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DURCHS DRÖHNLANDDas Gemüt eines Kanaldeckels

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der Woche

Eine der momentan interessantesten deutschen Bands beglückt uns dieses Wochenende: Walls Have Ears aus Dortmund verquicken die harte, auf Metall produzierte Rhythmik der Einstürzenden Neubauten mit straighten Rockgitarren und einem Sänger, der so klar und eindringlich seine vorwiegend deutschen Texte intoniert, wie es anno dunnemals während der NdW (»Neue deutsche Welle«? fragt sich der greise Red.) üblich war. Das mag auch ihr größtes Manko sein, weil die NdW eben hauptsächlich wegen ihres Humors gut war, Walls Have Ears aber statt dessen einen ernsthaften Ansatz ihr eigen nennen. Um das Mißverständnis erst gar nicht aufkommen zu lassen: Walls Have Ears sind zwar keine Düsterlinge, wie es manche Samples und das verwendete Metall nahelegen könnten, aber die Fröhlichsten auch nicht. Ein bißchen lustig wird es dann, wenn Goldfinger und die Beatles gecovert werden.

Am 27.3. um 22 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 6, 1193

Gitarristen gibt es viele, aber welcher holt aus seinem Instrument schon mehr als die bekannten Akkorde heraus? Yref ganz bestimmt, schon allein, weil er auf den Akkord als Grundlage völlig verzichtet. Auf der einen Seite vermeidet er es, die Studiotechnik zur Aufmotzung der Töne zu benutzen, auf der anderen bezieht er ein, was andere zu unterdrücken versuchen: Feedback, verstimmte Saiten, Verstärkerbrummen und sonstige Nebengeräusche. Für ihn »stehen die Soundqualitäten vor den festgelegten Formen und Strukturen«. Deshalb: »Die entstandene Musik läßt sich weder als Komposition noch als Improvisation bezeichnen. Sie wird sehr durch die Wahl der Arbeitsmittel bestimmt.« Zwar haben Yrefs Klänge etwas von der sphärischen Atmosphäre von New-Age-Geklimper, sind aber bei weitem nicht so verschnarcht, sondern pulsieren vielmehr, wenn auch jenseits aller Rhythmik. Klang, Geräusch, Ton ist alles, der Song, die Struktur nicht vorhanden. Wenn Yref zusammen mit Taegk und Herrn Blum auftritt, wird das definitiv der Abend für Menschen, denen die moderne Musik schon lange zu öde und artifiziell geworden ist.

Am 27.3. um 22 Uhr im Tacheles, Oranienburger Straße 53-56, Mitte

Wer Victims Family hört, möchte sich im ersten Moment drei junge Männer in einem Probenraum vorstellen, deren Köpfe rauchen, weil sie sich gerade überlegen, wo rein in all das Gedingsel vielleicht noch das 8264. Break und der 2847. Rhythmuswechsel passen. Tatsächlich sagen sie, daß sich ihre Musik für sie selbst wie Pop anhört. Was einem ja eigentlich einige Bedenken über den Geisteszustand dieser Band entlocken sollte, aber das würde zu weit führen. Außerdem behauptet Ralph Spight, daß die Songs deshalb so hektisch seien, weil er beim Komponieren zuviel Kaffee trinkt. Mit dem Rauchen hat er auch aufgehört. Victims Family kommen aus San Francisco; und die dortige Szene war schon immer berüchtigt wegen einer gewissen Intellektualität — berüchtigt vor allem bei den Dumpfbackenrockern aus Los Angeles. Alle anderen lieben Victims Family, weil sie so krank ziseliert sind, Al di Meola virtuos in die Tasche stecken, den lieben langen Tag nur Blödsinn plappern, trotzdem Jazzcore machen, zwar absolut nicht ernst zu nehmen, aber trotzdem politisch korrekt sind — und überhaupt die beste Liveband des Planeten sein sollen. Schicken die Red Hot Chili Peppers glatt zurück in ihren Funksandkasten.

