: Dann würde ich sagen: Körperlichkeit
■ Susanne Deicher unterhielt sich mit Frank Stella, dessen neueste Arbeiten in der Ausstellung „Positionen heutiger Kunst“ in der Berliner Nationalgalerie zu sehen sind
taz: Wie sehen Sie denn das Verhältnis der neuen Bilder zu Ihren früheren Arbeiten?
Frank Stella: Natürlich ändern sich meine Arbeiten. Aber alles, was ich jetzt mache, baut auf dem, was ich früher gemacht habe, auf. Ich sehe mich nicht als jemand, der sich wesentlich ändert. Ich gebrauche meine Arbeiten als Ausgangspunkt für Fortentwicklungen in bestimmte Richtungen. Wohin das führt, weiß ich nicht.
Sie haben ja lange Zeit Bilder gemalt, die sehr viel ruhiger wirkten als diese neuen Bilder, die durch große dekorative Farbflächen bestimmt waren. Wenigstens für mein Gefühl erinnern die neuen Bilder an Ihre Bilder aus den Jahren 1965 bis 1967, die sogenannte „Irregular Polygon Series“.
Ja, das ist eine gute Querverbindung. Diese Bilder waren sehr wichtig für mich und gefallen mir noch heute; sehr viele meiner Ideen stammen aus diesen Bildern. Die neuen Bilder sind so etwas wie wörtliche Umsetzungen dieser Bilder, ihre Objekt-versionen. Ich wollte die „eccentric polygon„-Bilder auseinander nehmen. Aus den Bildern sind Reliefs geworden.
Würden Sie Ihre Arbeiten eigentlich als Skulptur oder als Malerei bezeichnen? Schon ihre frühen, flächigen Bilder hatten ja Objektcharakter, weil Sie schon damals breitere Keilrahmen als üblich verwendeten, die ihre Bilder von der Wand isolierten. Als Sie einmal sagten, Sie wollten die Leute geradezu daran hindern, mehr in ihren Bildern zu sehen als das unmittelbar Gegebene - „What you see is what you see“ - scheinen Sie ja selbst sich zu der Kunstrichtung gerechnet zu haben, die in Europa meistens einfach „konkrete Kunst“ genannt wird.
Ja, richtig, das ist die Kunst, die ich machen wollte. Ich hoffe, ein wenig konkreter als das, was in Europa als konkrete Kunst gilt. Die Bilder allerdings, die ich dann tatsächlich gemacht habe, unterscheiden sich von dieser Grundidee. Meine Bilder sind nicht „minimal“, sie versuchen nicht, einfach dazusitzen und sich als ordentliche Objekte zu präsentieren. Meine Bilder sind Bilder über Malerei-Sein. Ich würde sie nicht Skulpturen nennen. Sie haben alle Charakteristika eines Reliefs, aber ich denke doch, man schaut sie immer noch wie ein Gemälde an. Meine Bilder waren für mich nie nur Objekte. Sie haben malerische Qualitäten, insofern sie kämpferische, argumentative Qualitäten besitzen.
Ihre neuen Bilder reichen stärker in den Raum des Betrachters hinein, kommen auf ihn zu, haben mitunter etwas Lautes, Aggressives.
Ja, sie versuchen die Grenze zwischen malerischem und wirklichem Raum durcheinanderzubringen, aber so, daß sie immer eine rein ästhetische Erfahrung bleibt. Was Sie als aggressiv empfinden, ist einfach ihre Direktheit. Sie verstecken sich nicht, sie wollen alles zeigen und zwar so, daß man es sehen kann.
Ich habe die Aggressivität als Gegensatz zu der dekorativen Qualität Ihrer Bilder hervorheben wollen; beides ist aber vielleicht gar nicht zu trennen. Sie verwenden seit 1967 reine, starke Farben, oft gemusterte Oberflächen, alles wirkt fröhlich und gefällig. Man hat Ihnen gerne den Vorwurf gemacht allzu dekorativ zu sein. Was ist denn für sie das Verhältnis von Kunst zu Dekoration?
Kunst ist nichts anderes als Dekoration. Die Frage ist nur, auf welches Niveau man dieses Dekorieren hebt. Noch nicht lange sind Künstler so eitel, etwas sagen zu wollen. Nicht, daß es nichts zu sagen gäbe. Aber ich kümmere mich weniger um das, was ich sagen will, als darum, es gut zu sagen, wirklich Kunst zu machen. Was dann für Werte mit meinen Arbeiten verbunden werden, dazu kann ich nichts, und es kümmert mich auch nicht. Es kommt darauf an, eine Vorstellung zu haben von dem, was Malerei ist und sie zum Leben zu erwecken.
