piwik no script img

Dann lieber GangbangBauer sucht keine Frau

Tierwirt Jürgen Stroelke ist solo - und hat kein Problem damit. Wenn die Paarungszeit kommt, weiß er sich auch ohne RTL-Kuppelsendung "Bauer sucht Frau" zu helfen.

Wer sagt denn, dass ein Bauer unbedingt einer Frau hinterherlaufen muss? Bild: dpa

Die RTL-Doku-Soap "Bauer sucht Frau" hat den Kuhstall zum romantischen Ort erklärt und mit einer Botschaft beseelt: Auf dem Lande ist das Leben noch einfach, ehrlich, erdverbunden und von dem herzlich unschuldigen Wunsch beseelt, dass der Bauer seine Bäuerin findet. Die Sendung mit Moderatorin Inka Brause ist ein Quotenerfolg und hat den Bauern wieder ins Bewusstsein der Gesellschaft zurückgebracht. Neue Folgen sind in Planung. Wir machen den Realitätscheck.

Obwohl sein Hof, Herd und seine Hunde immer näher rücken, fehlt Jürgen Stroelke, 44, nach fast 23 Stunden Fahrt in seinem neuen, auf Gas umgerüsteten Ford Explorer die rechte Kraft zum Strahlen. Vor wenigen Tagen musste er sein letztes Abenteuer verschieben: Es hieß "Biogetreideanbau in Rumänien" und sollte 150 Kilometer von Bukarest entfernt passieren. Doch es blieb geräuschvoll im Schlamm stecken: Stroelkes vorwinterliche Treckeroffensive mit seiner Neuanschaffung, einem eiligst aus der Heimat herbeikommandierten knallroten Ackerschlepper samt Drehpflug und 6,40 Meter langer Scheibenegge, endete nach wenigen Furchen im nassen, schweren "besten Ackerboden der Welt" - so zumindest warb noch vor wenigen Monaten ein befreundeter wendländischer Bauer für die "tolle Chance" im EU-Beitrittsland Rumänien.

Stroelke sagt, er liebe das Abenteuer. Seine Verflossenen und wechselnden Bekanntschaften sagen, er sei eben ein unsteter Geist. Jedenfalls hatte ein ähnlich veranlagter Bekannter in Rumänien Pech mit Schweinen und wechselte am selben Ort erfolgreicher in den Agrarsektor. Stroelke hatte genau hingehört, und weil er als Single den Vorteil genießt, weitreichende Entscheidungen allein treffen zu können, landete er als neuer Investor zunächst im Schlafzimmer des Oberbürgermeisters einer rumänischen 3.000-Seelen-Gemeinde, der selbst auf dem Wohnzimmerboden Platz nahm.

Als Stroelke am nächsten Morgen ausgeschlafen und noch pappsatt vom von der Bürgermeisterin gekochten Abendmahl mitten in der Walachei aufwachte, konnte er sein Glück kaum fassen: In Puschen und Jogginghosen hatte sich die Dorfversammlung bereits darauf geeinigt, ihm für einen guten Preis 200 Hektar unbewirtschaftete Bioackerflächen zu verpachten. Die am Abend zuvor willfährig vom Bürgermeister vor das Investorschlafzimmer gestellte 19-Jährige hatte Stroelke mit Rücksicht auf seine Investorenposition beharrlich abgewiesen. Ein bisschen auch aus Angst vor späterer Zwangsheirat.

An Arbeit mangelte es ihm auch in Deutschland nicht. Vor knapp zehn Jahren kaufte sich der gelernte Tierwirt im Fachbereich Schafzucht einen günstig erscheinenden Resthof in der Altmark und zog mit einer tausend Tiere zählenden Herde von Lüchow-Dannenberg nach Wistedt/Osterwohle. Das 120-Seelen-Örtchen schien ihm für den Aufbau einer eigenen Schäferei gerade richtig.

Stroelke hat sich an die Altmark herangetastet. Alles wirkt hier ein wenig flacher, spröder, zerfledderter. Hier ein verrottendes Fabrikchen, dort ein modernisierter Vorzeigehof, ein schlecht besuchter Antiquitätenmarkt und irgendwo viel weiter hinten eine kleine private Ökosaftabfüllerei.

Auch wenn die Nachbarn sich gelegentlich immer noch etwas schwertun mit dem schafreichen einsamen Wolf, haben sie zumindest seine Bescheidenheit schätzen gelernt. Er ist zwar nie in die freiwillige Feuerwehr eingetreten und auf den dörflichen Festivitäten hat ihn auch noch keiner gesehen, aber er baue immerhin "keinen Scheiß", wie ein Nachbar sagt.

