DNA-Zwangstest: Spucke für den Staatsanwalt
Wegen eines Böllerwurfs will die Göttinger Staatsanwaltschaft einem Antifa-Aktivisten DNA entnehmen lassen. Möglicherweise soll das die Ermittlungen um eine Explosion im Ausländeramt voranbringen.
Die Staatsanwaltschaft Göttingen will eine DNA-Probe eines 20-jährigen Antifa-Aktivisten erzwingen. Weil er einen Böller auf Polizeibeamte geworfen haben soll, sagt sie. Weil er wegen seiner dunklen Hautfarbe ins Blickfeld der Ermittler geraten war, sagt sein Rechtsanwalt Sven Adam. Er klagt vor dem Bundesverfassungsgericht.
Offiziell will die Staatsanwaltschaft die DNA-Probe von Martin R. wegen eines angeblichen Böllerwurfs auf einer Demonstration entnehmen lassen. Ob R. tatsächlich einen Böller auf Polizisten geworfen hat, ist noch nicht gerichtlich entschieden: Das Ermittlungsverfahren läuft noch. Es könnte auch ohne Anklageerhebung eingestellt werden.
Für das Landgericht Göttingen ist dennoch der "Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung" gegeben, der eine DNA-Entnahme rechtfertigen würde. Auch eine "Gefahrenprognose" bejaht das Gericht - wegen weiterer, jeweils eingestellter Ermittlungsverfahren gegen R. im Zusammenhang mit Demonstrationen und einer Vorstrafe wegen versuchter Körperverletzung, weil er einem Polizisten gegen den Schienbeinschützer getreten hatte. Das Landgericht ordnete deshalb an, dass dem Beschuldigten "Körperzellen entnommen und zur Feststellung der DNA-Identifizierungsmuster sowie des Geschlechts molekulargenetisch untersucht werden" dürfen. R. soll am 5. Januar eine Speichelprobe entnommen werden.
Die zwangsweise Entnahme einer DNA-Probe regelt Paragraf 81g der Strafprozessordnung.
Die Straftat muss von erheblicher Bedeutung sein oder sich gegen die sexuelle Selbstbestimmung richten.
Der bloße Verdacht reicht aus, eine Verurteilung ist nicht notwendig.
Eine Gefahrenprognose muss besagen, dass in Zukunft Strafverfahren von erheblicher Bedeutung gegen den Beschuldigten geführt werden.
Gespeichert werden die Daten auf unbestimmte Zeit beim Bundeskriminalamt. Staatsanwaltschaften und Polizei dürfen auf die entsprechende Datenbank zugreifen. BELA
"Das Gericht versucht, aus einem Böllerwurf eine erhebliche Straftat zu konstruieren", meint Rechtsanwalt Adam. "Und das in einem Ermittlungsverfahren, in dem bisher nichts erwiesen ist." Womöglich geht es den Ermittlern auch um einen ganz anderen Fall: Im vergangenen Winter ermittelte die Polizei schon einmal gegen den jungen Mann. Sie verdächtigte ihn, einen Brandsatz in der Ausländerbehörde des Landkreises deponiert zu haben. Bei der Explosion einer manipulierten Klebstofftube war dort im Januar ein Mitarbeiter verletzt worden. Die Polizei vermutete einen linkspolitischen Hintergrund, weil sie ein Schriftstück mit der Forderung nach einem Abschiebestopp in Tatortnähe fand.
Eine Zeugin hatte einen vermummten Verdächtigen mit einem "dunklen Teint" gesehen. Der damals 19-jährige R. war der Polizei als dunkelhäutiger Linker von Demonstrationen bekannt. Sie beantragte eine Observation. Die lehnte die Staatsanwaltschaft damals allerdings mangels Anfangsverdachts ab.
In den Akten der mittlerweile ergebnislos eingestellten Ermittlungen findet sich der Hinweis, dass über andere Ermittlungsverfahren versucht werden soll, an die DNA des jungen Mannes zu gelangen. Deswegen geht sein Rechtsanwalt davon aus, dass die Staatsanwaltschaft die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen gewonnene DNA mit den in der Ausländerbehörde gefundenen Spuren abgleichen will.
Adam hat deswegen Verfasungsbeschwerde erhoben. Bis zum Jahresende rechnet er mit einer Entscheidung über seinen Eilantrag. "Sollte der Beschluss des Landgerichts Göttingen vor dem Bundesverfassungsgericht halten", befürchtet der Rechtsanwalt, "könnten sich die DNA-Archive schnell auch mit den Daten politisch engagierter Menschen füllen lassen, die sich auf Demonstrationen kleinerer versammlungstypischer Vergehen strafbar gemacht haben." Das will auch R. verhindern. "Wir dürfen nicht zulassen, dass sich eine DNA Entnahme ohne vorherige Verurteilung vor Gericht als polizeiliche Praxis normalisiert", sagt der 20-Jährige, der sich wegen der Sache auch persönlich unwohl fühlt.
Protest gegen das Vorgehen der Staatsanwaltschaft kommt auch vom Göttinger Bündnis gegen Rechts, das in einem offenen Brief die Einstellung des Ermittlungsverfahrens fordert - und die "Rücknahme der Aufforderung zur Entnahme von DNA gegen den Demonstranten". Unterzeichnet haben unter anderem Antifa-Gruppen, Grüne Jugend und Jusos sowie die Ratsfraktion GöLinke und ein Landtagsabgeordneter der Linksfraktion. Für sie ist der Versuch, an den genetischen Fingerabdruck zu gelangen, Teil der "immer durchsichtigeren Kriminalisierungsversuche linken Engagements".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!