Sie wollen eine Verbindung herstellen zu jener Art der Kunstproduktion, die üblich war, bevor die Autonomie der Kunst erfunden wurde?
Ja, erst im 15.Jahrhundert dachten Maler daran, etwas anderes zu tun als das, was irgend jemand ihnen sagte. Giotto hätte nie davon geträumt, ein Bild zu malen, das niemand bestellt hatte. Wollen Sie Giotto dekorativ nennen? Die neuere Kunst leidet an einem Übermaß an Autonomie und Individualität. Das Resultat der parallel vor sich hinarbeitenden Individualitäten ist eine erstaunliche Einheitlichkeit der Produktion. Man ist gezwungen, die Vergangenheit anzuerkennen und muß versuchen, sich über sie zu erheben, und das ist nicht so leicht. Man muß versuchen, die eigene Individualität aus den Abhängigkeiten zu befreien und sie autonom und frei zu machen, das scheint selten zu gelingen.
Das hieße dann wohl aber doch, daß die Autonomie der Kunst und die Freiheit des künstlerischen Individuums - beides scheinen Sie miteinander zu identifizieren - die historisch entstandenen Tatsachen sind, die auch ihre Produktion bestimmen.
Es ist doch so: Malerei braucht nichts zu sagen zu haben. Wenn sie gut genug ist, läßt sie sich mit jedem Wert besetzen, den Sie mit ihr verbinden möchten. Die Menschen, die die Malerei sehen, schaffen für sie Bedeutungen.
Sie haben einmal gesagt, ein Maler zu sein bedeute, eine Identität zu setzen, und zwar nicht nur die eigene Identität, sondern eine, die groß genug sei, daß jedermann daran teilhaben könne.
Ja, genau. Wenn die Malerei ein bestimmtes Niveau erreicht hat, hört man auf, sich für die Privatperson zu interessieren, die dahinter steht. Wenn man etwas wirklich aufregend findet, das man sieht, denkt man, wenigstens für den Moment, ja, das hätte ich auch machen können.
Man nimmt eine starke Individualität wahr in der Malerei und möchte sich mit ihr identifizieren, weil man selbst das Bedürfnis nach einer starken Individualität hat?
Ja, so sollte es wenigstens funktionieren, man kann das nicht immer erreichen. Vielleicht einmal im Leben kann man etwas machen, das nicht nur man selbst, sondern jedermann überzeugend findet. So war es immer. Ich halte es für falsch, was Sie vorhin sagten, daß die neue amerikanische Kunst traditionslos sei. Nehmen wir Ihre Frage, ob das, was ich mache, Skulptur sei oder Malerei. Das sind ja moderne Begriffe von Skulptur und Malerei. Alle alte Skulptur war bemalt, diese polychrome Skulptur war immer sehr nah an der Malerei. Das führt zurück zum Konzept des Dekorativen: Es gab in der italienischen Renaissance den Begriff des „disegno, das kann man verschieden übersetzen, als Zeichnung oder als Design. Wenn man es theoretisch auffaßt, war Design Skulptur, Malerei und Architektur. Design war bildende Kunst. Dieser Begriff läßt sich bei dem, was wir unter Kultur verstehen, nicht wegdenken. Wir haben einen ungeheuren Respekt vor visueller Kultur, und das kommt nicht daher, daß die Leute so sehr die moderne Malerei schätzen würden - sie schätzen sie nämlich nicht - sondern daher, daß der Einfluß der Renaissance Italiens und des Nordens weiterwirkt.
Sie denken sich Ihre eigene Arbeit als aufgehoben in dieser Tradition?
Ja, das ist der Grund, warum ich arbeite. Es kommt einem häufig fruchtlos vor, es ist Luxus, aber es ist immer noch schwierig, sich eine Gesellschaft ohne echte kulturelle Basis vorzustellen.
