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Darf Egbert Weiß wieder zuschlagen?

■ Der Antrag auf Wiederaufnahme des Ossietzky- Verfahrens blieb im Kammergericht auf dem Dienstweg hängen

Das hatte sich der renommierte Strafverteidiger Gerhard Jungfer nicht träumen lassen: Als er gestern morgen beim 1. Strafsenat des Kammergerichts den Antrag auf Wiederaufnahme des Carl-von-Ossietzky-Verfahrens (siehe Bericht auf Seite 5) abgeben wollte, war die Tür der zuständigen Geschäftsstelle verschlossen. Wohin mit der Akte, fragte sich Jungfer, der in Zeitdruck war, weil auf der um 12 Uhr angesetzten Pressekonferenz vermeldet werden mußte, daß die Wiederaufnahme des Verfahrens beim Kammergericht beantragt ist. Also versuchte der Strafverteidiger bei der Geschäftsstelle eines Zivilsenats sein Glück, indem er die Mitarbeiter bat, die Akte an den 1. Strafsenat weiterzuleiten. Wieder Essig: Die Angestellten weigerten sich, das Schriftstück in Empfang zu nehmen, weil sie sich nicht zuständig fühlten. In seiner Not blieb Jungfer nichts anderes übrig, als das teure Schriftstück in den Briefkasten am Portal zu werfen, damit es wenigstens einen Eingangsstempel bekam. Ob der Antrag die Richter des 1. Strafsenats noch im Laufe des Tages erreichte, war gestern nachmittag nicht mehr zu ermitteln, weil im Kammergericht schon Dienstschluß war. Insider tippten jedoch darauf, daß das Schriftstück „irgendwo“ auf dem langen Dienstweg zwischen Poststelle, Geschäftsstelle und Büro des 1. Strafsenats auf einem Aktenwagen „hängengeblieben“ ist. Damit erübrigt sich zunächst auch die Frage, von welchem der Herren Richter des für Hoch- und Landesverrats zuständigen 1. Strafsenats der Wiederaufnahmeantrag geprüft werden wird. Zur Auswahl stehen die Herren Endel, Bestner, Zastrow, Weiß und Palhoff, von denen zumindest die beiden letzteren für taz-LeserInnen keine unbeschriebenen Blätter sind. Dieter Palhoff, erst seit Jahresbeginn Vorsitzender Richter des 1. Strafsenats ist, machte sich 1984 einen Namen, als er die ehemaligen Herausgeber der Zeitung 'radikal‘, Klöckner und Härlin, wegen „Werbens für eine terroristische Vereinigung“ zu drakonischen Haftstrafen verurteilte. Nach dem Urteil fiel Palhoff im Gericht die Treppe hinunter, weil er bei einer Siegesfeier über die Maßen dem Alkohol zugesprochen hatte. Seither ist es um den Vorsitzenden still geworden, was man von seinem Beisitzer Egbert Weiß nicht gerade behaupten kann. Weiß stellte bereits als Richter am Landgericht unter Beweis, daß eine Krähe der anderen kein Auge aushackt, indem er 1968 am Freispruch des Richters am Volksgerichtshof, Rehse, mitstrickte. Im vergangenen Sommer versetzte ihn eine provisorische Gedenktafel für die vom Reichkriegsgericht zum Tode Verurteilten so in Erregung, daß er das Denkmal zertrümmern ließ.

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