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Damals bei uns daheimUrlaub in Österreich

Uli Hannemann
Kolumne
von Uli Hannemann

Urlaubsgefühle bedeuteten: Verzweiflung, panische Angst, bis hin zum Wunsch, auf der Stelle zu sterben – Ferien in Österreich eben.

Der Nationalpark Hohe Tauern in Österreich – gar kein richtiges Ausland. Foto: dpa

In den Sommerferien fuhren wir immer nach Bad Kröll in die Pension von Frau Huflattichseder, einer bärbeißigen Marodeurswitwe, die säuerlich roch. Sie wusch sich mit einem alten Lappen, den sie auch für die Zufahrt, das Geschirr, den Stall und die Toilette benutzte. Daher stiegen jedes Mal, wenn ich einen Hauch von Erbrochenem roch, Urlaubsgefühle in mir hoch. Urlaubsgefühle bedeuteten: Verzweiflung, panische Angst und eine alles durchdringende Unlust, die sich bis zum Wunsch hin steigerte, auf der Stelle zu sterben – Ferien in Österreich eben.

Auslandsreisen waren noch nicht wieder en vogue, mit der Ausnahme Österreich, was „gar kein richtiges Ausland“ war, wie Stiefvater bemerkte. Woanders war der Deutsche weniger wohlgelitten. Keiner wusste, warum, denn ein paar Jahre früher war man ja noch ohne Probleme überall hingereist, nach Norwegen, Frankreich, Griechenland und selbst bis nach Afrika. Damals habe es keinerlei Grenzkontrollen gegeben, schwärmte Stiefgroßvater. Ein paar Panzer genügten, und schon war man drin.

Am Morgen der Abreise schleppten wir um ein Uhr früh die gepackten Koffer zu unserem Volkswagen der Marke „Sturmwind“: sechs Sitze, viel Stauraum und 38 PS. Um zwei waren wir auf der Autobahn, „um den Urlaubsstau zu vermeiden“, wie Stiefvater sagte. Und jedes Jahr standen wir kurz darauf im Stau, denn alle hatten denselben Plan. So war immerhin genügend Muße, den Hund an die Leitplanke zu binden, wo wir ihn auf dem Rückweg wieder abholen würden.

Damals bei uns daheim

NSU war damals eine angesehene Automarke in einem grauen Land, in dem der Weiße Riese und schwarze Pädagogik herrschten. Die Serie von Uli Hannemann über eine Kindheit in der Westzone zwischen Umweltverschmutzung, Pellkartoffeln und Kaltem Krieg.

Bergsteigerstau und Klabusterbeeren

Am nächsten Abend war es dunkel, wenn wir die Pension „Alpenfestung“ erreichten. Frau Huflattichseder wischte uns Stiefkindern zur Begrüßung mit dem feuchten Lappen über das Gesicht. Dann bezogen wir unsere Holzkammern. Der Urlaub konnte beginnen.

Um dem Bergsteigerstau zu entgehen, wurden wir schon am nächsten Morgen um zwei mit unseren winzigen Beinchen durch atemberaubende Steilwände auf gewaltige Gipfel gehetzt.

Wegen der „schönen Landschaft“ und der „früschen Luft“. Stiefmutter fotografierte uns alle dabei mit einer Kamera, die sie Leni Riefenstahl abgekauft hatte. Auf dem Rückweg sammelten wir in einem Dornenwald Klabusterbeeren, um uns autark zu ernähren. Sparen hieß das Gebot der Stunde.

Nur selten ging es in ein „Wirtshaus“, wo wir zu Mus zerkochte Tiere aus Notschlachtungen aßen. Die Österreicher nannten das „Gulasch“. Was sie sonst sagten, verstanden wir nicht. Man merkte nur, wie sie uns hassten. Stiefmutter flüsterte uns zu, dass sie uns unsere Sprache neideten, da ihre wie das Krächzen einer Krähe klang.

Einmal wären wir fast zum Baden gegangen, doch fanden wir den See im Nebel nicht. Stattdessen besuchten wir ein stillgelegtes Schwefelbergwerk, in dem giftige Dämpfe wie Klapperschlangen zischten. „Kinder, ist der Urlaub schön“, verkündeten unsere Stiefeltern im Minutentakt. Wir nickten eifrig, andernfalls hätte es tierisch auf die Fresse gegeben. Schließlich konnten „viele Kinder gar nicht in den Urlaub fahren.“ Wie wir die beneideten!

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Uli Hannemann
Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.
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4 Kommentare

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  • Gratuliere, ein toller Text.

  • Was versteht der Autor denn unter "Klabusterbeeren"?

  • 1G
    1074 (Profil gelöscht)

    Na ja, was Österreich für den Selbsthass kann, weiß wohl nur er. „Zerkochte Tiere“ werden leider auch noch heute serviert und gegessen – in allen deutschsprachigen Ländern! Als Jahrgang 1965 machte er wohl Urlaub in den 1970ern. Die hier porträtierte Touristikerin hat es wohl nur in seiner Einbildung gegeben – eigentlich ne plumpe Verunglimpfung.

     

    Satire oder feine Ironie sind wohl nicht sein Talent. Hier kann er sich die Hand mit seinem Landsmann aus Niedersachsen, nämlich Herrn Wesenberg (Tex Rubinowitz) reichen.

     

    Dass es auch anders geht, zeigen u.a. Texte wie dieser: http://www.amazon.de/SCHWANZRASUR-oder-Brainstorming-eines-Rasenden-ebook/dp/B00PYJGS5I

     

    Weniger verbissen ist meistens besser!

    • @1074 (Profil gelöscht):

      das ist eine kolumne. das hat literarischen wert und ist keine tourismus kritik, auch nicht auf "das österreich" 2015, sondern eine subjektive schreckenserinnerung an familiäre zwänge usw. usf... .