Lassen sich die „argumentativen“ Strukturen Ihrer Bilder in Beziehung setzen zu Vorstellungen von Gesellschaft? Ich denke an einen Grundzug Ihrer Arbeit: Das Fehlen von das Ganze übergreifenden Ordnungen. Ihre frühen Bilder waren einfach nach dem Prinzip der endlosen Fortsetzbarkeit von Mustern organisiert, ohne einen Bezug der Teile untereinander erkennen zu lassen, sie haben das 1966 selbst „non-relational“ genannt - aber es waren immer noch regelmäßige Muster. In den neuen Bildern geht diese Regelmäßigkeit auch noch verloren, dadurch, daß die bemalten Aluminiumteile in die verschiedensten Himmelsrichtungen weisen und ihre verschiedenen Farben auch nicht zu einer erkennbaren Harmonie zusammenstimmen. Kann man da nicht an Anarchie denken?
Anarchie? Nein, da ist Ihnen Ihre poetische Phantasie durchgegangen. Wenn Sie wollen, können Sie meine Bilder sogar als langweilig und konventionell kritisieren, es gibt da eine Menge ganz klarer „Relationen“, es sind durchaus Kompositionen im alten Sinn. Ich finde es auch schwierig, von einer Arbeit, die nun einmal ein Ganzes bildet, so zu sprechen, als fielen ihre Teile auseinander. Da geraten wir auf das Feld zweifelhafter Begriffskonstruktionen. Ich meine, wir beschreiben Menschen, die unfähig sind, das von ihnen Wahrgenommene als Einheit zu sehen, als Kranke. Fragmentierte Körper empfinden wir als tragisch. Von unserer Ganzheitswahrnehmung können wir nur schwer absehen. Alles Denken sucht Zusammenhänge auszuweisen. Es scheint mir unvermeidlich, daß Kunst diese Art des Denkens nachahmt. Anarchie in der Komposition gibt es nicht. Was Sie vielleicht meinen, ist eine Komposition, in der man noch spürt und weiß, daß es Träges, Passives, etwas Unwandelbares gibt. Es gibt viele Leute, die eine nett anzuschauende Komposition erstellen können. Aber die Arbeiten, die wir schätzen, sind aus einem Kampf entstanden, man sieht ihnen an, daß es da etwas gab, dem gegenüber die Herstellung einer Einheit überhaupt erst zum Ziel werden konnte.
Meinen Sie das in einem Sinn, wie Hegel es gesagt hat, nämlich daß wir nicht denken können, ohne die Annahme einer Totalität zugrunde zu legen?
Ja. Künstler fügen die Dinge aber auch so zusammen, wie wir sie noch nie gesehen haben. Sie fügen die Dinge, die wir täglich sehen, so zusammen, wie wir wünschten, daß sie beisammen wären.
Wie sehen Sie denn das Verhältnis von alltäglicher Erfahrung und Kunst?
Das ist ein ganz direktes Verhältnis. Menschen, die denken und wahrnehmen, tun genau das, was ich mache, wenn ich arbeite: Sie nehmen die Dinge, die sie wahrnehmen und arrangieren sie neu. Was die Sache interessant macht, ist, daß unsere Wahrnehmung so kompliziert ist, daß wir sie gar nicht exakt auseinandernehmen und darstellen können, diese Beschreibung müßte endlos sein. Der Künstler versucht nun, eine Vorstellung davon zu bekommen, in ausgewählten Momenten, in denen alles zu stimmen scheint. In denen plötzlich alles zugänglich scheint, von allen Seiten her greifbar ist, auch die Vergangenheit und die Zukunft offen daliegen. In einer Art romantischer Phantasieleistung haben sie alles zusammengefaßt vor sich, und das passiert, wenn sie zwei Teile im richtigen Winkel zusammenfügen.
Sie haben einmal gesagt, in Ihrer Kunst ginge es um rein optische, visuelle Erfahrungen. Das kann ich jetzt gar nicht mehr glauben. Mir scheint doch, daß es Ihnen um die gesamte Erfahrung geht, und dies, obwohl diese Kunst auf den ersten Blick abstrakt aussieht - was Europäer zu der Annahme verführt, hier ginge es lediglich um Geist, um Form.
Auf einer ganz oberflächlichen Ebene können Sie meine Kunst als abstrakt beschreiben. Wichtig ist aber die Konzentration auf das Physische, sogar das Auftragen der Farbe selbst ist ein Versuch, die ganze Erfahrung wirklicher, physischer erscheinen zu lassen. Wenn ich das Zentrum der Sache mit einem Wort benennen müßte, würde ich sagen Körperlichkeit.
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