Danke (17): Der Hundespielspaß
■ Wahlkampf oder: Wie ich versäumte, Schröder Schäuble zum Fraß vorzuwerfen
Neulich schlenderte ich an einem Hundesalon vorbei. Neben Knochen und Knabberschuhen hingen dort „Hundespielspaß“ genannte Plastekasperpuppen im Schaufenster, deren Arme und Beine aus schlaff herunterhängenden weißen Baumwolltroddeln bestanden. Zwei hatten am Revers ihrer Anzüge das Parteiabzeichen der SPD, es war unschwer zu erkennen, daß es sich um Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder handelte. Daran mußte ich denken, als ich mich vorgestern entschloß, der Einladung von Wolfgang Schäuble zum „Wahlkampfendspurt“ in die Berliner Kulturbrauerei zu folgen. Die CDU mußte zum Auswärtsspiel im Wahlkreis Mitte/Prenzlauer Berg antreten, obwohl ihre Vertreter nicht müde wurden zu betonen, daß die Kulturbrauerei eigentlich ihr Heimatstadion sei.
Neben die Bühne hatte man ein Transparent „Null Toleranz gegen Verbrecher“ plaziert. Da aber zu viele Leute danebenstanden, konnte man nur noch „Null Toleranz“ lesen. Und wenn man Schäuble so hörte, wußte man, daß es keine Gnade gibt. Ich weiß nicht, ob er Wählern ohne masochistisches Persönlichkeitsprofil zeigen wollte, daß gegen ihn Kohl ein grundsympatischer Mensch ist. Schäuble jedenfalls ruhte nicht eher, bis er, rhetorisch brillant, mit Scharfsinn, aber absolut zynisch seinen Gegnern verbal die Kehle durchgebissen hatte, ob es sich nun um die SPD oder die Zwischenrufer im Saal handelte. Er tat so, als gäbe es unter den vielen Leuten nur einen, der gegen ihn war, und den machte er fertig: „Jetzt sind Sie mal wieder lieb und setzen sich hin. Alle hier im Saal haben mich verstanden, nur Sie nicht!“ Als er beim Thema polizeiliche Verfolgung von Kinderpornographie im Internet ankam, und irgend jemand im Saal lachte, wurde er laut: „Jetzt stehen Sie mal auf und zeigen sich in Ihrer ganzen Erbärmlichkeit. Schämen Sie sich, gehen Sie in sich, und ich vergebe Ihnen.“ Das kam an bei den Braven. Schließlich bekam auch Direktkandidat Günther Nooke, der zwei Stunden nickend neben Schäuble gesessen hatte, noch eins von ihm hinter die Ohren, indem er sich anhören mußte, daß er doch, wenn er dann in den Bundestag gewählt wird, auch immer zu den Abstimmungen kommen soll, damit die CDU ihre gute Politik durchsetzen kann. Am Ende war es ein bißchen wie in der Weihnachtsgeschichte von Heinrich Böll. Schäuble wollte einfach nicht aufhören zu reden, und Diepgen machte sich aus dem Staub. Hinter seinem Namensschild saß die letzte Stunde ein Double, und ich ärgerte mich ein bißchen, daß ich im Hundesalon nicht den Hundespielspaß Schröder gekauft hatte. Schäuble hätte sich sicher sofort an seiner Nase festgebissen, die Aussage wäre ungefähr die gleiche gewesen. Annett Gröschner
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen