Dance, dance, DDR, dance

■ Anmerkungen zum NRW-Medienforum: Die Zukunft der Medien im vereinten Deutschland / Die DDR wird zur Kolonie der BRD

Vom Sozialismus befreite Frauenbeine in Netzstrümpfen und hohen Hackenschuhen, entblößte Brüste und Popos, die rhythmisch zu westlichen Popsongs zucken - ist das die vielbeschworene Medienfreiheit im vereinten Deutschland? Auf dem Kölner Medienforum präsentierte RTL plus die Dance, Dance, Dance-Revue aus dem Ostberliner Friedrichstadtpalast als einzigartiges mediales Joint -venture zwischen Ost und West, und bewies damit, wie so oft, schlechten Geschmack. Die ganze Darbietung bewegte sich auf dem Niveau einer Jazzdance-Gruppe aus Britz-Süd. Aber auch dem WDR war geschmacklich nicht viel besseres eingefallen. Beim abendlichen Atelierfest in Bocklemünd servierte der nordrheinwestfälische Sender ein Buffet mit thüringischen, mecklenburgischen und sächsischen Spezialitäten. Kenner der DDR-Küche wissen, was das heißt. Trotzdem verzehrte die versammelte Medienprominenz eifrig die fettigen Würste und zollte auch der Tanzrevue kräftig Beifall. Vom realexistierenden Medienalltag in der DDR, von anderen Fernsehformen, die sich seit dem Umbruch dort entwickelt haben mögen, bekam man auf dem dreitägigen Medienkongreß, zu dem die Landesregierung Nordrhein -Westfalens eingeladen hatte, dagegen nichts zu sehen.

Im Kölner Nobelhotel Maritim hatten sich über 1.000 Journalisten, Medienexperten und Politiker aus Ost und West versammelt, um über die Zukunft der Medien im vereinten Deutschland zu diskutieren. Verkommt die DDR zu einer „Medienkolonie“ der Bundesrepublik, lautete eine zentrale Frage. Auf der Abschlußdiskussion tat Friedrich Nowottny ganz empört. Diese These sei „das Schwachsinnigste“, was er je gehört habe. Seinen KollegInnen aus dem Osten empfahl er väterlich-jovial: „Bestellen Sie Ihr Haus!“ Bundesdeutsche Fernsehanstalten würden nur auf ausdrücklichen Wunsch der Nachbarn freundschaftliche Hilfe leisten. Dabei schien der WDR-Intendant vergessen zu haben, daß er als einer der ersten laut und sehr konkret über die Zukunft des Rundfunk in der DDR nachgedacht hatte. In einem als WDR-Position bekannt gewordenen Szenario hatte sich Nowottny entschieden gegen die Etablierung eines weiteren nationalen, öffentlich -rechlichen Systems neben ARD und ZDF auf DDR-Gebiet gewandt. Aus ökonomischen Gründen plädierte er für nur eine DDR-weite Landesanstalt, den Ostdeutschen Rundfunk (ODR), der a la WDR der ARD angegliedert werden sollte. Beim Kölner Podiumsgespräch wiederholte Nowottny diese von der Realität längst überholten Vorstellungen nicht noch einmal, sondern bekannte sich nun, wie schon Ministerpräsident Johannes Rau in der Eröffnungsrede zur Installierung eines föderalen Mediensystems, bei dem die Rundfunkhoheit bei den zukünftigen Ländern der DDR liegen wird. Ein Modell, das mittlerweile auch von der DDR-Regierung favorisiert wird.

Wieviele Hörfunk- und Fernsehsender es in der DDR in Zukunft geben wird, vermochte jedoch Podiumsgast Manfred Becker, medienpolitischer Sprecher der DDR-SPD und Staatsekretär im Medienministerium, nicht zu sagen. Und die Männer und Frauen aus der Rundfunkpraxis der DDR fühlen sich bei solchen Planspielen schlicht überfordert. Die Angst vor der Zukunft versperrt den DDR-Journalisten nicht nur den Blick auf die Vergangenheit, sondern lähmt offensichtlich auch die Vorstellungskraft zur Entwicklung neuer Perspektiven. Nur an den Erhalt des gesamten Rundfunkapparates mit seinen 12.000 Beschäftigten glaubt mittlerweile keiner mehr.

Die einfachste Begründung für die Ablehnung eines dritten bundesweiten Fernsehprogramms made in the GDR lieferte indes Bodo Hausser. Es gäbe dafür gar keine freie Frequenz mehr in der BRD, meinte der Chef des ZDF-Magazins Studio 1 lakonisch. Keiner der Westfernseh-Macher käme jedoch auf die Idee, die Existenz des eigenen Senders in Frage zu stellen. Statt dessen überlegt man in der Bundesrepublik fieberhaft, wie die Rundfunkanstalten, die mit der deutschen Vereinigung eigentlich überflüssig geworden sein müßten, möglichst erhalten werden können. Gemeint sind der Rundfunk im Amerikanischen Sektor (RIAS) in Berlin, der Deutschen Welle und der Deutschlandfunk, über deren Zukunft in Köln auch geredet wurde.

