Da war doch noch was: Zum Beispiel: Die Kulturhauptstadt
Um Chancen zu haben, muss Bremen sich sputen
Manche Termine sollte man nicht verpassen – wozu in Bremen sicher der 31. März 2004 gehört. Denn: Wenn an diesem Tag nicht frühlingshaft beschwingt ein dicker Briefumschlag zugeklebt und auf die Post gegeben wird, hat Bremen seine Chance verpasst, 2010 „Kulturhauptstadt Europas“ zu werden.
Bis zum Ende der Bewerbungsfrist muss noch viel konzeptionelle Arbeit geleistet werden. Zumal in knapp anderthalb Jahren auch in zahlreichen anderen deutschen Städten Erfolgversprechendes eingetütet wird. Hamburg, Stuttgart und Potsdam sind mit ihren Hauptstadt-Plänen schon deutlich vorangeschritten, ganz abgesehen vom Städtequartett Duisberg, Mülheim, Essen und Dortmund, die sich mit ihrer gemeinsamen Ruhrgebietsbewerbung große Mühe geben.
Und Bremen? Ein erstes internes Gutachten des Kulturessorts über die Pfunde, mit denen die Stadt europaweit wuchern könnte, ist vom Fachsenator persönlich und lautstark in den Papierkorb befördert worden – offenbar war es wirklich zu dünn gestrickt und hatte, zum Beispiel in Sachen Musikstadt, recht viele Luftmaschen.
Jetzt muss es endlich einen „deutlichen Ruck“ geben, fordert zu Recht die grüne Bürgerschaftsabgeordnete Helga Trüpel, die vor zwei Jahren die Idee einer Bremer Bewerbung aufgebracht hat. Und nicht nur die Grünen mahnen, auch die Handelskammer drängt: „Eine schnelle Entscheidung des Gesamtsenats ist ganz wichtig“, so Kammer-Geschäftsführer Uwe Nullmeyer, damit die „große Chance und Herausforderung“ bewältigt werden könne.
Denn klar ist: Die Landesregierung darf den Kultursenator und dessen Engagement für die Hauptstadtbewerbung nicht alleine stehen lassen. Dazu müsste die schon mehrmals angekündigte Senatsvorlage auf den Tisch, mit der sich Bremen eindeutig für die Bewerbung entscheidet. „Es gibt keinen Zwang für Schnellschüsse“, sagt Kultursprecher Markus Beyer. Aber bis Ende des Jahres solle die Vorlage nun eingereicht werden. Auch Senatssprecher Klaus Schlösser sieht die Regierung „sehr engagiert am Ball“.
Was auch unerlässlich ist, schon wegen der finanziellen Dimensionen, die den ohnehin chronisch überforderten Kulturhaushalt vollends zerreißen würden. Zwischen 40 und 120 Millionen Euro haben die bisherigen Hauptstädte an öffentlichen Mitteln aufgebracht, die EU gibt lediglich einen geringen „Organisationszuschuss“, der im Fall von Rotterdam und Porto (die Kulturhauptstädte des vergangenen Jahres) je 125.000 Euro für grenzüberschreitende Kooperationen betrug. Für die Bremer Bewerbung wird mit einem Investitionsbedarf von rund 50 Millionen Euro aus öffentlichen Mitteln gerechnet, zu denen freilich noch erhebliche Sponsorenmittel kommen müssten.
Inhaltlich sind die Chancen Bremens gar nicht schlecht, im Reigen der Kulturhauptstädte, der 1985 von Athen begonnen wurde, mitzutanzen. Die „Herausstellung der gemeinsamen kulturellen Strömungen in Europa“, die die Rahmenrichtlinien der EU verlangen, könnte Bremen vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung problemlos vorweisen: Durch Kooperationen mit den Partnerstädten Riga und Danzig, möglicherweise auch Groningen – was freilich beizeiten geplant sein will. Bliebe noch die ebenfalls geforderte „Mobilisierung und Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten“ und die Notwendigkeit, die Bremer Kultureinrichtungen nicht durch Kürzungen ihres Ausstrahlungspotentials zu berauben. Schließlich müssen die sich bewerbenden Städte ein angemessenes Kulturprogramm anbieten, das keinesfalls aus einem externen Star-Zirkus bestehen darf.
Trotz dieserAnforderungen: Die Gelegenheit, den notwendigen Bremer Strukturwandel durch die Hauptstadtbewerbung voranzutreiben, ist ausgesprochen chancenträchtig. Bestes Beispiel sind die Glasgower Erfahrungen. 1990 war die von wegbrechenden Alt-Industrien, Arbeitslosigkeit und Jugendkriminalität geprägte, schrumpfende Hafenstadt Kulturhauptstadt – eine durchaus politische Entscheidung zu Ungunsten des altehrwürdigen Edinburgh. Nach nunmehr 12 Jahren lassen sich in Glasgow nachhaltige Effekte wie Stadtteilsanierung und Touristenzuspruch beobachten. Atmosphärisch und finanziell war die Investition ausgesprochen lohnend. Davon hat sich auch, vor Ort, die Bremer Kulturdeputation überzeugt.
Die Hauptstadtbewerbung als Element der Bremer Sanierungsstrategie: 2010 könnte sich die Hansestadt mit einem neuen Selbstverständnis präsentieren. Die Entwicklung in diese Richtung wäre sogar auch dann fruchtbar, wenn letztendlich ein andere Kommune gekürt würde – das wiederum zeigt die unberücksichtigte Nürnberger Bewerbung von 1994, die dort nichts desto trotz immer noch als produktiv empfunden wird.
Um auch an der Weser so weit zu kommen, müsste endlich die Projektgesellschaft zur Vorbereitung der Bewerbung installiert werden, für die sich auch die Kulturdeputation schon nachdrücklich ausgesprochen hat. Ende 2005 entscheidet das Europäische Parlament über die Bewerbungen, gestützt auf das Votum einer siebenköpfigen Fachjury, die wiederum auf Grundlage einer Prioritätenliste der jeweiligen Staaten entscheidet. Die deutsche Rangliste kommt via Auswärtiges Amt vom Bundesrat. Dort also fällt die nationale Vorentscheidung.
Immerhin: Während sich beispielsweise Aachen und das Ruhrgebiet schon auf Landesebene in die Quere kommen, hat Bremen diese erste Hürde bereits souverän im Alleingang genommen. Für die nächsten allerdings braucht man richtigen und rechtzeitigen Anlauf.
Henning Bleyl
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