DIE WAHRHEIT: Dunst im Strafraum
Helmut Schmidt wird Bundestrainer. Die deutsche Nationalmannschaft bekommt eine Doppelspitze mit Glut.
Er will’s noch einmal wissen: Helmut Schmidt. Der 93-jährige Altkanzler und Zigarettenliebhaber verkündete gestern auf einer Pressekonferenz in Hamburg völlig überraschend, neuer Bundestrainer werden zu wollen. Ohne lange Diskussion akzeptierte der Deutsche Fußball-Bund den Vorschlag des erfahrenen Ausputzers. Künftig soll Schmidt im Zweiergespann mit dem nach der bitteren EM-Pleite kritisierten Joachim Löw das deutsche Team zu neuen Höhen führen.
Dichter Zigarettenrauch liegt am Donnerstagnachmittag über dem Hamburger Lokal Schinkenkeller, in dem die eilig anberaumte Pressekonferenz stattfindet. „Helmut Schmidt bringt neuen Wind, einen wie ihn hätten wir schon während der Euro gebraucht“, erklärt der ob des überraschenden Coups zufrieden dreinblickende DFB-Präsident Wolfgang Niersbach den Journalisten. „Am Ende hat uns gegen Italien einfach die nötige Vaterlandsliebe gefehlt, wir waren technisch überlegen, aber emotional zu schwach.“ Mit der Schmidt-Schnauze soll so etwas künftig nicht mehr passieren.
Löw selbst ließ seine Freude über die zukünftige Zusammenarbeit per Fax übermitteln. Aufgrund eines wichtigen Werbedrehs für Bodylotion und Gesichtscreme musste er auf eine Teilnahme an der Pressekonferenz verzichten. Aber Löw sei sich sicher, so Niersbach, dass Schmidt an der Seitenlinie ihm und der Mannschaft neue Impulse geben könne. Zudem sei er ein sehr guter Werbeträger für Rheumasalbe und Eau de Cologne.
Schmidt selbst wage diesen Schritt vor allem, um noch einmal ein wenig Spaß am Leben zu haben. Nach dem Tod seiner Frau sei er in ein tiefes Loch gefallen, habe viel und häufig ziellos herumgegrantelt. „Doch jetzt bin ich bereit, in jede Lücke zu stoßen.“ Schmidt lächelt nicht, er lächelt nie. Offenbar muss sich die Mannschaft auf harte Zeiten einstellen. „Ich will rein in die Risikozone“, erklärt der ewige Kanzler ungewohnt munter.
Über mangelnde Unterstützung kann sich Schmidt nicht beklagen. Schon bezeichnete ihn das größte deutsche Boulevardblatt als „Leuchtturm des deutschen Fußballs, Gottvater des runden Leders, graue Galaxie des Rasenschachs.“ Helmut Schmidt könne das neue „Gesicht einer ganzen Nation werden“, heißt es in einer 30-seitigen Lobeshymne der Bild-Zeitung.
Schmidt selbst gibt sich bescheidener: „Ja, ich bin der Erlöser.“ Allerdings könne er nicht einmal Tikitaka richtig schreiben, gibt er zu. Ihm gehe es vielmehr darum, alte deutsche Tugenden in bewegten und wirren Zeiten zu vermitteln. „Dieser ganze Tüddelkram mit Spielanalysen, Yoga und Psychogedöns muss wech“, erklärt er. Notfalls werde er verletzte Spieler auf dem Rasen höchstpersönlich mit einer Mentholzigarette reanimieren, hustet und spuckt der Altinternationale dabei einige ßpitze ßteine in die Runde.
Auf keinen Fall wolle er Löw und seine Methoden kritisieren. Er selbst habe hier und dort eine andere Meinung und werde sich daher an seinem Kollegen reiben, reibt sich der maulige Altkanzler schon jetzt die sehnigen Hände. Er verstehe sich als eine Art Bundespräsident der Nationalmannschaft, und wenn es mal nicht laufen solle, „werd ich den Jungs links und rechts eine reingaucken.“
Der eigens aus dem Sommerurlaub angereiste Nationalmannschaftskapitän Philipp Lahm zeigt sich schon jetzt begeistert: „Er soll sogar die Nationalhymne auswendig können“, schwärmt der Bayern-Verteidiger, der sich allerdings auch Sorgen um die künftig arg verräucherten Umkleidekabinen im Stadion macht. Das stört Lukas Podolski weniger, der jedoch mit seinem neuen Trainer noch wenig anzufangen weiß: „Schmidt? Die Quatschbirne soll mal schön weiter Fernsehen machen“, zwitscherte Prinz Poldi via Twitter.
Am 15. August, wenn Deutschland in einem Freundschaftsspiel auf Argentinien trifft, wird Schmidt zum ersten Mal neben Löw auf der Bank Platz nehmen oder auch nicht: „Sitzen ist fürn Arsch! Und in den tret ich jeden, der nicht spurt!“, droht Helmut Schmidt zum Schluss in Richtung Nationalmannschaft. Da können sich die Spieler noch auf einiges gefasst machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken