DIE WAHRHEIT: Rechtschreibnazis
Als Deutsche tue ich mich in meiner neuen Heimat mitunter schwer. Was auch daran liegt, dass ich mich so oft an schlechter Rechtschreibung störe.
Als Deutsche tue ich mich in meiner neuen Heimat mitunter schwer. Was auch daran liegt, dass ich mich so oft an schlechter Rechtschreibung störe. Die gehört in diesen Breitengraden zum öffentlichen Erscheinungsbild wie Flip-Flops mit Socken im Winter. Was in meinen Augen ein krasses orthografisches Vergehen ist, sehen die meisten Kiwis als Kavaliersdelikt: Who (oder hoo) cares? Dank dieser laxen Haltung wimmelt es um mich herum nur so von falschen Apostrophen, von your statt you’re. Damit muss ich leben. Assimilation nennt man das.
In der Schul-Cafeteria habe ich mich bereits unbeliebt gemacht. Wochenlang las ich auf dem Lunch-Bestellzettel meines Sohnes, dass es „Squizzeed Orange Juice“ zu kaufen gebe, obwohl der gepresste Saft doch laut Wörterbuch squeezed heißen sollte. Irgendwann zuckte es mir in den Fingern. Ich strich das falsche Wort durch und schrieb das neue darüber. Prompt kam eine Antwort der Küchenkraft, was meinem Sohn besonders peinlich war: „Squizzeed“ sei der Markenname. Der Saft ist nämlich gar nicht gepresst. Reingefallen, Besserwisserin!
Immerhin habe ich mich letztens zurückgehalten, als ich ein Auto den beeindruckendsten Aufkleber spazieren fahren sah, der mir je in Aotearoa unterkam. „I love Mell’s titty’s.“ Das Herz-Symbol, das für das Wort „love“ stand, sah korrekt aus, auch am „I“ gab’s nichts zu meckern, aber ab dann muss der Verehrer der offensichtlich mit Doppel-L gesegneten Mellanie ins Schleudern gekommen sein. Den sicher bewundernswerten „titties“ tut das keinen Abbruch. Der Außenwirkung des Autofahrers jedoch schon.
Ich bin dankbar, dass ich mit meiner Fixierung auf das falsch geschriebene Wort nicht alleine dastehe. Der Autor Jon Bridges hat sich unter dem Pseudonym „spellnazi“ bei TradeMe angemeldet, was unser Ebay ist, und jede Online-Versteigerung nach Rechtschreibfehlern durchkämmt. Wann immer etwas nicht stimmte, schickte er dem Anbieter eine nette Nachricht und lieferte die Korrektur gleich mit: „Hi. Nur ein paar Fehler in Ihrer Beschreibung, aber sonst alles gut. Sie haben ,riffle‘ statt ,rifle‘ geschrieben und ,orsome‘ statt ,awesome‘. Viel Glück mit der Auktion. Sieht nach einem schönen Gewehr aus.“
Das Feedback war gemischt. Die Beschimpfungen, die Bridges sich einhandelte, waren nicht ohne, und auch nicht ohne Fehler. Seine private Erhebung ergab schließlich ein erschreckendes Bild: Die Worte, an denen fast die Hälfte der Kiwis bei TradeMe orthografisch scheiterte – wie „definately“ statt „definitely“ oder „recieve“ statt „receive“ – bekommen in den USA, England und selbst im angeblich so barbarisch unkultivierten Australien über 80 Prozent der Online-Anbieter problemlos hin.
Am Ende startete der Rechtschreibnazi seine eigene Auktion. Er bot ein fast unbenutztes Apostroph an (schwarz, 12 Punkt, Times New Roman). Es ging für hundert Dollar an einen Joe aus Whakatane. Vielleicht liebt auch der ein paar Brüste, die mit einem falschen Apostroph mehr erst richtig zu Ehren kommen.
Die Wahrheit auf taz.de
Leser*innenkommentare
Whoop
Gast
Interessant, dass die Marke Squizzeed zumindest Freund und Helfer Google nicht bekannt ist. Saugt sich unsere Sprachpolizistin hier Anekdoten aus den Fingern?
