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Archiv-Artikel

DIETER BAUMANN über LAUFEN Sein Name war Dieter

Nach dem Tänzer Rudolf Nurejew hat man ein wunderschönes Pferd benannt. Nach mir nur einen Hahn

Der berühmte, vielleicht sogar beste Tänzer des letzten Jahrhunderts, Rudolf Nurejew, soll einmal gesagt haben, wenn er nochmals auf die Welt komme, dann möchte er ein wunderschönes Pferd sein. Vielleicht führte, oder besser: verführte diese Aussage einen Bewunderer des Tänzers, der gleichzeitig ein Pferdenarr war, dazu, noch zu Lebzeiten des Künstlers einem Pferd denselben Namen zu geben.

Der Galopper Nurejew, ein Vollblut, brachte es nicht ganz zum Weltruhm seines berühmten Namensvetters, wurde auch nicht in Königshäusern oder gar mit Mick Jagger gesehen, aber es ist anzunehmen, dass er wunderschön war, schnell und stark.

Ein Vergleich mit dem Balletttänzer steht mir nicht zu, es wurden auch keine Pferde nach mir benannt, im Gegenteil. Vor vielen Jahren lief ich einige Wettkämpfe in Neuseeland und entschied die meisten auf den letzten 20 Metern im Spurt. Ein von Sieg zu Sieg eilendes Vollblut auf der Insel hatte dieselbe Renneinteilung. In den Medien sprach man allerdings nie davon, dass das Pferd wie Baumann sprintet, sondern Baumann wie das Pferd. Ein feiner Unterschied. Trotz alledem war ich nicht böse drum, vielmehr fühlte ich mich im Land der Pferdenarren fast schon ein wenig geadelt.

Es gab aber ein anderes Tier, das meinen Namen trug. Nie hatte ich allerdings wie Nurejew gesagt, ich würde in einem weiteren Leben gern ein wunderschöner Hahn sein wollen. Und trotzdem: Den Hahn Dieter gab es – immerhin.

Der Hahn war, in seiner Art, ein wahres Prachtexemplar. Über viele Jahre lief er in seinem weiten Freigehege umher, schrie die umliegenden Nachbarn in der ruhigen Vorstadtwohngegend um ihren Verstand und verteidigte seine Hühnerschar gegen alles, was zu nahe an den Hühnerstall kam. Selbst bei seinen zuverlässigen Futterlieferanten machte er in seinen wildesten Jahren keine Ausnahme. Die frei laufenden Hühner waren glücklich mit Dieter, dem Hahn – aber ihre Eier waren nicht einfach zu holen.

Der wunderbare Knabe war nicht mein eigenes Haustier. Ein guter Freund hatte mir jahrein, jahraus von seinen Hühnern erzählt, von dem Stall, den er eigens für sie angelegt hatte – mit Wildgehege –, von den Gefahren vor allem aus der Luft, denen seine Hühner ausgesetzt waren. Er klärte mich auf, wie viele Eier sie legten, wann sie keine legten, warum die Schale dünn oder im optimalen Fall dicker ist usw.

Irgendwie taten mir im Laufe der Erzählungen die Hühner Leid. Es war nämlich nie von einem Hahn die Rede. Und so kaufte ich vor zehn Jahren für meinen Freund und seine Hühner einen Hahn. Direkt nach einem Wettkampf fuhr ich in der Nähe von Karlsruhe auf eine Hühnerfarm und wählte aus hunderten von kleinen „Hähnchen“ ein einziges aus. Für einen Läufer keine leichte Aufgabe.

Man macht sich gar keine Gedanken darüber, wie viele unterschiedliche Hahnarten es gibt. Aber ich hatte offensichtlich einen guten Griff. Kaum war das Federvieh im neuen Stall, bewegte es sich selbstsicher und scharte seine neuen Hennen um sich.

In den darauf folgenden Jahren kreisten die Geschichten meines Freundes nicht mehr um die Hühner, jetzt stand im Zentrum des Geschehens der Hahn. Er gab mir die Länge seines Dorns an den Krallen durch, als handele es sich um den Pegelstand des Bodensees. Der Hahn kämpfte aufopferungsvoll gegen seine Feinde aus der Luft und am Boden. Deshalb war mein Freund seither nie mehr unbewaffnet im Hühnerstall gewesen. Immer trug er einen dicken Stock mit sich, und nie wendete er dem Hahn den Rücken zu. In all den Jahren schwieg er sich allerdings darüber aus, wie viele (Gerichts-)Verhandlungen in den letzten Jahren mit seinen Nachbarn anhängig waren, und nie fragte ich ihn, wie der Hahn denn eigentlich heiße.

Jetzt ist der Hahn gestorben. Kraftvoll hat er gelebt, stark war er und wunderschön. Übrigens habe ich erst gestern erfahren, dass sein Name Dieter war.

Fragen zu Dietern? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH