: Dämonisierung des Feindes
betr.: „Die Halsabschneider von Bagdad“ von Robert Misik, taz Kultur vom 10. 7. 04
Der Untertitel verspricht eine „Kulturgeschichte der Enthauptung“ in Kurzform. Leider stimmt ausgerechnet der biblische Bezug nicht. Misik verlegt die Enthauptung Johannes’ des Täufers in die Apostelgeschichte. Dort kommt sie aber gar nicht vor, sondern in den Evangelien des Matthäus (Matthäus Kap. 14) und des Markus (Markus Kap. 6). Nur sie berichten von dem blutigen Spektakel anlässlich des Geburtstages des Herodes.
Auch die Analyse lässt zu wünschen übrig. So stellt die Enthauptung gerade nicht „die Zerstörung der körperlichen Integrität“ dar, wie Misik schlussfolgert. Sondern beim Enthaupten oder Kopfabschlagen geht es gerade darum, den Kopf als Behältnis der Gedanken zu treffen und so das Denken und Planen des Gegners zu vernichten. Dafür ließen sich zahlreiche Belege anführen, so etwa die kriegerische Praxis der assyrischen Könige oder auch wiederum die Bibel: die Prophezeiung im 1. Buch Mose, der Schlange werde ihr Kopf zermalmt, richtet sich gerade auf die vollständige und endgültige Ausrottung ihrer verderblichen Gedanken und Absichten und geht damit über die bloß physische Vernichtung hinaus.
ARNO KLEINEBECKEL, Engelskirchen
Dämonisierung des Feindes – das ist Sinn und Zweck von Kriegspropaganda. Dass wir uns alle spätestens seit dem 11. 9. 2001 im Krieg mit islamische Terroristen befinden, kann man nicht übersehen. Und dass ausgerechnet Robert Misik, den man nicht als Handlanger von Desinformationskampagnen des Pentagon bezeichnen sollte, mit seinem Artikel das üble Handwerk eines Kriegspropagandisten betreibt, ist so offensichtlich wie erschreckend.
Da ist vom Köpfen als „beliebter muslimischer Praxis“ die Rede – ungeachtet der Tatsache, dass das Köpfen bis in die Gegenwart eine ebenso beliebte christliche Praxis gewesen ist. Die letzte öffentliche Hinrichtung mit der Guillotine in Westeuropa fand 1939 in Versailles statt – unter reger Publikumsbeteiligung, mit Weinausschank und Jahrmarktgaukelei. Aber der Islam, der ist besonders böse, also heißt es: „Die Geschichte des Islam ist voll von abgeschlagenen Köpfen, die auf Lanzen gespießt und zur Abschreckung ausgestellt wurden.“ Als ob die Geschichte nicht mindestens genauso oft abgeschlagene Köpfe als Zeichen des Triumphs auf den Türmen und Mauern abendländischer Städte gesehen hätte.
Rhetorisch fragt Misik: „Ist das Köpfen […] gewissermaßen eine muslimische Marotte?“ Anschließend setzt er fort: „Gewiss unterscheidet sich der frühe Islam in dieser Hinsicht nicht besonders von anderen kriegsführenden Kulturen vergangener Zeiten.“ Jetzt warten wir auf ein „Aber“ oder „Jedoch“ um eventuell zu erfahren, worin sich denn nun die „Marotte“ zeige. Aber wir bekommen kein „Aber“. Und solchermaßen fahrlässig irreführend bis tendenziös plaudert Misik weiter; zum Beispiel salopp behauptend, mit der „Zähmung der Affekte“ und der Aufklärung sei bei uns das Köpfen „aus der Mode“ gekommen. Dabei geflissentlich übersehend, dass die der Aufklärung verpflichtete Französische Revolution in kurzer Zeit ca. 40.000 Menschen einen Kopf kürzer gemacht hat. Und es ist in Deutschland auch mal grade erst ein paar Generationen her, dass in Gefängnissen ca. 30.000 Menschen unter Nazirechtsprechung mit der Guillotine hingerichtet wurden.
Tja, so aus der Mode ist das Köpfen im christlichen Abendland mit der Aufklärung gekommen. Wer Misik aus seinen Publikationen kennt, wird ihm bei diesem Artikel keine böse Absicht unterstellen. Aber dieses oberflächliche Elaborat aus Vorurteilen und ein paar einseitig zusammengestellten Fakten unter dem Etikett einer „Kulturgeschichte der Enthauptung“ anzudienen, das ist zu viel des Schlechten. Und auch wenn es keine Absicht war: Es gibt auch Kriegspropaganda aus Versehen. […]
PETER MICHAEL WITT, Düsseldorf