piwik no script img

Daily Dope (615)In Wielerland

Der niederländische Radsporthero Michael Boogerd will einfach nicht zugeben, dass er beschissen hat. Dabei lechzt die ganze Nation nach der Wahrheit.

Doping? Ex-Radprofi Michael Boogerd macht den großen Schweiger. Bild: imago/sirotti

Michael Boogerd schweigt. Der ehemalige Radprofi tut das schon den ganzen Winter – seit der Großsponsor Rabobank nach Bekanntwerden der Doping-Praktiken in seinem Rennstall denselben auflöste. Eigentlich schweigt er schon seit 2009, als sein Name in Verbindung mit der österreichischen Blutbank Humanplasma auftauchte. Der Dopingdealer Stefan Matschiner, der nach dem Ende des Labors die Geschäfte allein fortsetzte, sagte nach seiner Festnahme aus, Boogerd zweimal behandelt zu haben. Boogerd gab damals an, Matschiner nur einmal bei einem Rennen gesehen zu haben.

Nun allerdings sitzt Boogerd, der im Rabobank-Trikot 1999 das Amstel Gold Race gewann, zwei Etappen der Tour de France und 13 Podiumsplätze verbuchen konnte, derart in der Klemme, dass ihm das Schweigen immer schwerer wird: das NRC Handelsblad, das die Beziehung zwischen Rabobank und Humanplasma schon seit Längerem untersucht, veröffentlichte letzte Woche vier Rechnungen, die Matschiner Boogerd 2006 und 2007 gestellt hat. Knapp 17.000 Euro werden darauf für „Laktattests“, „Ernährungsmittel“ und „Trainingspläne“ veranschlagt.

2012 hatte Boogerd zugegeben, er habe Matschiner zu seiner aktiven Zeit kleine Beträge für „Vitamine“ bezahlt. „Ich denke, dass man für 17.000 Euro sehr viele Vitamine kaufen kann“, war die trockene Antwort des Österreichers. Dem NRC Handelsblad sagte er: „Ich setze natürlich nicht ’Doping‘ auf die Rechnung, sondern ’Laktattest‘ oder ’Ernährungsmittel‘. Und wenn ich ’Trainingsplan‘ geschrieben habe, meinte ich einen Einnahmeplan für Doping.“

Zu Matschiners Kundenkreis zählten unter anderem Boogerds frühere Teamkollegen Thomas Dekker, der wegen Epo-Gebrauchs zwischen 2009 und 2011 gesperrt war, und Michael Rasmussen, der vor wenigen Wochen zugab, zwölf Jahre lang gedopt zu haben. Die Tageszeitung Volkskrant schrieb, Matschiner habe während der Frankreichrundfahrten 2005 bis 2007 zwölf Blutpäckchen an führende Rabobank-Fahrer geliefert.

Systematisches Doping

Die Bank gab nach der Veröffentlichung des Usada-Berichts zu Lance Armstrong im Oktober bekannt, Ende 2012 ihren Rennstall nach 17 Jahren aufzulösen. Die jüngsten Enthüllungen über systematisches Doping im Rabobank-Team nannte Piet Moerland, Vorsitzender des Verwaltungsrats der Bank, am Wochenende „schockierend, unvorstellbar und fürchterlich“. Der Sponsor sei „betrogen und getäuscht“ worden.

Welche Wellen die Doping-Affäre in den radsportbegeisterten Niederlanden schlägt, zeigt eine Untersuchungskommission, die im Dezember unter Leitung der früheren Justizministerin Winnie Sorgdrager ins Leben gerufen wurde. Ihre Aufgabe ist es, Einsicht in die Doping-Strukturen im niederländischen Radsport zu bekommen. Einzelne Schuldige ausfindig zu machen gehört nicht dazu. Jenen, die auspacken wollen, bietet sie Anonymität. Michael Boogerd sagte zuletzt, er sei für ein Gespräch offen.

Wie nun die zahlreichen Wielerfanaten im Land, die Fahrradfanatiker, reagieren, werden die Frühjahrsklassiker zeigen. Dass Erschütterung nicht ihre einzige Gefühlsregung ist, beweist die literarische Radsportzeitung De Muur in ihrer jüngsten Ausgabe. Sie ist vollständig dem Thema Doping gewidmet, um „Hysterie“ und „Moralrittern“ Hintergründe und Nuanciertheit entgegenzusetzen.

„Bleibt mit euren Dreckspfoten von unserem Drecks-Radsport“, klingt es kämpferisch auf dem Titel, um dann im Editorial fast zärtlich zu schließen: „Freunde des Cyclisme, behaltet den Mut. Wie Bob Dylan schon sang: Es kommen andere Zeiten.“

Update vom 6. März, 15:15 Uhr: Am Mittwoch hat Boogerd sein Schweigen gebrochen und jahrelanges Doping gestanden. „Ich habe EPO genommen, Kortison, und in der letzten Phase meiner Karriere auch Bluttransfusionen durchgeführt“, sagte der 40-Jährige in einem Interview mit dem TV-Sender NOS. Die Ausstrahlung ist für Mittwochabend geplant. (dpa)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Themen #Doping
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!