Am Ende des Kongresses beklagte ein Redakteur des DDR -Jugendradios DT 64 zu Recht, daß er sich die deutsch -deutsche Debatte über eine gemeinsame Medienzukunft etwas ausgewogener vorgestellt habe. Eigentlich sei doch schon alles entschieden, oder gäbe es etwa Überlegungen, das ZDF abzuschaffen zugunsten eines DDR-Kanals, polemisierte er. Er formulierte damit eine der wenigen kontroversen Positionen auf diesem Medienforum. Die meisten Gäste aus der DDR flüchteten sich stattdessen in eine resignative Haltung, die Friedrich Nowottny salopp als „neue Weinerlichkeit“ beschrieb. Anstatt mit eigenen, provokanten Konzepten die Diskussion in Schwung zu bringen, sinnierten die Rundfunkredakteure aus der DDR über die eigene Identitätskrise. Und der einzige, der bislang immer bärbeißiges Selbstbewußtsein demonstriert hatte, war in letzter Minute von der Gästeliste gestrichen worden: Hans Benzien, noch von der Übergangsregierung Modrows als neuer Generalintendant des Rundfunks der DDR eingesetzt, hatte sich bis zu letzt verbissen für den Erhalt des DDR -Fernsehens als eigenständige öffentlich-rechtliche Sendeanstalt eingesetzt. Die halsstarrige Unberechenbarkeit des PDS-Mannes, beispielsweise als er Anfang des Jahres die Akquisition der DDR-Fernsehwerbung einer französischen Marketingfirma übertrug, anstatt das finanziell niedrigere Angebot der ARD anzunehmen, machte ihn in bundesdeutschen Medienkreisen bald ebenso unbeliebt wie bei der neuen CDU -Regierung. Vor zwei Wochen nun wurde er von Lothar de Maiziere persönlich abberufen. Als neuen Intendanten hatte der DDR-Ministerpräsident einen verläßlichern Gefolgsmann vorgesehen, den Theaterintendanten Gero Hammer. Und ihn hatte man an Benziens Stelle eingeladen.

Probleme mit der Gästeliste

Zwar ist es keine Seltenheit, daß sich die Zusammensetzung einer Diskussionsrunde auch in letzter Minute noch ändern kann, doch bei der Kölner Medientagung schienen die Veranstalter vor allem Probleme mit den Gästen aus der DDR zu haben. Der geschaßte Intendant Benzien empfand Hammers Einladung als persönlichen Affront und forderte von seinen Mitarbeitern Loyalität. Keiner der ebenfalls eingeladenen Rundfunkkollegen sollte im Namen des DFF nach Köln reisen. Einige DDR-Kollegen waren wegen dieses Vorfalls tatsächlich nicht erschienen. Aus Solidarität zu ihrem alten Intendanten, vielleicht aber auch weil sie dem raschen Führungswechsel nicht so recht trauten und berufliche Konsequenzen fürchteten, zogen sie hatten die DFF -RedakteurInnen Rosi Ebner und Bernd Teuscher es vorgezogen, zu Hause zu bleiben. Andere wiederum, zum Beispiel der ehemalige AK-Redakteur Helmut Hartung ließen sich als couragierte Helden feiern, weil sie sich dem Maulkorberlaß ihres Fernsehschefs widersetzt hatten

Benziens Haltung, die von den Forumsteilnehmern mit Entrüstung zur Kenntnis genommen wurde, scheint im Nachhinein so unverständlich nicht. Saß doch mit Gero Hammer ein zukünftiger Fernsehchef auf dem Podium, dessen Berufung durch die DDR-Regierung so ganz und gar nicht westlichen Begriffen von Staatsferne entspricht. Der Medienkontrollrat, jenes Gremium, das derzeit in der DDR über die Medienfreiheit wacht, hat ihn wohl auch aus diesem Grund am vergangenen Mittwoch nicht bestätigt. Diese Entscheidung bescheinigt auch den Veranstaltern des Medienforums, die Gero Hammer auf dem Podium schon selbstverständlich als Intendanten einführten, mangelnde Sensibilität in Sachen Protokoll.

