DOKUMENTATION: Salman Rushdie: Ich bin ein Moslem
■ Der Autor der „Satanischen Verse“ bekennt sich zum Islam und zu seinem Roman
Salman Rushdie hat in der Londoner Tageszeitung 'Independent‘ vom 9. Mai in einem offenen Brief die islamischen Geistlichen, unter ihnen den Obersten Imam Sheikh Gamal Manna Solaiman, attackiert, die vergangene Woche in der Londoner Zentralmoschee verlauten ließen, er könne sich nicht als Moslem bezeichnen, solange er „Die Satanischen Verse“ nicht vollständig widerrufe.
Sehr geehrte Herren,
Ich hoffe, Sie geben mir die Gelegenheit, die Stellungnahme der „Regent's Park“-Moschee, über die an prominenter Stelle in der letzten Samstagsausgabe des 'Independent‘ berichtet wurde, zu kommentieren. Darin erklärten der Leiter der Moschee, Imam Sheikh Gamal Manna Solaiman, und sein Vertreter Sheikh Hamed Khalifa, daß sie sich für den Fehler, mich am letzten Weihnachtsabend 1990 getroffen zu haben, entschuldigen wollen. Weiterhin erklärten sie, daß ich nicht als Moslem betrachtet werden könne.
Wie Sheikh Gamal und Hamed sehr wohl wissen, habe ich kein Recht, ihnen in dieser Frage zu antworten. Die beiden haben sich offensichtlich dem „Urteil“ des „ulema“ (ein Gelehrter) angeschlossen, aber auch dieser sollte es besser wissen und nicht Gott spielen. Ich habe meine Position wiederholt klargemacht: Ich bin ein Moslem. Das ist eine Sache des Bewußtseins und kann von keinem anderen Menschen in Frage gestellt werden. Als Grund für ihren Angriff geben die beiden Imame die Tatsache an, daß ich die Satanischen Verse nicht vollständig widerrufen habe. Dies zwingt mich, die mannigfaltigen Gründe erneut vorzutragen, warum ein solch vollständiger Widerruf ein Desaster wäre.
Ich bin mir sicher, daß jedermann in Großbritannien diese traurige, sich hinziehende Affäre beendet sehen möchte. Aber durch den Widerruf des Romans würde die Kontroverse erneut angefacht. Die Kritiker des Buches sollten sich daran erinnern, daß auch bei vielen früheren „causes célèbres“ (Ulysses, Lady Chatterly's Lover, Lolita, Last Exit to Brooklyn) das Verbot die Attraktivität des Werkes immens erhöhte. Sie sollten sich außerdem das Beispiel Osteuropa vor Augen halten, wo verbotene Werke sofort in Samisdat-Ausgaben im Untergrund auftauchten. Am 24. Dezember habe ich zugestimmt, auf die Taschenbuchausgabe um des lieben Friedens willen zu verzichten. Aber das Hardcover zurückzuziehen, könnte illegale Taschenbuch-Raubdrucke zur Folge haben, die unmöglich kontrolliert werden könnten. Ist es das, was die Gegner des Buches wollen?
Die Zurücknahme der Satanischen Verse würde zudem jeden Moslem in Großbritannien für die Zensur durch Einschüchterung mitverantwortlich machen, und zwar unabhängig von seiner Meinung zu dem Thema. Sheikh Gamal und Sheikh Hamed sind ganz offensichtlich durch die Schlägermanier verängstigt, in der man in den letzten Monaten gegen sie vorging. Bedauerlicherweise mußten sie kapitulieren. Aber die Einschüchterung der Verleger, der Buchhändler und der gemäßigten Stimmen in der moslemischen Glaubensgemeinschaft war von Anfang an ein Merkmal dieser Affäre. Dagegen ist Widerstand zu leisten.
All diese Argumente basieren auf einem grundlegenden Prinzip. Die klassische Verteidigung der „freien Rede“, wie sie John Stuart Mill in seinem Essay Über die Freiheit führt, ist bis heute gültig. Ich möchte nur hinzufügen, daß es für Minderheiten extrem gefährlich ist, prinzipielle Einschränkung der Meinungsfreiheit zu akzeptieren. Denn schließlich ist es gerade die Minderheitenmeinung, die durch Zensur höchstgefährdet ist.
