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„Da hat's grad geknackt“

■ Kehrmaschine auf Werdersee kracht fast ein/Heute freiwillige Schneeschipp-Aktion

Helmut ist ein mutiger Mann. Genau der richtige Kerl für eine tonnenschwere Spritztour übers Eis am Werdersee. Es ist halb zehn Uhr morgens. Zehn orangegekleidete Müllwerker stehen feixend am Ufer und feuern ihren tapferen Kollegen an: „Helmut, leg deine Schwimmwesten an“, rufen sie. Glitschiger und zugematschter Schnee bedeckt das Eis. Zu viel Schnee für passionierte EisläuferInnen, befanden gestern die Bremer Entsorgungsbetriebe (BEB). Da muß also Helmut ran.

Mit einem zwei Tonnen schweren Schneekehrer will er auf den tiefgefrorenen See. Dampfend schiebt sich der Koloß zum Ufer vor. Die Reifen schliddern vorsichtig über das Eis – und zehn Müllwerker halten den Atem an. Helmut gibt Gas. Doch plötzlich knirscht's. Dann knackt's. Zehn Müllwerker-Augenpaare entdecken einen teuflisch langen Riß im Eis. Panisch legt Helmut den Rückwärtsgang ein. Und setzt – zurück am sicheren Ufer – enttäuscht seine weiß-blaue Pudelmütze ab.

„Die Aktion ist abgeblasen“, ärgert sich BEB-Sprecher Friedhelm Behrens über das Eisdesaster am Werdersee. Tapfere Männer hätte die BEB allemal – und eifrige dazu. „Aber das konnte ich dann doch nicht mehr verantworten,“ sagt er – zu große Gefahr fürs Personal. Schuld sei das „nicht homogen gefrorene Eis“. Das hatte ein Statiker dem eifrigen BEB-Sprecher bereits am Morgen verraten. Eigentlich wollte die BEB ja auf Nummer sicher gehen – und die Tragkraft der etwa 25 Zentimeter dicken Eisschicht exakt berechnen lassen. „Aber die Experten haben mir gesagt, daß sich da Luftblasen bilden. Deshalb läßt sich nicht mehr sagen, ob das Eis die zwei Tonnen schwere Maschine auch trägt.“

Auch andere Experten in Hamburg und Hannover schüttelten die Köpfe: Kein tonnenschwerer Schneekehrer auf der Hamburger Alster. „Zu gefährlich“, ließ sich BEB-Sprecher Behrens von einem Eisfachmann der Hafenstadt erklären. Die gleiche Warnung kam aus Hannover: Auf dem Eislaufgebiet Maschsee hat auch noch kein einziger tonnenschwerer Schneekehrer gefegt – übermittelte ein Kollege aus der niedersächischen Hauptstadt.

Bei den Bremern aber muß der Pioniergeist stärker gewesen sein. Trotz zahlreicher Warnsignale rollte der Trupp gestern am Werdersee an – und scheiterte. „Beim Kundentelefon hatten doch so viele angerufen und gebeten, daß wir den Schnee wegräumen“, erklärt BEB-Sprecher Behrens. Verlassen steht der schwere Kehrerkoloß am Uferrand. „Armer Helmut“, raunen die enttäuschten Kollegen und schauen betreten auf den langen Riß im Werdersee-Eis.

Doch so schnell lassen sich tapfere Männer nicht den Spaß verderben. Heute nämlich blasen die Entsorgungsbetriebe zu ihrem nächsten Streich: Genau 100 Schneeschieber will die BEB ab 13 Uhr zum Werdersee karren – und freiwilligen BremerInnen zum Selfmade-Freischaufeln in die Hand drücken. „Und wir helfen natürlich mit“, sagt Helmut. Und hält längst einen braunen Schneeschi eber am Griff. Auch die Kollegen laufen zum Wagen am Ufer und schnappen sich welche. Eifrig schaben sie so Eislaufwege frei. Ein Mini-Schneekehrer für Radwege schnurrt bereits auf dem Eis. „Der fährt mit Handbetrieb und ist gar nicht schwer“, sagt der Führer und hat in kaum zehn Minuten eine spiegelglatte Fläche für EisläuferInnen freigefegt. Strahlend drehen hier begeisterte BremerInnen ihre erste schneefreie Runde. Auch Helmut ist heute von 13 bis 16 Uhr beim großen Schneeschieben dabei. Dann aber ohne den Zweitonnenkoloß. Schließlich geben sich die Müll-Aktivisten so schnell nicht geschlagen. Vor allem nicht, wenn sie Helmut heißen. kat

Das Schippenverteilen fängt heute um 13 Uhr an. Treffen am Deichschart.

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