Journalistische Wahrhaftigkeit

Sensiblität und Taktgefühl wollte man indes gegenüber den erschienenen DDR-Gästen demonstrieren. Die Diskussionen sollten nicht zum Tribunal über die unrühmliche Vergangenheit so manches Kollegen aus dem Osten ausarten. Trotzdem stellte Klaus Bednarz, streitbarer Leiter des WDR -Magazins Monitor, die Gretchenfrage an Helmut Hartung, einen jungen DDR-Journalisten mit SED-Bilderbuchkarriere. 1968 mit 18 Jahren in die SED eingetreten, Journalistik -Studium in Leipzig, dann zehn Jahre Aktuelle Kamera, Innenpolitik, dannach zwei Jahre in der Jugendredaktion elf 99, gleich nach der Wende, Leiter des DFF -Wahlstudios und jetzt Leiter eines neuen politischen Magazin mit dem Titel contovers. Ein wenig zu geschmeidig gingen ihm nun die Floskeln über den „schwierigen Prozeß“ der Identitätsfindung über die Lippen. Man wolle keine Meinungsmache mehr betreiben. „Wir wollen das Volk an Demokratie gewöhnen... Vertrauen in die Politik schaffen“, betonte Hartung. Da platzte dem vorsätzlichen Meinungsmacher Bednarz der Kragen. „Gehen wir nicht etwas zu höflich miteinander um“, fragt er in die Runde. Ein Journalist, der es immer noch als vordringliche Aufgabe betrachte, Vertrauen in die herrschende Politik zu schaffen und der es als Ausdruck des Demokratisierungsprozesses im Fernsehen wertet, daß die Sprecherköpfe, die jahrelang die SED-Lügen verbreitet haben, ausgewechselt werden, während die dafür verantwortlichen Redakteure dahinter sitzenbleiben, an dessen journalistischer Redlichkeit ließe sich doch zweifeln. Hartung verteidigte sich nach Kräften. Ein Mann ohne Rückgrad, der die verbalen Ohrfeigen stellvertretend für die vielen namenlosen Kollegen, die den stürmischen Herbst unbeschadet überdauert haben entgegennahm, um sich am Ende für die offene Kritik auch noch zu bedanken. Dieser Mann wird sich in das zukünftige Mediensystem, egal wie es am Ende ausieht, hervorragend einpassen.

Ganz anders Sabine Grote, einer Redakteurin aus de elf 99-Redaktion. Mit hängenden Schultern und betrübtem Gesicht stellte sie sich den Vorwürfen zur Vergangenheit. Ihre nachdenkliche Hilflosigkeit erweckt Sympathie. Aber auch sie hat noch vor gar nicht langer Zeit Ost-Berlins triste Hochhaussiedlung in Marzahn in einem Filmbeitrag als sozialistisches Wohnparadies gepriesen.

In den deutsch-deutschen Debatten blieb es das Privileg der Medienleute aus dem Westen, von ihren östlichen Kollegen journalistische Wahrhaftigkeit zu fordern, ohne von den eigenen Abhängigkeiten zu berichten, unter denen auch bundesdeutsche Journalisten oft genug moralische Tugenden vergessen.

Merkwürdige Allianzen

Die gesamte Veranstaltung, mit der die Düsseldorfer Staatskanzlei einmal mehr beweisen wollte, daß die Zukunft der Medien eigentlich in Nordrhein-Westfalen liegt, brachte insgesamt nichts wirklich Neues in die Diskussion. In jedem Fall vermittelte sie Beobachtern jedoch die sichere Erkenntnis, daß über die DDR-Geschicke hier entschieden wird, und das schon deshalb, weil die Medienstrategen im Osten zu schnell ihren Kopf in den Sand, sprich Westen, gesteckt haben. Zarter Widerspruch, wie etwa von Wolfgang Kleinwächter, Professor am Institut für Internationale Studien in Leipzig und Mitglied des Medienkontrollrates, der eine Neuordnung des gesamten Rundfunks in Deutschland forderte, bei dem auch über die Schwächen des bundesrepublikanischen Modells verhandelt werden, verhallten ohne Resonanz. Westliche Medienstrategen konntenzufrieden sein, wurde der Vorwurf des Medienkolonialismus doch in soweit relativiert, daß man bewiesen hat, daß in der „Kolonie“ gar keine eigenständigen Medienmodelle mehr existieren.

Einzig die privaten TV-Anbieter waren ein wenig enttäuscht, weil sie in den favorisierten Szenarien zu spät zum Zuge kommen. Erst wenn die öffentlich-rechtlichen Anstalten sich in den Ländern der DDR gegründet haben, soll es Verhandlungen über eine weitere Frequenzvergabe an private Hörfunk- und Fernsehanbieter geben. Für Helmut Thoma, den Chef von RTL plus, ist das eine unerträgliche Benachteiligung. Emphatisch mahnte er die Medienexperten aus der DDR vor der Übernahme der alten Medienstrukturen der BRD, und sprach gar von „Annexion“ - richtige Argumente aus dem falschen Mund. Und sogar der Programmchef von SAT 1, Werner E. Klatten sprang für den ansonsten ungeliebten Privatfunkkonkurrenten in die Bresche: Die Menschen in der DDR seien im letzten Herbst auch für Tutti-Frutti, die RTL-Sriptease-Show, auf die Straße gegangen. Also doch: Dance, Dance, Dance-Revue als mediale Zukunftsvision im vereinten Deutschland? Jedenfalls haben im Maritim nach der Show alle applaudiert.

Ute Thon