Natürlich gibt es so etwas wie den moslemischen Standpunkt nicht. Einige Moslems weisen die Satanischen Verse entschieden zurück. Andere wiederum — darunter auch die Literatur-Gelehrten vieler Länder — haben damit begonnen, das Buch zu verteidigen, oft mit großer Vehemenz. Ich glaube, die wissenschaftliche Erforschung dieses Romans ist wichtig; nicht aufgrund meiner Eitelkeit oder weil ich sogar hoffe, daß sich der Standpunkt der Moslems zu dem Buch mit der Zeit ändert, sondern weil diejenigen, wie es im Sprichwort heißt, die die Vergangenheit vergessen, verdammt sind, sie zu wiederholen. Und niemand möchte die Wiederholung dieser schrecklichen Geschichte.
Eine „reine“ moslemische Tradition gibt es ohnehin nicht, wenn auch viele gerne darauf bestehen möchten. Arabische Moslems sind sowohl Araber als auch Moslems, ebenso haben indische Moslems und britische Moslems mehrere Identitäten. Die Moslems in Indien haben immer das säkulare Prinzip vertreten, weil sie darin die beste Garantie für die Interessen von Minderheiten sehen. Den britischen Moslems mit ihrem subkontinentalen Hintergrund kann diese Erfahrung des Säkularen die Möglichkeit verschaffen, an den westlichen Traditionen zu partizipieren, mit denen sie ja leben.
Die Satanischen Verse sind, wie alle meine Werke, das Produkt einer gemischten Tradition. Und sie sind, in ernsthafter Absicht, ein Werk der Kunst. Was immer Sheikh Gamal und Sheikh Hamed jetzt sagen (unter Zwang, und weil sie ihre Jobs nicht verlieren wollen), sie wissen in ihrem Herzen, daß sie an Weihnachten, ebenso wie die anderen vier Gelehrten, die ich traf, akzeptiert haben, daß ich niemals einen beleidigenden oder kränkenden Roman zu schreiben beabsichtigte; und bei den Moslems wird die Handlung eines Menschen nach seiner Absicht beurteilt.
Im Gegenzug habe ich akzeptiert, daß ich gekränkt hatte, ohne es zu beabsichtigen. Dafür habe ich mich von ganzem Herzen entschuldigt. Ich glaube, daß in Folge dieses offenen und ehrlichen Dialogs die meisten Moslems glücklich darüber waren, daß sie die Angelegenheit fallenlassen können. Wenn die Sache jetzt wieder akut wird, dann deshalb, weil es Leute gibt, denen Salman Rushdie als Gegner oder Buhmann von Nutzen ist. Dazu gehören auch jene, die bereit sind, mit Gewalt vorzugehen. Sie wollen keinen Frieden.
Es ist die Gewalt, die jetzt zurückgewiesen werden muß. Ein vermutlich moderater Moslem schrieb mir, daß ich nie wieder die internationalen Drohungen gegen mich (eine Gefahr, die unvermindert existiert) erwähnen sollte, denn „Moslems reizt es zum Widerspruch“, wenn ich so egoistisch spreche. Ich glaube das nicht. Ich glaube, daß viel mehr Moslems von der Idee des Mords zum Widerspruch gereizt werden, von der Vorstellung, daß ein Mann getötet werden soll, weil er einen Roman geschrieben hat, und sei es einer, der ihnen mißfällt. Die meisten Moslems wird auch die Gewalt gegen die beiden Imame in der Moschee zum Widerspruch reizen. Es wäre an der Zeit, sich dagegen öffentlich zur Wehr zu setzen.
Das Leben geht weiter. Wir sollten in der Lage sein, diesen alten Streit zu begraben. Die Verwüstung Bangladeschs, die Morde in Kaschmir, die fortlaufenden Katastrophen in den kurdischen und schiitischen Regionen des Irak: all diesem sollte vielmehr unsere Aufmerksamkeit gelten.
Britische Moslems werden das verstehen, da bin ich sicher. Sie verstehen — wir verstehen —, daß, wenn wir Toleranz und Freiheit innerhalb dieser Gesellschaft fordern, wozu wir jedes Recht haben, Toleranz und Freiheit die grundlegenden sozialen Prinzipien sein müssen, nach denen wir leben. Salman Rushdie, 7. Mai 1991
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