: Dann mach ich in Familie
Die Propagierung der Moderne: Als das Hansaviertel gebaut wurde, mühten sich Architektur und Film gleichermaßen um die Erziehung der Nachkriegsgesellschaft. Von ihren Widersprüchen erzählen zwei Filmreihen in der Akademie und im Arsenal
VON MADELEINE BERNSTORFF
Die Akademie der Künste am Hanseatenweg zeigt in der Ausstellung „Die Stadt von morgen“ eine kritische Annäherung an die Erbauung des Hansaviertels vor 50 Jahren, als sich eine Art „ästhetischer Reeducation“ mit den ambitionierten Architekturprojekten dort verband. Heute beginnt in der Akademie ein Kurzfilmprogramm, das von Wiederaufbau und Nachkriegsgemeinschaft handelt, mit Wochenschauen, Industrie- und Kulturfilmen, ab morgen ermöglicht ein Spielfilmprogramm im Arsenal jeweils mittwochs, in die Atmosphäre dieses Modernisierungsaufbruchs zu tauchen.
Die Filmgesellschaften hießen „modern art“ oder „Inter West“, die die „Halbstarken“ von Georg Tressler (1957) produzierte. Auf einer Backsteinmauer, die den Film „West Side Story“ evoziert, laufen die Titel und eine abgrenzende Warnung: „Die Mehrheit der Jugend hat mit der Erscheinung der Halbstarken nichts zu tun. Die Minderheit aber fällt auf und deshalb spricht man von ihr.“ Weiter geht es in großen Buchstaben um das „Zwielicht von Erlebnisdrang und Verbrechen“ – und so wirken die „Halbstarken“ von Anfang an als eine etwas hilflose Bemühung, Jugendkultur darzustellen.
Ostentativ wollen Tresslers Jugendliche teilhaben am Verbrauch der Massenkonsumgüter und öffentliche und halböffentliche Räume erobern – doch der Auftritt, mit dem sie das Espresso-Café des italienischen Einwanderers stürmen, ist eher unangenehm. Erzählt wird zwar auch von der Zurückweisung von Klassenschranken: Die Halbstarken stellen sich der Logik, die ihre soziale Position als Arbeiterjugendliche festlegt, entgegen. Aber ihr von Horst Buchholz verkörperte Anführer möchte nicht nur ein paar „große Dinger drehen“, sondern sich dann den Traum vom bürgerlichen Glück erfüllen: „Dann mach ich in Familie.“
In Herbert Veselys Böll-Verfilmung „Das Brot der frühen Jahre“ von 1962 (am 14. Juni im Arsenal) holt der Jazz die eher geradlinige Vorlage ein. Mit Rückblenden, abgewandelten Wiederholungen, inneren Monologen und Fotofilm-Einsprengseln in der Art eines fragmentarischen Romans erzählt er von Ausbrüchen aus starren Mustern. Die Protagonisten bewegen sich zwischen wilhelminischen Hauseingängen und lichten Glaspavillons. Sie kommen in der Wohlstandsgesellschaft an: Der Elektromonteur, der kurz vor der Einheirat in den florierenden Kleinbetrieb steht, wirft seiner geschäftstüchtigen Verlobten vor, Hunger nie gekannt zu haben. „Ich sehe mich in diesem Leben herumstehen, ich blättere die Zukunft um wie ein Fotoalbum.“ Klar geht es um Brot, und wie man sich außerhalb der Zeit fühlt, es geht aber auch um eine existenzielle Krise. Und da trifft er eine junge Frau aus seinem Dorf, die soll es nun sein: „Dieses Gesicht drang tief in mich ein, durch und hindurch.“ Sie ist wie Brot für ihn.
Die Wohnsituationen im Film kommen einem bekannt vor, sie erinnern an die Großmütter und schwachen Väter von einst, an die Vermieterinnen, die keinen Damenbesuch dulden. Die beiden Verliebten fahren in der Stadt viel umher mit U-Bahn, Straßenbahn und Autos. Die Kulisse des neuen Hansaviertels wird umkreist. Einmal gehen sie dort in eine Kneipe und bemerken: „gar nicht so übel hier“. Wolf Wirths eindrucksvolle Kamera sucht nach Spiegelungen auf Autofenstern und nach Kippmomenten in der neuen Architektur mit ihren klaren Linien und ihrer Durchsichtigkeit.
Der Filmwissenschaftler Klaus Kreimeier beschrieb den Film in seinem Buch „Kino und Filmindustrie in der Bundesrepublik. Ideologieproduktion und Klassenwirklichkeit nach 1945“ als „Irrläufer, widerspenstiges Nebenprodukt des grassierenden Konformismus“ – allerdings empfindet er die Auflehnung als „etwas verkrampft“ und die Annäherung an die Klassenrealität der Bundesrepublik nicht wirklich gelungen. Der in Österreich geborene Herbert Vesely war in den Fünfzigerjahren mit seinen experimentellen Filmen durch die Filmclubs der BRD gereist. „Ich war der Schrecken der (Film-)Branche, ich war verschrien“, sagt er. Der auch damals schon in der Filmdebatte präsente Günther Rohrbach sah „wechselnde Kameragags“ und „kaum Ruhepunkte“ und fand den Film einen „zu lang geratenen Kurzfilm“ – was aus heutiger Sicht genau seine besondere Qualität ist.
Vesely gehörte 1962 wie sein Hauptdarsteller Christian Doermer mit zu den Unterzeichnern des Oberhausener Manifests, das den „alten Film“ für tot erklärte. Das brachte ihm kein Glück und strahlte stark auf den schon vorher fertiggestellten Film ab. Auf Veselys selten gezeigten dokumentarischen Spielfilm von 1963 „Sie fanden ihren Weg“, eine Auftragsproduktion für die IG Bau-Steine-Erden, der ebenfalls in der Filmreihe zur „Stadt von morgen“ gezeigt wird, darf man besonders gespannt sein.
Mittwoch, 6. Juni, ab 20 Uhr, Kurzfilmprogramm in der Akademie am Hanseatenweg Donnerstag, 7. Juni, „Die Halbstarken“, Arsenal 19.30 Uhr Infos: www.diestadtvonmorgen.de