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Darf die Sowjetunion auf Hilfe hoffen?Zusagen für Gorbatschow nicht in Sicht

■ Für den sowjetischen Präsidenten sei „die Zeit nicht reif“, heißt es in Tokio. Möglicherweise ist damit bereits zu Beginn des Londoner Wirtschaftsgipfels das letzte Wort über eine konkrete UdSSR-Hilfe gesprochen worden.

Geld für Gorbatschow? Dollars gegen Demokratie? Die Debatte darüber füllt seit Monaten die Kommentarspalten der amerikanischen Presse und bleibt am Ende doch immer in der Abstraktion stecken. Die Meinungen gehen hier weit auseinander: zwischen liberalen Sowjetgönnern und konservativen Skeptikern, zwischen Internationalisten und Isolationisten, zwischen großzügigen Akademikern und geizigen Politikos.

Die einen argumentieren, daß selbst Millardenhilfen an Moskau ja nur einen winzigen Bruchteil des Bruttosozialprodukts ausmachen würden, und sich die Stabilität des sowjetischen Reiches am Ende selbst für die USA bezahlt mache. Die anderen weisen dagegen auf die Löcher in der eigenen Haushaltskasse hin.

Die Bush-Administration hat von Beginn an klargestellt, daß — Hilfe ja, Mammutkredite nein — hier in jedem Falle nur kleine Summen zur symbolischen Stützung Gorbatschows über den großen Teich geschickt würden. Und auch das nur zu bestimmten Bedingungen, die es eben auf dem Londoner Wirtschaftsgipfel auszuhandeln gelte.

Die Sowjetologie erlebt in den USA den größten Boom aller Zeiten. Für Washingtons „Think-Tank“- Elite ist der Moskau-Shuttle zum monatlichen Pflichtprogramm geworden. Uns Journalisten gehen die Namen der Moskaulogen in der „Brookings Institution“ oder dem „American Enterprise Institute“ längst runter wie ein doppelter Wodka.

Die 'New York Times‘ schickt ihre Späher übers Land, um dem Volk den Puls zu fühlen, ist sich am Ende jedoch nicht sicher, ob der in Sachen Sowjethilfe überhaupt schlägt. Die Argumente kommen zögernd, sind widersprüchlich: „Das ist eine gute Idee — vielleicht auch nicht“, diktiert der 40jährige Vietnamveteran Aaron K. Bilyeu aus Auburn dem Reporter ins Notizbuch, stellvertretend für zahlreiche andere Unentschlossene.

Begonnen hatte die Debatte über den internationalen Tropf für das kollabierende Sowjetreich im Mai an der ehrwürdigen Harvard-Universität. Ein US-sowjetisches Ökonomenteam unter Harvard-Professor Graham Allison und mit Jelzin-Berater Gregori Jawlinski begann mit der Ausarbeitung eines Plans zur Transformation der sowjetischen Kommandowirtschaft hin zur Marktwirtschaft, der sich bald zur Grundlage der Diskussion in den USA entwickelte. Dem sogenannten „Jawlinski- Plan“ zufolge sollten westliche Finanzhilfen von 20 bis 35 Milliarden Dollar an die Durchführung mehrerer Reformschritte in der Sowjetunion geknüpft werden: die Konvertibilität des Rubels, die Aufhebung von Preiskontrollen, Privatisierungen, Budgetkontrolle und das Versprechen demokratischer Wahlen.

Während sich in den darauffolgenden Wochen in Washington die Primakows und Schtscherbakows im Weißen Haus die Klinke in die Hand gaben und lange Referate über die Reformbereitschaft der Perestroika- Mannschaft hielten, nahmen liberale Kolumnisten die Idee des „Great Bargain“, der großen Chance, begeistert auf. Wenn der Welt die Rettung Kuwaits 100 Milliarden Dollar wert gewesen sei, so Russell Baker in der 'New York Times‘, dann sollte ihr die Rettung der Perestroika doch mindestens ebensoviel bedeuten. Im Vergleich zu den Kosten eines möglichen Zerfalls der Sowjetunion, so argumentierte auch der demokratische Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, Richard Gephardt, hielten sich die Kosten für eine Stimulierung der Sowjetreformen noch in Grenzen.

Doch nicht alle teilen die missionarische Euphorie zur Rettung der Sowjetunion. In der Produktion von Reformplänen, erklärte der Leiter des Rußland-Zentrums an der Harvard Universität, Marshall Goldmann, sei die Sowetjunion jetzt schon Weltmeister. Das besondere Problem mit dem Jawlinski-Plan sei, so Dimitri Simes vom „Carnegie Institute for Peace“, daß dieser am Ende von der reaktionären Riege um Premierminister Pawlow implementiert werde. „Wer Gorbi Geld gibt — killt die sowjetischen Reformen“, kommentierte 'Business Week‘ kurz und trocken.

Konservative Kritiker stört besonders, daß bereits amerikanische Steuerdollars verplant werden, während die Sowjetunion alljährlich noch Milliardenhilfen nach Kuba schickt, sich weiter einen aufgeblähten Rüstungssektor leistet und im Baltikum mit scharfer Munition auf die Unabhängigkeitsbewegungen zielen läßt. Gelder an die Sowjetunion, so Ex-Präsident Richard Nixon nach seiner jüngsten Moskaureise, seien nur „kontraproduktive westliche Schmerzmittel“. Und sein Adlatus Henry Kissinger warnte den Westen vor der Einmischung in die sowjetischen Angelegenheiten, um nicht hinterher für Leiden der daraus resultierenden Austeritätspolitik verantwortlich gemacht zu werden.

Zwischen diesen Polen eines liberalen Optimismus und konservativen Zynismus fährt die Bush-Administration einen pragmatischen Mittelkurs. Man hält die Erwartungen in bezug auf großzügige Finanzhilfen, wie sie in Bonn oder Rom diskutiert werden, möglichst niedrig, gewährt der Sowjetunion aber durchaus einen 1,5-Milliarden-Dollar-Kredit zum Einkauf von Getreide. Schließlich profitieren davon auch die Farmer des amerikanischen Mittelwestens. Man äußert sich skeptisch über die hochfliegenden Pläne für den Reformprozeß in der Sowjetunion, bietet Moskau aber die assoziierte Mitgliedschaft im Internationalen Währungsfonds an.

Damit werden die Vertreter der Theorie von der „Großen Chance“ geschickt abgespeist, ohne den isolationistischen Flügel der republikanischen Rechten allzu sehr zu verärgern. Die Debatte über „The Great Bargain“ bleibt im Raum, eine höhere Belastung des US-Haushalts jedoch ausgeschlossen. Und dies kann George Bush nur recht sein. Angesichts der Situation in der Sowjetunion müssen selbst die Zustände in den amerikanischen Innenstädten geradezu idyllisch erscheinen. Rolf Paasch, Washington

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