Noch mit angetrocknetem rumänischem Mutterboden an den Stiefeln überfährt Stroelke die Dumme, ein zwei Meter breites Flüsschen, das Wistedt in einen neuen und einen alten Ortsteil teilt. Am Straßenrand werden den wenigen Vorbeifahrenden selbst gebaute schlichte Vogelhäuschen angeboten, und etwas weiter wirbt ein Schild für Imkerhonig. Modernere Einfamilienhäuser markieren das Neudorf, während einige schöne, alte Backsteingehöfte das Gesicht des Altdorfs prägen. Hinter der gedrungenen Dorfkirche steht auf frisch gemähtem grünem Rasen eine steinerne Tischtennisplatte für die Dorfjugend. Mehr wie ein Denkmal als wirklich bespielt.

Die Hunde schlagen freudig an, als Stroelke nach langer Fahrt seinen Schäferhof erreicht. Hinter dem großen Tor, auf dem fußballfeldgroßen Innenhof, springen Atze, Mojo, Balder, Emma, Tonga und Carlos an dem Heimkehrenden hoch. Ein paar Muttertiere mit ihren Lämmern, verletzte, kranke oder zur Mast ausgestallte Schafe machen mäh und Ziegen meckern, eine vierköpfige Lamaherde kommt neugierig näher. Hinter ihnen ein wackliger neugeborener Hengst - weiblicher Nachwuchs hätte den zehnfachen Wert bedeutet, aber die Freude über den Zuchterfolg weckt dennoch neue Lebensgeister. Als Stroelke seine Vorstube betritt, schreit hoch oben im Gebälk das einäugige Pfauenmännchen, das sich hierhin ins Warme geflüchtet hat, seiner graugefiederten Henne hinterher.

Die Wohnstuben in der RTL-Soap "Bauer sucht Frau" erscheinen zumeist wie die bruchlose Fortsetzung ihrer geistigen Verfassung. Das mag auch hier so sein, doch offenbaren sich erste Anzeichen für eine gewisse Dissonanz. In der Bauernküche steht zwischen Carokaffee und der Beuteltrinkschokolade ein einzelner kunstlederner Highheel-Stiefel. An der Wand verwittert eine Weltkarte mit jeder Menge Fähnchen. Und auf dem Boden steht ein Karton mit Videos ab 18 Jahren mit Titeln wie "Vorstadtmatratzen", "Oma macht sie nieder", "Die Hacker - Bin ich drin oder was?" Er habe die mal billig bekommen und nur zum privaten Weiterverkauf per Internet hier kurz zwischengelagert. Das zweistöckige Haus verfügt über ein knappes Dutzend kaum möblierter Zimmer. Stroelke macht nur das sauber, was ihm wirklich unordentlich erscheint. Eine Lebensgefährtin könnte das anders sehen. Aber er hat ja keine.

Nur seine Eltern kommen immer noch einmal im Monat aus der Stadt zum Putzen. Waschmaschine und Geschirrspüler kann er selbst bedienen. Ebenso wie seinen Computer. Spätabends ist Stroelke online. Ein auffälliges FSK-18-Banner traf irgendwann seinen Nerv. Vielleicht war es Naivität, Übermut oder einfach nur Abenteuerlust, jedenfalls kündigte Stroelke irgendwann nach 23 Uhr per E-Mail sein Erscheinen an und traf sich mit zwei Damen und einem Dutzend weiterer neugieriger PC-Besitzer in einer Villa am Stadtrand von Peine.

Er mag es unverbindlich

Ein großer Raum mit Bar, zwei Betten, zwei Frauen - laut Auskunft des Veranstalters "naturveranlagte Hausfrauen", jedenfalls durchaus nett und anscheinend ungezwungen. Im Hintergrund spielte leise Musik von Gottlieb Wendehals. Trotzdem fährt Stroelke da jetzt öfter hin. Er ist auf den Geschmack gekommen. Gangbang ist für ihn so, als liefe beim Sex ein netter Pornofilm mit, nur eben live. "Man hat fast das Gefühl, als schaue man auf einen Bildschirm, nur dass der hier 360 Grad um den Kopf herumläuft."

Es ist seltsam. Jürgen Stroelke erlebt täglich etwas, wonach sich viele Menschen sehnen: das Glück einer unentfremdeten Arbeit. Aber auch bei ihm, der sich für eine so erdverbundene Lebensweise entschieden hat, bleibt das Mediale das Primäre. Ein Gangbang ist natürlich keine dionysische Feier. Es geht unverbindlich zu, jovial und beinah sportlich. Aber Gangbang bleibt Gangbang: Pornografie live.

Falls sich das jetzt noch jemand fragt, nein: Stroelke sucht keine Frau. Selbstverständlich kann auch der bekennende Abenteurer nicht völlig ausschließen, irgendwann seinem vielleicht größten Abenteuer zu begegnen: einer Liebe, auf die er sich einlässt. Ganz gleich aber, ob er seine neue Schäferin dann beim Brötchenholen, beim Gangbang oder irgendwo auf dem Feld nahe der Donau kennenlernt - die über Land ziehenden RTL-Moderatorin Inka Brause möchte er dann nicht dabeihaben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • F
    FelixVonStreit

    Schliesse mich meinem Vorkommentator an. Hoffe bald mehr von diesem Talent zu lesen.

  • O
    ottovbismarck

    ein schönes Stück!