DIE ZAHL DER ARBEITSLOSEN IST RÜCKLÄUFIG – ZUMINDEST IM WESTEN: Keine Kehrtwende
Die Arbeitslosigkeit geht zurück. Von 10,1 Prozent im März auf 9,8 Prozent im April. Das sind immerhin 0,3 Prozentpunkte. Nicht schlecht, denn das Gesamtergebnis wurde trotz der Verschlechterung in den alt aussehenden neuen Bundesländern erzielt. Ganz gut, denn von aktiver Arbeitsmarktpolitik oder einer Qualifizierungsoffensive ist weit und breit nichts mehr zu hören. Bekanntlich sollen Qualifizierte eingekauft und die registrierten Arbeitslosen durchgesiebt werden. Mit der verstärkten Vermittlung von IT-Kräften will die Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit jetzt beginnen – sicher keine Minute zu früh. Die gesunkene Zahl der Arbeitslosen ist eigentlich sogar erstaunenswert, denn Sparpolitik und Lohndruck sind mittlerweile zur Gewohnheit geworden. Die 0,3 Prozentpunkte gehen somit nicht auf das Konto der rot-grünen Bundesregierung.
Wessen beschäftigungspolitischer Leistung sind demnach die 0,3 Prozentpunkte zuzurechnen? Wirtschaft und Opposition kommen auch nicht in Frage. Ihrer Überzeugung nach hätte es zu diesem Ergebnis gar nicht kommen können, denn der Sozialstaat ist ihnen nach wie vor zu großzügig und Unternehmen müssen immer noch Steuern zahlen. Somit bleiben nur zwei Faktoren übrig, die Konjunktur und die Bevölkerung. Für den gefeierten Aufschwung ist der bescheidene Rückgang der Arbeitslosen alles andere als eine Politur des Images vom Aufschwung. Und die rentenpolitische Entlastung des Arbeitsmarktes zieht weitere Bürden für die Kassen der Sozialversicherung nach sich.
Hier liegt der Hund begraben. Endlos lange hat die Schrumpfung des produktiven Arbeitskörpers angedauert. Seit Oktober letzten Jahres nimmt die Zahl der Erwerbstätigen wieder zu. Jedoch bewegt sich der flaue Zuwachs von 76.000 unterhalb einer erwerbspolitischen Kehrtwende. Vor allem kann dieses dürftige Plus den öffentlichen Kassen nicht die geringste Perspektive versprechen.
Genauer: Gesellschaftspolitisch befinden wir uns im Übergang von der männlichen Brotverdienerfamilie zum Zwei-Verdiener-Haushalt. Hier ist zwischen dem gesteuerten Weg Skandinaviens und dem rücksichtslosen der USA zu entscheiden. Für den ersten Weg wäre eine Wechselwirkung zwischen sozialkulturellen Dienstleistungen und wirtschaftlichem Wachstum auszunützen. Wenn in den letzten Jahren Schweden über den Berg gekommen ist, dann dank seiner überdurchschnittlichen Erwerbstätigenquote. Im amerikanischen Modell werden wir dagegen durch das Wachstum ausgenützt – und zwar mit niedrigeren Löhnen und schlechteren Jobs. FRITZ FIEHLER
Der Autor ist Publizist. Er veröffentlichte zuletzt das Buch „Die Gesellschaft der Vermögensbesitzer“
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