■ Thema Kampfhunde: Es ist dringend Zeitfür die Thematisierung der Rolle der Medien: Darf man damit Politik machen?
1. Keineswegs eine Lobby von Zuhältern und Züchtern, sondern der deutsche Städtetag hat vor wenigen Jahren eine Studie initiiert, um herauszubekommen, welche Rassen vorzugsweise zu verbieten sind, damit effektiv die Zahl der Hundeunfälle verringert werden kann. Die Ergebnisse deckten sich trotz der eindeutigen Absichten der Auftraggeber mit den Auffassungen der Kynologen und Verhaltensforscher: Die Unfälle sind nach allen Erhebungen so gleichmäßig über die Population aller Rassen und Mischlinge verteilt, dass Verbote einzelner Rassen keinen Nutzen haben werden.
[...] Wenn sogar die Institutionen, die Rassenverbotslisten erarbeiten wollten, herausgefunden haben, dass diese wirkungslos sind, wie kommt es dann jetzt zu diesem irrwitzigen Amoklauf der Legislative?
Weil es sich um ein primitives Verfahren handelt, verlorene Glaubwürdigkeit beim Wähler wettzumachen: Es ist sehr viel billiger und leichter, Verbote und Tötungen zu verordnen, als die Ordnungsämter und Veterinärbehörden personell und materiell so auszustatten, dass sie mit der nötigen Sorgfalt auf Hinweise zu Problemhunden achten können. [...]
2. Es ist dringend Zeit für die Thematisierung der Rolle der Medien in dieser Angelegenheit. Dass Politiker in jeder Lebenslage Wahlkampf machen, lohnt nicht die Empörung. Dass die Sender und die Presse nur Quoten und Auflagen interessiert, die mit zähnefletschenden Hunden leicht zu bekommen sind, ist auch nicht gerade eine neue Erkenntnis. Doch wenn Zeitungen einen weitergehenden Anspruch erheben, sollte man journalistische Selbstgerechtigkeit mit dem Thema Verantwortung konfrontieren dürfen. [...]
Die stete Wiederholung bestimmter Bilder, die gierige Präsentation von Fällen, die früher höchstens für den Lokalteil gereicht hätten, schuf die Vision einer Flut von Monstern, die mit ihren Zuhältern neuerdings an jeder Straßenecke wohnen. Jeder Journalist muss wissen, dass die Berichterstattung so die statistisch erfassbare Wirklichkeit verdrehen kann. Kein Zweifel: Sollte man sich darauf verlegen, jeden Tag farbig zu zeigen, wie in Wohngegenden Kinder von Rasern getötet werden, dann würden bald Bürger in den Wohnzeilen mit Harken und Winkelschleifern auf Autos losgehen.
Doch hier geht es nicht um totes Blech, sondern um lebende Tiere und ihre Besitzer. Wo bleibt die vermeintliche Objektivität der Medien, wenn wir von der entstandenen Hunde-Pogromstimmung, von der Lynchjustiz auf deutschen Straßen nichts erfahren? Es geht nicht um ein paar Pöbeleien, sondern darum, dass dieser Tage Hundehalter zusammen mit ihren völlig unauffälligen Hunden gesteinigt werden (keine Metapher), dass in keiner Weise verdächtige Hunde mit Benzin übergossen und angezündet werden, dass an der Leine den fassungslosen Besitzern ihre Tiere abgestochen werden usw.
Dass das nicht thematisiert wird, lässt den Verdacht zu, dass es eben nicht nur auf die Einschaltquoten und Auflagen ankommt, denn dafür wären diese Berichte nützlich. Dass diese Hysterie zu schildern den Medien nicht ins Konzept passt, zeigt zumindest, dass sie doch eine eigene Politik betreiben, die sich hinter dem vermeintlich heldenhaften investigativen Berufsethos versteckt. Selbstkritik der Presse durch Empörung über einen Klatschreporter, der harmlose Prominenteninterviews fälscht, bedeutet in dieser Situation eine abstoßende Verharmlosung. Der Schaden, den dieser allzu literarische veranlagte Journalist anrichtet, ist nichts im Vergleich zum systematischen Schüren des Volkszorns, weil man im medienwirksamen Rotlichtmilieu statt deutscher Schäferhunde nun Hunde hält, die man mit dem nichtssagenden, aber medienwirksamen Namen „Kampfhunde“ bezeichnen kann und die medienwirksam hässliche Gesichter haben. Natürlich muss man dann auch Fernsehberichte über Rettungshunde schnell aus dem Programm nehmen ...
Wenn Presse und Fernsehen beweisen wollten, dass sie die Macht haben, durch eine auf ein Thema konzentrierte Berichterstattung Politik zu erzwingen, dann ist es ihnen jedenfalls gelungen.
Was bleibt, wenn all das keine Schlagzeilen mehr hergibt? Natürlich werden wir weder von den Politikern noch von den Vertretern der Medien eine Entschuldigung zu hören bekommen, wenn die Verbotsorgie die Unfallstatistik nicht verbessert haben wird. Dafür quellen bereits jetzt die Tierheime über, da die Halter die Diskriminierung auf den Straßen nicht mehr ertragen, wenn ihre Tiere nicht gar aus institutionalisierter Sippenhaft getötet werden. Was auch bleiben wird, sind die monströsen Steuern, die weiterhin zweckfrei bleiben, also ohne den Tierheimen oder der Beschäftigung mit Problemhunden durch die Ordnungsämter zugute zu kommen. Wie leicht es doch ist, Steuern zu verzwanzigfachen in einem Staat, der es nicht einmal schafft, ein Tempolimit auf Autobahnen einzuführen, durch das so viele Todesfälle vermieden würden, dass die Opfer von Hundebissen wieder als bedauerliche statistische Randerscheinung wahrgenommen würden.
Natürlich ängstigt sich bald jedes Kind vor jedem Hund, wenn es nur noch diese Eindrücke vermittelt bekommt. Doch darf man damit Politik machen? Wenn Frauen nachts durch einsame Straßen gehen, ist ihre Angst bei der Begegnung mit einer Gruppe junger Männer um vieles stichhaltiger – dennoch diskutieren wir kein abendliches Ausgehverbot für alle Männer unter 30.
Sicher: Keine großen Hunde mehr = keine Beißunfälle. Analog: Keine Kraftfahrzeuge mehr = keine Verkehrstoten, keine freilaufenden Männer mehr = keine Vergewaltigungen. Die Intelligenz von Journalisten (und auch von Politikern) sollte mehr hergeben, beispielsweise sollten sie in ihrem Gedächtnis unter dem Propagandaschutt das Prinzip Verhältnismäßigkeit wiederentdecken.
URSULA RIPKE, CHRISTIAN NAU, Bunderhee
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