DVDESK : Bewegungen durch Berlin
Thomas Arslan: „Geschwister“, „Der schöne Tag“ und „Im Schatten“, Filmgalerie 451, für je ca. 15 Euro im Handel
Der schöne Tag beginnt mit einem Blick in den Himmel: der ist blau, ein paar Einsprengsel von Wolken. Es folgen aber keine weiteren Blicke nach oben, für den Rest ist Thomas Arslans Film, der eben den Titel „Der schöne Tag“ trägt, ganz auf Augenhöhe mit seinen Figuren. Im Zentrum steht Leyla, eine junge Frau, die sich von ihrem Freund trennt und in der U-Bahn einen anderen Mann kennen lernt. Zu Fuß und mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist sie in Berlin unterwegs. „Der schöne Tag“ ist der Abschluss einer sehr losen, nicht durch eine gemeinsame Handlung oder die Protagonisten zusammengehaltenen Trilogie. Was die drei Filme, „Geschwister“, „Dealer“ und „Der schöne Tag“, mit dem jüngsten Werk des Regisseurs, dem im letzten Jahr in ein paar Kinos gekommenen „Im Schatten“ verbindet, ist vor allem das eine: Es sind Filme, die etwas tun, das einfach klingt, aber sicher nicht ist. Sie zeigen Menschen an einem spezifischen Ort (Berlin) zu einer spezifischen Zeit (jeweils: der Gegenwart) in der Bewegung durch ihre Stadt.
Durch so gut wie keinen Plot zusammengehalten werden die Geschehnisse in „Geschwister“ aus dem Jahr 1996. Der in Kreuzberg lebende Deutsch-Türke Erol beschließt zum Entsetzen seiner Familie, sich für den Militärdienst in der Türkei zu melden. „Du sprichst nicht einmal richtig Türkisch“, spottet sein jüngerer Bruder Ahmed. Dies ist aber nur der Ausgangspunkt eines Porträts deutschtürkischer Menschen in ihrer vertrauten Umgebung, rund um das Kottbusser Tor mitten in Kreuzberg. „Geschwister“ ist eine Studie junger Menschen an diesem Ort. Sie sind genau beobachtet, sprechen den aus den Bussen und U-Bahnen des Kiezes vertrauten Soziolekt. Was sie beschäftigt, sind alltägliche Dinge wie die berufliche Zukunft und die Liebe, Dinge bahnen sich an, werden beredet.
Schon in seinem Kinodebüt ist Thomas Arslan jedoch weit entfernt von pseudodokumentarischem Naturalismus. Die Stimmigkeit der Sprache, der Orte und der Gefühle findet ihre Entsprechung in der filmischen Form. Die Genauigkeit, mit der das Sitzen und Gehen, der Stillstand und die Bewegung, das Sprechen und auch das Schweigen in jeder einzelnen Einstellung in glasklare Bilder gefasst wird, verleihen den Filmen jenes distanzierende Formbewusstsein, das zum Markenzeichen der Regisseurinnen und Regisseure der Berliner Schule wurde.
Nach Ausflügen in andere Formen und Regionen (die Türkei, Brandenburg) ist Arslans jüngster Film „Im Schatten“ eine weitere Erkundung des Stadtraums Berlin. Diesmal allerdings setzt ein Genrekino-Plot die Figuren in Bewegung. Ein Mann kommt aus dem Knast, rückt ein paar Dinge zurecht und plant einen neuen Coup. Vom ersten Bild an finden Arslan und sein Kameramann Reinhold Vorschneider grandiose Darstellungsformen für die Bewegung eines Manns durch die Stadt, diesmal sehr viel mehr mit dem Auto als – wie überwiegend in der „Berlin-Trilogie“ noch – zu Fuß. Ein eleganterer und stilsicherer Film ist im deutschen Kino der letzten Jahre schwerlich entstanden. Eine Weile schien es, als drohte Thomas Arslan auf deutschtürkische Themen festgelegt zu werden. Nun, da er sich souverän aller Erwartungshaltungen entledigt hat, plant er, einen Western zu drehen. EKKEHARD KNÖRER