C-Schmidt
Gast
@bammel: Das Wort "Nazi" wird heute umgangssprachlich für Menschen oder Institutionen verwendet, die besonders verbissen, rechthaberisch, elitär und/oder rücksichtslos, ausbeutend aggieren, bzw. auftreten. Nettes Beispiel: So wird inzwischen auch die Firma Apple aufgrund ihrer Firmenpolitik, Gier und Pantentkriegen von vielen so bezeichnet. Also, alles ist guuuuut.... ;-)
emil
Gast
sehr schön!
bleibt nur zu hoffen, dass die orthographischen schwächen lediglich der belustigung dienen sollen und die dahinter stehenden menschen in der echten welt in der lage sind, korrekt zu formulieren :)
Florian G.
Gast
Schade. Ich dachte, hier ginge es nun gleich um die hiesige Sprache und die größtenteils dermaßen schlechte Rechtschreibung, die man im Netz so vorgesetzt bekommt und die außerhalb selbigem sicherlich nicht viel besser sein dürfte.
Ich bin nun seit vielen Jahren im Netz aktiv und nahm an tausenden Diskussionen in Boards, etc. teil. Das, was man dort zu sehen bekommt, lässt mich regelmäßig aus der Haut fahren und es lässt meiner Ansicht nach tief blicken. Es ist wirklich abartig, wie eklatant schlecht die Resultate sind, die man zu sehen bekommt. Damit hätte man einen problemlos zehnmal so langen Artikel füllen können, anstatt sich an den paar Sachen da aufzuhängen, die sicherlich für sich genommen ebenso traurig sind.
Keinesfalls würde ich mich diesbezüglich als fehlerfrei bezeichnen, aber es liegen wirklich Welten zwischen dem durchschnittlichen Schreiberling und dem, was sein sollte, bzw. meiner Rechtschreibung.
Und ja, "Ortografie" ist pfui.
Zu Chribo noch kurz: Rechtschreibnazi ist meines Wissens schon lange ein geflügeltes Wort und durchaus verbreitet.
Wintermute
Gast
@bammel: Auch wenn die taz das Wort inflationär gebraucht, muß ich sie hier in Schutz nehmen. Rechtschreib- bzw. Grammatiknazi stammt aus dem englischen Sprachraum. Besonders Amerikaner bezeichnen Leute, die andere wegen Regel X rüde zurechtweisen, gern als Nazi. Daher auch feminazi, admin/network nazi etc. Auf urbandictionary.com finden sich etliche Beispiele.
Zum Artikel: Daß man als ambitionierter Fremdsprachenerlerner die Gramatik und Orthographie besser beherrscht als der Großteil der Einwohner des Landes, ist so neu jetzt auch wieder nicht. Kein englischer Muttersprachler, der Deutsch lernt, käme auf die Idee, „Standart“, „nähmlich“ oder „hälst“ zu schreiben – alles beliebte Fehler und zuhauf in deutschen Foren anzutreffen. Die Pendants der englischen you(')re, it(')s und should of/'ve quasi, die in einer Übermacht die Kommentarfelder von YouTube pflastern.
Walli
Gast
Als Deutsche die englischen Muttersprachler wegen ihrer Ortographie-Fehler zu tadeln, lässt zwar auf ein kerngesundes Selbstbewusstsein und überragende Englisch-Kenntnisse der Autorin schließen, dürfte aber wohl nicht immer und überall in der neuen Heimat auf pures Wohlgefallen stoßen. "Orthografie" würde ich persönlich auch eher mit "ph" schreiben (ich hatte Latein und Griechisch in der Schule), aber die mittlerweile wohl auch schon etwas in der Midlife-Crisis befindliche neue deutsche Rechtschreibung hat laut Duden nix (nichts) dagegen einzuwenden.
bammel
Gast
könnt ihr nicht mal etwas sparsamer mit dem begriff "nazi" umgehen? die taz ist so fixiert auf dieses wort, es ist ja nicht zu ertragen.
Chribo
Gast
... außerdem dürfte der Anbieter wohl einen Apostroph verkauft haben ...
Kiwi
Gast
Jemand, der "ortographisches" lieber "orthografisches" schreibt, der sollte sich nicht über deutsche Rechtschreibung aufregen. Es ist mittlerweile zwar erlaubt, aber immer noch nicht schön anzusehen!