Daniel Spoerri-Ausstellung in Hamburg: Die Pointe geht in der Anhäufung verloren
Daniel Spoerri wollte die Wirklichkeit radikal mit der Kunst verschmelzen. Doch sein opulentes Werk scheint die Hamburger Deichtorhallen zu überfordern.
Daniel Spoerri (1930-2024) muss ein widerspenstiger Charakter gewesen sein. In seiner Kunst frönte er vor allem seiner eigentlichen Leidenschaft: dem Essen. Seine „Fallenbilder“ („Tableau piège“) sind Momentaufnahmen von Gastmählern, gemütlichen Zusammenkünften oder hitzigen Tischdebatten. Seit den 1960er Jahren fixierte Spoerri Gedeck, Essensreste, Zigaretten und Weinflaschen nach der Mahlzeit auf dem Tisch, sägte dessen Beine ab und brachte das Ganze an die Wand. Nie zuvor war die Kunst so sehr aus dem Leben gegriffen, geriet der Bildbegriff mit Spoerris Erfindung der Eat Art in dieser Form in Schieflage.
Sammeln war die zweite große Leidenschaft des Künstlers, der den Zufall kultivierte. Auf Flohmärkten ließ er sich treiben, kaufte ohne zielgerichtete Absicht historische Küchengeräte oder Schaufensterpuppen, die er dann eines Tages „verkunsten“ würde. Als Mitglied der 1960 gegründeten Nouveaux Réalistes gehörte der Künstler einer Generation an, die die Wirklichkeit auf rabiate Weise mit der Kunst verschmelzen wollte.
„Ich liebe Widersprüche“ lautet der Titel der groß angelegten Übersichtsschau, die sich aktuell in den Hamburger Phönixhallen auf rund 6.000 Quadratmetern erstreckt. Widersprüche in Bezug auf Spoerris Werk sollen dabei vermutlich als Synonym für Produktivität verstanden werden. In der Ausstellungskonzeption dagegen sind sie – nun ja, widersprüchlich. Spoerri habe sich, so betont Kuratorin Barbara Räderscheidt, stets neu erfunden. Von diesem Innovationsgeist aber ist auf den fünf Stockwerken wenig zu erkennen. Die Ausstellung setzt nämlich auf serielle Wiederholung.
Gleich am Eingang warten mehrere Varianten des Wortspiels „Ça crêve les yeux“ (Das sticht ins Auge) auf. Alle zeigen Augenpaare, in deren Augäpfeln Scheren stecken. Gemeinsam mit Künstlerkollegen wie Robert Filiou entwickelte Spoerri diese „Wortfallen“, in denen Redensarten bildlich umgesetzt sind. Die Pointe geht in der Anhäufung der Werke allerdings verloren, die gesellschaftskritischen Spitzen, die gegen die Überhöhung der Kunst durch Eliten gerichtet waren, wirken abgestoßen.
„Daniel Spoerri. Ich liebe Widersprüche“. Im Dialog mit Werken aus der Sammlung Falckenberg, Deichtorhallen Hamburg, bis 26. April 2026. Ein Katalog erscheint im Dezember im Snoeck Verlag.
Das ist doch keine Minimal Art
Diese Serialität, die eher zu Donald Judds ganz anders gearteten, minimalistisch-akkuraten Objekten passen würde, zieht sich durch alle Stockwerke. Ein „Fallenbild“ reiht sich hier an das nächste, Eaten by-Tische, als Porträt von Personen gedacht, schließen daran an. Wenig Abwechslung liefern auch die späteren arrangierten „Mosaiques des années cinquante“, die auf Mosaik-Tischchen aus den 1950er Jahren arrangiert sind, oder die zahlreichen Künstler*innen-Tische, die als Atelier-Stillleben bezeichnet werden können.
Auch die aneinander gereihten Arbeiten der 2015 entstandenen Serie „Was bleibt“, in der Spoerri Nippes, Kuscheltiere oder Plastikpflanzen verwertete, die abends auf Flohmärkten übriggeblieben waren, wirken hier einfach redundant. Trotz der angehäuften Menge der Werke ist der frühe Spoerri in dieser Schau auffallend wenig vertreten.
Brachiale Bronze-Güsse
Und wie sind nun die Bezüge zu Werken aus der Sammlung Falckenberg gemeint, mit denen ein Dialog entstehen soll? Die Verbindung mit einer Zeichnung eines verpackten Gebäudes von Christo erklärt sich aus der Kunstgeschichte heraus: Beide Künstler gehören zu den Gründungsmitgliedern der Nouveaux Réalistes. Die Verwandtschaft von Spoerris mannshohen Bronzen, den „Prillwitzer Idolen“, mit brachialen Bronze-Güssen von Jonathan Meese bleibt dagegen schleierhaft. Ist es das Material, die Reminiszenz des Jüngeren an den Älteren? Der Wandtext schweigt sich dazu aus.
Ohnehin fällt die Vermittlung der Ausstellung etwas karg aus. Zum Zeitpunkt der Eröffnung fehlte neben der Reihe der „Morduntersuchungen“ zumindest eine Triggerwarnung, handelt es sich doch um überarbeitete Fotografien von gewaltvoll zu Tode gekommenen Kindern. Spoerri wollte mit den heftigen Bildmontagen demonstrieren, dass jeder Gegenstand potenziell zur Mordwaffe werden kann – Memento Mori, sei dir des Endes bewusst, so die eigentliche Botschaft. Die Deichtorhallen reichten einen entsprechenden Hinweis nach, etwas spät angesichts der aktuellen Awareness-Debatte.
Unbestritten gehört Daniel Spoerri zu den großen Erneuerern der Kunst. Seine revolutionären Ideen haben Maßstäbe gesetzt und gleichzeitig althergebrachte Normen verrückt. Die Deichtorhallen sind ihm jedoch in die Falle gegangen. Anhand der schieren Größe der Phönixhallen haben sie sich offensichtlich in der Masse von Spoerris Schaffen verstrickt. Die Kraft seiner Kunst haben sie dabei aus den Augen verloren.
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