Am 27.3. um 22 Uhr im SO 36, Oranienstraße 190, Kreuzberg

Für einen guten Zweck sind wir ja immer zu haben. Zur Prozeßkostenbeschaffung findet im K.O.B. und im Drugstore parallel eine Party statt. Wo genau die Rattle Rats spielen, ist mir nicht bekannt. Dafür weiß ich aber, daß sich die Rats von Kleinkinderpunkrockern zu richtig erwachsenen Punkrockern gemausert haben. Das wäre vor noch nicht mal fünfzehn Jahren sensationell gewesen, jetzt ist es leider nur noch guter Rock. Bemerkenswert auch, daß Sängerin Patti plötzlich viel besser die Töne trifft, als ich das noch in Erinnerung habe, aber vielleicht liegt's ja an meinem schlechten Gedächtnis. Wer vom Punkrock nicht lassen kann, findet nichts Besseres in der Stadt.

Prozeßkostenfete am 27.3. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 157 und im Drugstore, Potsdamer Straße 180, Schöneberg

Während »Spex« schon das Ende von Death Metal prognostiziert, fangen sie woanders erst noch mit Trash Metal an. Meshuggah kommen aus Umea — wo immer in Schweden das liegen mag — und behaupten von sich selbst, daß ihre Einflüsse auch Jazz und Folk seien. Jazz ist ja nun bei allen Bands des Genres noch verständlich, aber wie kommen die auf Folk? Meshuggah knüppeln und fichteln auch nicht schlechter als andere, der Sänger blökt auch nicht weniger gnadenlos, das Schlagzeug imitiert ähnlich erfolgreich ein Maschinengewehr — aber ich komme langsam zu der Überzeugung, daß man ein Gemüt wie ein Kanaldeckel haben muß, um sich an so etwas wirklich zu erfreuen. Aber wer weiß schon, was Kanaldeckel wirklich mögen?

Am 28.3. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108-114, Kreuzberg. Mit dabei noch Beherit, Incubator, Silent Death, Mentis Error und Jumpin Jesus.

Ihre besten Momente haben Bone Club, wenn der Schlagzeuger leise und im Kreis galoppelt, der Baß drumrumpluggert und die Stimme alles beherrscht. Dann bricht alles los, Refrain, Melodie, rabautz und rumpel. Das Stück heißt Apple und klingt nach Doors. Die anderen Sachen versuchen modern zu sein, was zwar gelingt, aber relativ kaltläßt. Bone Club sind aus Minneapolis; ihr Produzent ist Grant Young von Soul Asylum, die ebenfalls dort ansässig sind. So klingen sie auch, also nicht schlecht. Gute Ami-Gitarrenband, aber die vermehren sich da drüben, wie es die Heuschrecken schon lange nicht mehr tun. Bone Club haben immer zwei echte Hits, ihr solltet euch Apple und DNA wünschen.

