: Da hat mein Entwicklungsprozeß begonnen
■ betr.: "Zynische Ratgeber", taz vom 14.11.92
betr.: „Zynische Ratgeber“ (Ökolumne), taz vom 14.11.92
[...] Es stimmt ja, daß Zynismus mit im Spiel ist, getragen vom „politischen Primat der Ökonomie“. Ich möchte noch im Klartext draufsetzen: präventive Besitzstandsverteidigung steckt dahinter! Trotzdem sollten wir nicht jede Bemühung von dieser Seite als Zynismus denunzieren. [...]
Die notwendige radikale Änderung unserer Lebensweise kann doch nicht über Nacht stattfinden! Und in einer Demokratie oder so ähnlich schon gar nicht per Verordnung „von oben“ oder per Umweltsteuer (Benzin sechs DM pro Liter usw.). Darauf läßt sich heute kein Regierender allen Ernstes ein, der noch einmal gewählt werden will. Die radikale Änderung kommt, wenn überhaupt, dann als Entwicklungsprozeß, in den sich möglichst viele begeben müssen, auch Sie und ich, Herr Berger!
Wenn ich nun meinen Ziegel in den Spülkasten gelegt habe und dann erfahre, daß für die Produktion eines Autos 400.000 Liter Wasser verbraucht werden, dann komme ich mir komisch vor. Wenn ich das Auto zu Hause lasse und zu Fuß einkaufen gehe und dann erfahre, daß meine Kartoffeln zum Waschen von Holland nach Italien und zurück und dann in ein zentrales Lagerhaus in Deutschland und dann in meinen Supermarkt gefahren wurden, dann bin ich noch ganz anders betroffen. Wenn ich mir die Mühe mache und meinen ausgedienten Kühlschrank zur FCKW- Entsorgung gebe und dann erfahre, daß an der Geislinger Steige ein Betrieb das FCKW nachts tonnenweise in die Luft abläßt, dann packt mich der heilige Zorn. Da kann noch was Gutes draus werden, da hat mein Entwicklungsprozeß doch schon begonnen.
Jedes Schrittchen, das diesen Prozeß der Selbstveränderung einleiten könnte, führt darum weiter als bloße Negation, Denunziation und Resignation. Und darum sollten wir alles, was unserem Biotop auch nur ein bißchen hilft, begrüßen, das Gute ermutigen und stärker machen, überall, massenhaft – wie denn sonst? Theo Krönert, Kaisersbach
Öko-Zynismus hin oder her: auch wenn kleine Schritte des/der einzelnen scheinbar wenig nutzen – zumindest schaden sie nicht! Die Schlußfolgerung, daß wir als Individuen nichts tun können, ist fatalistisch, wenn nicht schlichtweg falsch. Wir sind doch viel unabhängiger als die Konzernherren, die von vielerlei Interessen geleitet entscheiden. Und erst die schwachen, sachzwangbeladenen Politiker/innen, die es gleichzeitig den Konzernherren, Verbänden, Gewerkschaften und den vielen anderen Interessengruppen recht machen sollen. [...]
Wenn wir nicht darin erstarren wollen, die Dummheit der Menschen und ihre Selbstzerstörung mit Häme und Selbstgefälligkeit zu kommentieren, müssen wir eben pragmatisch und trotz allem positiv unser möglichstes tun. Ohne falsches Dogma und den abgelutschten erhobenen Zeigefinger.
[...] Markus Schilling, Kassel
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