor dem Faschismus. Denn wenn der sich doch noch ausbreiten und durchsetzen sollte, kann er nur auf zweierlei Mist wachsen: einer immer mächtigeren Angst vor der Kriminalität, die den Ruf nach dem starken Mann fördert – und der Erkenntnis, daß Europa hier überhaupt nicht hilft, weshalb man sich eben wieder auf die „nationalen“ Kräfte besinnen muß. Werner Raith