Am 29.3. um 21 Uhr im Trash, Oranienstraße 40-41, Kreuzberg

Noch mal Amibands, noch mal gute. Für Liebhaber verzerrter Gitarrenarbeit findet das Konzert der Woche auf der Insel statt. Dharma Bums sind die schätzungsweise 23. Band, die sich bemüßigt fühlt, den Buchtitel von Jack Kerouac im Namen zu nennen. So wie Kerouac auch, haben sie es nicht so mit den Drogen, da sind sie lieber Beobachter. Allerdings gute: Ihr zäher Gitarrenrock ist eine liebevolle Kopie, der nur manchmal das nötige Herzblut (oder eben die eigene Drogenarbeit) abgeht, ansonsten setzen sie ihre Effektgeräte so gerne und häufig und gut ein, daß ein Flimmern und Flirren ansetzt, das an große Momente der Sixties erinnern soll, aber dabei immer zu verschleppt bleibt, um wirklich Pop zu werden. Vielleicht könnte man es so beschreiben: Soundgarden versuchen Byrds zu spielen und haben mal wieder zuviel getrunken. Im Gegensatz dazu sind die Young Fresh Fellows (wie kann sich eine Band »Junge Frische Kumpels« nennen? Amerikaner können das!) wesentlich straighter, ihre Gitarren klingen satt nach Marshall, ohne Metal zu sein. Ihre Harmonien sind zum Kotzen eingängig — die Sorte, wo man beim Summen in der Badewanne einschläft, um unterzugehen und nie wieder aufzuwachen. Allerdings sind sie weit entfernt davon, sich und ihre Popmusik, ihre penetrante Vorliebe für Girls und die sich daraus ergebenden Verwicklungen allzu ernst zu nehmen. Oder können schon ziemlich erwachsene Männer allen Ernstes auf dem Plattencover in kreischend bunten Sternenanzügen posieren? Sie können, aber ob sie damit den sexuellen Erfolg haben werden, den sie sich versprechen? Dabei entwickelt ihr Punkpop eine debile fröhliche Frische, der man sich nur schwer entziehen kann. Seit den Bay City Rollers habe ich mich nicht mehr geschämt, Musik gut zu finden. Womit ich nicht gemeint haben will, daß die Young Fresh Fellows auch nur annähernd so klingen wie die Schottenhosen, dazu verstehen sie es doch zu gut, den überaus schmalen Grat zwischen klasse Teeniepop und Dummbatzen-Teeniepop entlangzuwandeln. Wat mut, dat mut und dat mut.

Am 31.3. um 20.30 Uhr auf der Insel

Der 'New Musical Express‘ bezeichnete sie letztens als die Gegenwart des Gitarrenpop, nachdem sie früher als die Zukunft desselbigen gehandelt worden waren. Dabei ist Ride nur das passiert, was vor ihnen schon Oskar Matzerath durchlebte: Sie haben aufgehört zu wachsen und produzieren immer noch den ewiggleichen Langweiler-Brei, der aus möglichst vielen undifferenzierbaren Instrumenten und Stimmen besteht, die alle das gleiche spielen und singen. So was zieht sich dann über ganze CD-Längen hin und hin und hinner und wird nicht anders. Ein Stück ist immer wieder schön, aber wo ist der Unterschied zum nächsten? Aber immerhin sind Ride die Essenz des Britpop (mal abgesehen von Rave, House, etc.), weil gesichtslos, nichtssagend und nervtötend rumlamentierend. Wer sich das endgültig abgewöhnen will, sollte Ride nicht verpassen.

Am 1.4. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg

Wer immer noch auf Hammondorgel steht, und das soll's ja geben, ist mit den Prime Movers gut bedient. Hervorgegangen aus den Prisoners beginnt die Bandgeschichte schon 1984 in London, und seitdem macht die Band denselben gitarrenlastigen Rumpelrock mit schon erwähnter Orgelunterstützung. Und wer mag die Kinks denn eigentlich nicht?

Am 1.4. um 21 Uhr im Trash

Die Mitglieder von Accordions Go Crazy sind allesamt studierte Musiker und Multiinstrumentalisten, haben unter anderem gearbeitet für Frank Chickens, Lindsay Cooper, Rick Astley (!), Flaco Jimenez — und Soundtracks komponiert für Derek Jarman oder japanische Fernsehserien. Für das Projekt Accordions Go Crazy fegen sie durch die Geschichte der populären Musik, allerdings nicht so gemütlich, wie es sich für Akademiker gehört. Sie covern genauso Heart of Glass von Blondie wie den Folkgassenhauer Oh Susanna, geben sich sich dabei aber immer distanziert und brechen die reine Reproduktion von Spielarten durch Gimmicks auf. Das Akkordeon als Grundlage ist natürlich schon Effekt genug, wenn man die Originale im Kopf hat, aber es kann schon mal eine Beatbox auftauchen und die gewollte Verwirrung komplett machen.

Am 2.4. um 20.30 Uhr im Loft Thomas Winkler

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