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DOKUMENTATIONDer Mythos von der RAF

■ Wie die Kronzeugenregelung die prozessuale Rechtsfindung aushebelt

Hätte der Prozeß vor einigen Jahren stattgefunden, wäre mehrmals lebenslänglich in Betracht gekommen. Man wäre ausgegangen von der RAF als einem vielköpfigen Monstrum, das in sein Herz den Mord eingeschrieben hatte, man hätte sie verurteilt als einen Kopf dieses Wesens, mit ebendiesem Herzen. Man hätte nicht ihre jeweiligen Tatbeiträge bewertet und gewürdigt, sondern die Verantwortlichkeit für die Taten hätte sich schon daraus abgeleitet, daß sie zu einer bestimmten Zeit ein Teil der RAF gewesen ist.

Daß es bei diesem Prozeß eine Wahl gab, eine tatsächliche, abgesehen von der rechtlichen, liegt darin begründet, daß man Susanne Albrecht glaubt. Man fängt an zu begreifen, daß die RAF auch eine ganz andere Realität hat. Und somit nicht nur das besagte Monstrum ist, sondern schlicht eine Gruppierung einzelner Personen mit äußerst unterschiedlichen Motiven und einem hierarchischen Gefüge. Ihre befremdlichste Besonderheit war, daß sie, gezwungenermaßen vollkommen isoliert, von jeder Sprache abgeschnitten, eine Selbstidealisierung betrieb, welche sich in dem Maße potenzierte, wie sie auf sich selbst angewiesen war. Und deshalb natürlich doch monströs, aber von einer vertrauten Monstrosität.

Eine Lücke im Mythos von der RAF

So gibt es also plötzlich eine Lücke im Mythos RAF, in die einzudringen Susanne Albrecht und Zeugen wie Lotze und Maier-Witt das Gericht locken. Würde es ihnen folgen, müßte eine andere Rechtsprechung Platz greifen. Abgewichen werden müßte von der Schuldigsprechung wegen kollektiver Verantwortung (wegen derer heute Menschen im Gefängnis sitzen, denen außer der Gruppenzugehörigkeit kein wie auch immer gearteter Tatbeitrag je hat nachgewiesen werden können), erneut fragwürdig wären dann alte Urteile.

Das Gericht aber tut sich schwer, der Verheißung dieser anderen Realität etwas abzugewinnen. Es blinzelt mit den Augen, wenn es von Menschen und Zusammenhängen erfährt, die sich nicht eignen, den Mythos zu perpetuieren. Ihm geht es wesentlich darum, das Monstrum nicht preiszugeben. Deswegen auch scheut es sich, in die Öffnung, die ihm angedeutet wird, einzutreten! Es steht vor einem Problem. Einerseits glaubt es Susanne Albrecht, andererseits kann es nicht lassen vom Mythos RAF, kann also seinem Glauben doch nicht glauben.

Hier kommt die Kronzeugenregelung ins Spiel. Sie interveniert insofern, als die Aussagen von Susanne Albrecht zur RAF und ihren Taten immer auch als möglicherweise relevant für die Anwendung der Kronzeugenregelung gehört werden. Sie ermöglicht es, vorbei an jedem aufkeimenden Verständnis für die Struktur der RAF als einer hierarchischen Gruppierung, auszuweichen auf eine andere Ebene. Mit ihr wird das zu bestrafende Gegenüber zu einer Extravaganz, zu einer Ausnahme, die die Regel doch nur bestätigt.

Und Susanne Albrecht eignet sich als Kronzeugin. Das will sie nicht immer wahrhaben. Sie sagt, daß sie nicht den Lockungen dieses Gesetzes folgte, als sie sich von Ost-Berlin in die ehemalige BRD überführen ließ, als sie aussagte und aussagte, sondern ihrer eigenen Überzeugung. Aber sie, wie vorher auch schon Lotze, vergißt, daß es im Zeitalter der Kronzeugenregelung keinen Raum gibt für die eigene Aufrichtigkeit. Mit der Kronzeugenregelung ging das Paradies der Authentizität verloren. Die Unterscheidung, ob man aus tiefstem Bedürfnis nach Aufrichtigkeit aussagt oder aber wegen der Kronzeugenregelung, ist nicht möglich, diese Abstraktion ist nicht mehr zu leisten. Das aber hängt nicht mit der Ehrlichkeit oder Unehrlichkeit des einzelnen zusammen, sondern mit diesem Gesetz.

