Dan Simmons: 1000 Seiten Terror
Mit "Terror" hat der amerikanische Schriftsteller Dan Simmons einen genau recherchierten und sorgfältig konstruierten Roman über Sir John Franklins legendäre Polarexpedition geschrieben.
Die berühmte letzte Polarexpedition von Sir John Franklin, dessen Leben schon Sten Nadolny als Vorlage für seinen Roman "Entdeckung der Langsamkeit" diente, hinterließ nur eine einzige Nachricht. Sie stammt von 1846 und endete mit den aufmunternden Worten: "Sir John Franklin commanding the expedition - all well". Aber das stimmte bald gar nicht mehr.
Franklin war 1845 mit zwei der bestausgerüsteten Schiffen der britischen Marine gestartet, die extra dampfgetrieben, gepanzert und zu Eisbrechern umgebaut waren, um die legendenumwobene Nordwestpassage zu finden. 1848 wurde dieses einzige schriftliche Zeugnis der Expedition von Franklins Nachfolgern ergänzt, Sir John war tot, und nicht nur er, die Schiffe waren bereits aufgegeben, die Überlebenden der Expedition versuchten, sich an Land durchzuschlagen. Keiner der ursprünglich 129 Seeleute wurde je wiedergesehen. Heute weiß man, dass die Schiffe, die seltsamerweise die alles andere als Glück versprechenden Namen "Erebus" und "Terror" trugen, zwei Jahre lang unbeweglich vom Eis eingeschlossen waren, dass die Mannschaft in Teilen einer Bleivergiftung erlag, die sie mangelhaft verlöteten Konservenbüchsen verdankte, andere starben an Skorbut, und auch von Fällen von Kannibalismus wird ausgegangen.
Da jedoch das Scheitern dieser Expedition in das Zeitalter der aufkommenden Boulevardpresse fällt und Lady Franklin eine beharrliche Dame war, brachen zig Rettungsexpeditionen auf, um mögliche Überlebende zu bergen, sodass die Expedition einen fragwürdigen Ruhm einfuhr, der bis heute anhält.
Auch der Schriftsteller Dan Simmons, dessen "Hyperion"-Tetralogie ihm Weltruhm verschaffte, konnte sich diesem Thema nicht entziehen. In seinem jüngsten, in deutscher Übersetzung beinahe 1.000 Seiten starken Roman "Terror" setzt er sich intensiv mit der Expedition auseinander und schont seine Leser nicht. Vom Verlauf des Skorbuts berichtet er genauso gnadenlos, wie er schildert, wie man einen Menschen ausnimmt, um ihn essen zu können. Dabei zeigt sich, dass Simmons exzellent recherchiert hat; er hat sich offensichtlich mit allen seriöseren zur Franklin-Expedition kursierenden Theorien beschäftigt und sich zudem mit der Lebensweise der Inuit vertraut gemacht. Aus deren Erzählungen nämlich speist sich das, was man über das Ende der Expedition weiß. Und an der Lebensweise der Inuit kann man erklären, was diese Expedition falsch gemacht hat. Die Royal Navy nämlich vertraute nur auf die Erfahrung der Polarforscher und die Technik.
Simmons nun bemüht einen erzählerischen Kniff - er lässt die Mannschaft eine stumme Eskimofrau aufgabeln. Doch zu nonverbaler Kommunikation, noch dazu mit einer "Wilden", sind die Seeleute nicht bereit, lieber glauben sie daran, dass sie eine "Hexe" sei. Die "Wilde" aber hätte ihnen zeigen können, wie man wärmende Iglus baut, wie man Robben jagt oder wie man sich in wenige Tierfelle gekleidet vor der Kälte schützt. Jedenfalls besser als mit mehreren Schichten von wollenden Pullovern, die man bald durchschwitzt, sodass sie gegen die im kanadisch-arktischen Archipel nicht selten vorherrschenden 60 Grad minus nicht mehr helfen.
In den ersten zwei Dritteln seines Romans zeigt Simmons vor allem die Arroganz, aber auch die frömmlerische Sorgfalt, mit der die britischen Offiziere ihre Schiffe und ihre Mannschaft leiten: Zugleich müssen sie alle schon recht früh gegen ein sehr intelligentes "Wesen" antreten, das offensichtlich mehr ist als "nur" ein übergroßer Eisbär. Simmons wechselt dabei ständig die Perspektive, berichtet mal aus Sir Johns Warte, mal aus der von Kapitän Croziers und Kapitän Fitzjames, seiner Nachfolger, er zitiert aus dem fiktiven Tagebuch des letzten verbleibenden Schiffsarztes und blendet auch die Perspektive der einfacheren Schiffsleute ein. Meisterhaft ist es, wie er seine Erzählstränge zusammenhält. Doch sein enormes Wissen über die Expedition wird ihm auch manches Mal zur Krux, etwa wenn er Crozier in einem Fiebertraum nahezu alle tatsächlich unternommenen Rettungsversuche vorhersehen lässt - dergleichen ist für die eigentliche Erzählung eher belastend. Außerdem ist Simmons Verklärung der naturverbundenen Lebensweise der Inuit im letzten Drittel manches Mal allzu übertrieben und schlicht zu belehrend. Schließlich fällt es unangenehm auf, dass der verschlagenste, verräterischste und raffgierigste Teilnehmer der Expedition sowohl homosexuell als auch beschnitten ist.
Doch trotz dieser Einschränkungen ist "Terror" ein Roman, den man geradezu verschlingen muss, so spannend ist er geschrieben. Man versteht, warum Stephen Kings sagt, er beneide Simmons wegen seiner Kunst. Simmons kann es einfach besser als King. Und das soll was heißen.
Dan Simmons: "Terror". Aus dem Amerikanischen von Friedrich Mader. Heyne Verlag, München 2007, 965 Seiten, 22,95 ¤
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