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DIE WAHRHEITHandtasche mit Fischgeruch

Ralf Sotscheck
Kolumne
von Ralf Sotscheck

Neulich im Kaufhaus Marks and Spencer in London: Eine junge Frau ruft in der Handtaschenabteilung: „Igitt! Hier stinkt’s nach Fisch!“

N eulich im Kaufhaus Marks and Spencer in London: Eine junge Frau ruft in der Handtaschenabteilung: „Igitt! Hier stinkt’s nach Fisch!“ Ihr Freund, offenbar ein Medizinstudent, will sie beeindrucken und doziert: „Manche Menschen leiden unter Trimethylaminuria, dem Fischgeruchsyndrom. Das tritt auf, wenn der Körper zu wenig des Enzyms Flavin produziert. Dann riechen Schweiß und Atem nach Fisch.“ Quatsch, gibt die unbeeindruckte Freundin zurück, der Gestank komme aus der Handtasche.

Nun schaltet sich die Verkäuferin ein und hält eine silberfarbene Tasche für 25 Pfund hoch. Die Tasche sei äußerst beliebt, sagt sie, aber einige Kundinnen haben sie wegen des Geruchs zurückgegeben. Tatsächlich riecht die Tasche, als ob sie zum Transport geräucherter Makrelen benutzt worden sei. Auf der Webseite von Marks and Spencer wird das Problem seit Wochen diskutiert.

Eine Käuferin hat ihrer Mutter die Tasche zum Geburtstag geschenkt, aber der ist es peinlich, sie zu benutzen: „Sie hat die Tasche tagelang zum Lüften auf die Wäscheleine gehängt, sie hat Parfüm in die Tasche gekippt – nichts hat funktioniert.“ Eine andere Kundin hat die Tasche jede Nacht in einen Baum gehängt, aber dann weggeschmissen, weil die Kolleginnen im Büro vermuteten, ihr neuer Freund arbeite in einem Fischgeschäft.

Es gab auch einige mehr oder weniger hilfreiche Tipps. Eine Frau empfahl, die Tasche vorübergehend mit Wodka zu füllen und dann austrocknen zu lassen. Ein törichter Vorschlag: Der Preis für die Tasche würde sich dadurch verdreifachen, und die Besitzerin würde wie eine versoffene Hafenhure riechen. Besser wäre es, ein paar Pommes frittes mit Essig in die Tasche zu geben, denn dann würde sie wie das englische Nationalgericht riechen, und das ist für englische Nasen ein angenehmer Duft.

Den Geruch von rohem, nacktem Fisch ohne Teigmantel mag der Engländer hingegen nicht. Ein David Copp, der in Ilfracombe, einem Fischerort in der südwestenglischen Grafschaft Devon, Urlaub machte, beschwerte sich beim Fremdenverkehrsamt über den Fischgestank und den Anblick von zwölf Kisten mit toten Fischen und Krabben im Hafen. „Das will man im Urlaub doch nicht sehen“, meinte er. „Meine Kinder waren geschockt.“ Vielleicht sollte er das nächste Mal auf italienischen Spaghettiplantagen Ferien machen, die sind geruchsneutral.

Seit kurzem können auch die Französinnen wieder fischige Handtaschen kaufen: Marks and Spencer hat eine Filiale in Paris eröffnet. Im Jahr 2001 hatte das Unternehmen sämtliche 18 Zweigstellen in Frankreich geschlossen, um sich auf den britischen Markt zu konzentrieren, was einen dramatischen Umsatzeinbruch zur Folge hatte. Die Franzosen reagierten damals mit Sit-ins und einem Kondolenzbuch für die 1.700 Angestellten, blieben aber friedlich.

1985 dagegen war eine Pariser Filiale von Marks and Spencer in die Luft geflogen, es gab einen Toten und 14 Verletzte. Der Anschlag wurde der Hisbollah zugeschrieben. Möglicherweise war aber nur ein fauliger Fisch in einer Handtasche explodiert.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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