Verstellte Wahrheitsfindung

So also, wie die Kronzeugenregelung die Angeklagte und das Gericht vor eine Unmöglichkeit stellt, inszeniert sie die gesamte Verhandlung: Da gibt es den überaus bemühten Vorsitzenden, Dr.Breucker, der versucht, ihre Erinnerung zu beflügeln, ihr Brücken zu bauen, damit ihr noch etwas einfiele, was entweder entlastend sein könnte für ihre eigenen Tatbeiträge oder aber eine großzügige Anwendung der Kronzeugenregelung ermöglichte. So, gegen Ende des Prozesses, die Frage, ob sie nicht doch die Schleyer-Mörder benennen könnte. Jenseits der Schranke zittert man dann mit ihr, daß doch die Erhellung komme, daß sie eine plötzliche Eingebung haben möge. Gleichzeitig ekelt man sich ein wenig. Raum wünschte man sich für die Angeklagte, in dem sie sich als Angeklagte, die nicht immer auch schon eine Kronzeugin ist, verteidigen könnte.

Überhaupt unterliegt Susanne Albrecht dem unausweichlichen Spiel, welches hier abläuft. Sie ist sich nicht zu schade, gleich mehrmals, an verschiedenen Stellen zu betonen, wie sehr Stammheim sich unterscheidet von dem ehemals vorgestellten Ort der Folter, wie gut es sich hier einsitzen läßt. Nicht, daß man ihr nicht glaubt, wieder und wieder glaubt man ihr, sicher ist Stammheim nicht die zu Beton gewordene Hölle, und dennoch. Da hört der Zuhörer mehr, als er hören soll, da hört er die vielen „bitte“ an die Adresse der Richter.

Grenzen der Rechtsprechung

Man verliert im Verlauf dieses Prozesses aus den Augen, daß es doch eigentlich besonders sympathisch ist, daß Susanne Albrecht nicht eine Knallharte war, daß sie in der RAF nur wenig bis nichts zu sagen hatte. Ihre Stärke bestand also, wenn man so will, darin, daß man wegen ihrer Zweifel und ihrer Zerrissenheit sich immer wieder mit ihr beschäftigen mußte. Daß die durch sie innerhalb der Gruppe hervorgerufene Irritation so stark war, daß man sie wegschickte, um nicht die Stärke der Gruppe dieser vermeintlichen Schwäche auszusetzen.

Das verliert man aus den Augen und wünscht sich dann, daß sie eine große Nummer gewesen wäre, ihre Hände überall im Spiel gehabt hätte und in ihrem Prozeß dessen Spielregeln offenbaren würde, um als ebenso große Kronzeugin nach Hause zu gehen.

So verläuft sich die Zuhörerin in diesem Prozeß und so verlaufen sich auch die Staatsanwälte. In ihrem Plädoyer werden sie zu Verteidigern. Sie heben an Lobenswertem hervor, was der Zuhörer schon lange vergessen hatte. Sie beschreiben, wie sie bis zur Festnahme von Susanne Albrecht in ihr die blutrünstige Deutsche sahen und wie sich nun dieses Bild grundlegend verändert hat. Sie anerkennen, daß die RAF tatsächlich ein hierarchisches Gefüge hatte. Sie lassen ab vom Mordvorwurf im Zusammenhang mit Ponto und glauben der Angeklagten darin, daß sie niemals einen Mord in Kauf genommen hat, daß sie vielmehr mitging, um gerade diesen „Erfolg“ zu verhindern. Im Zuschauerraum schreibt man sich kleine Zettel, auf denen steht, welchen Strafantrag man vermutet. Einer schreibt „vier Jahre“, der nächste schreibt daneben „drei Jahre“ und so fort. So verlaufen sich die Staatsanwälte in einem Wust aus Sympathie und Mitleid für die Angeklagte und ihrer Rolle als Verteidiger des Staates. Die Würdigung Susanne Albrechts als Kronzeugin erfolgt, und sie wird kurz und bündig. Sie soll eine Kronzeugin sein, wie auch immer, aber keine wirkliche, keine par excellence, sondern wieder einmal nur ein wenig, so wie man ihr auch glaubte, mit von der Kronzeugenregelung zugehaltenen Ohren. Das Plädoyer endet, vollkommen unerwartet, mit dem Antrag auf Freiheitsstrafe von zwölf Jahren für die Angeklagte.

Und so scheitern die Staatsanwälte an der Kronzeugenregelung, deren Absurdität darin liegt, daß Anwärter nur sein kann, wer dem Bösen zugeordnet war (wie die Kronzeugenregelung ja auch nur angesichts der RAF geschaffen wurde), und gleichzeitig nur sein kann, wer dieser Vergangenheit den Rücken kehrt. Man muß sich also sowohl die Finger schmutzig gemacht haben als auch eine weiße Weste tragen. Hat man sich nicht genügend beschmutzt, ist es chancenlos. So kann die Kronzeugenregelung nicht anrechnen, worauf die Staatsanwälte die meiste Zeit ihres Plädoyers verwandten und was auch die Richter in ihrem Urteil hervorhoben, daß Susanne Albrecht eben nicht so recht passen will ins Bild vom schlechthin Bösen. Julia Albrecht

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