: Dämme bauen
■ Honecker distanziert sich von Gorbatschows Reformkurs
Die „weitere Vervollkommnung“ war schon auf dem letzten Parteitag der SED die Antwort auf sowjetische Vorstellungen zur Wirtschaftsreform. Eine Woche nach Gorbatschows Rede vor dem ZK der KPdSU greift Honecker dieses Motto wieder auf und markiert damit die bisher schärfste Ablehnung aller Demokratisierungsforderungen, die aus der Sowjetunion in die DDR überschwappen könnten. Den sowjetischen Reformvorstellungen liegt die Annahme zugrunde, daß es auch in einer sozialistischen Gesellschaft divergierende Interessen gibt. Sie theoretisch oder praktisch zu ignorieren, führe zu Korruption, Frustration und Gleichgültigkeit. Daher müsse die freie Artikulation dieser Interessen möglich gemacht werden. Honecker hat dagegen das klassische Modell des Realen Sozialismus bekräftigt. Die grundsätzliche gesellschaftliche Loyalität wird durch Repression sichergestellt, aber auch durch staatliche Fürsorglichkeit, durch die organisatorische Einbindung möglichst vieler „Bürger“ in die Lösung sozialer und kommunaler Detailprobleme und nicht zuletzt durch „ideologische Überzeugungsarbeit“. Demokratie wäre dann vollkommen realisiert, wenn alle davon überzeugt sind, daß die „da oben“ ihre Sache richtig machen. Wenn Honecker auf seiner Rede alles andere als bürgerliche feindliche Ideologie bezeichnet, ist das implizit nicht nur ein sehr scharfer Angriff auf Gorbatschow, sondern auch der Versuch, gegen unkalkulierbare Entwicklungen einen Damm zu errichten. Erhard Stölting
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