piwik no script img

DIE WAHRHEITBuchstäbliche Eigentore

Minenfelder der Sprache: Wortwörtlich im wahrsten Sinne des Wortes.

Nicht nur Gemäldegalerien, auch die Sprache steckt buchstäblich voller Bilder. Dumm nur, dass sie mit der Zeit im wahrsten Sinne des Wortes verblassen! Um sie wortwörtlich im alten Glanz erstrahlen zu lassen, gibt es jedoch einige Mittel. Am gebräuchlichsten sind die untauglichen.

Um mit einer sprichwörtlich ollen Kamelle anzufangen: Die Meinung, bei einem bevorstehenden sportlichen Wettbewerb gebe es keinen Favoriten, drückte die Zeit einmal so aus: „Der Fußball-Weltmeister 1986 wird buchstäblich vom Himmel fallen.“

Zum Glück für Argentiniens Balltreter wurde der Weltmeister 1986 aber doch auf dem Rasen ermittelt. Auch der „Miss Yokohama 2010“ dürfte es erspart worden sein, zermatscht auf dem Boden der Tatsachen zu landen, obwohl es auf YouTube hieß: „Veronika Miranda fiel buchstäblich aus allen Wolken, als sie zur Gewinnerin erkoren wurde.“

Die Kasseler Sonntagszeitung wiederum berichtete einst von einer Ausstellung mittelalterlicher Folterwerkzeuge: „Achtzig der über 300 Exponate zählenden Sammlung spannen den Besucher im wahrsten Sinne des Wortes auf die Folter“ – das in einem modernen Rechtsstaat! Die taz hingegen wusste von einem Berliner Wissenschaftler, den ein Misserfolg nicht nur seelisch belastete: „Professor Knirsch ist im wahrsten Sinne des Wortes zerknirscht.“ Hatte er die Folterausstellung besucht?

„Buchstäblich“ bedeutet laut Duden „genau nach dem Wortlaut“. Doch damit ist es „buchstäblich“ Pustekuchen, wird in den angeführten Beispielen doch gerade der bildliche Gehalt betont und eine abgenutzte Metapher, die kaum einer noch wahrnimmt, aufpoliert – und im richtigen Gefühl, einer Phrase ausweichen zu müssen, ungewollt komischer Unsinn produziert.

Vor allem in der hektischen, mehr von Leidenschaft als von Überlegung durchwalteten Welt des Sports schießen Journalisten und Fans des Öfteren „im wahrsten Sinne des Wortes“ ein Eigentor. So behauptete das ZDF bei einem Uefa-Pokalspiel zwischen dem FC Porto und Celtic Glasgow glatt: „Capuchi wird ausgewechselt – er hat sich im wahrsten Sinne des Wortes aufgerieben.“

Und ein nostalgisch gestimmter Anhänger von Rot-Weiss Essen erinnert sich in einem Buch über seinen einst in der Bundesliga spielenden Verein: „Wir Fans brannten für diesen Verein im wahrsten Sinne des Wortes“ – obwohl es damals noch gar keine Pyrotechnik gab. Dafür gibt es heute den Deutschlehrer Bastian Sick. Doch auch ihm geht es „buchstäblich“ in die Hose.

Im Vorwort seines Buches „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“, das die Beiträge seiner „Spiegel Online“-Kolumne „Zwiebelfisch“ versammelte, schrieb er über diese Namensgebung, der „Zwiebelfisch“ bezeichne in der Zeitungs- und Druckersprache einen versehentlich in einer falschen Schriftart gesetzten Buchstaben innerhalb eines Wortes: „Und da diese Kolumne es sich zur Aufgabe gemacht hat, ’falsch gesetzte‘ Wörter in deutschen Texten aufzuspießen, also ’Zwiebelfische‘ im übertragenen Sinn, schwamm ihr der Name buchstäblich zu.“

Das war dann „buchstäblich“ ein Griff ins Klo, mit dem dieser Deutschmeister den Zwiebelfisch „sprichwörtlich“ an Land zog. „In der eigentlichen Bedeutung des Wortes“ springen diese Unstimmigkeiten den Wenigsten ins Auge, eher schon in der übertragenen. Aber selbst wer spürt, dass sich in diesem sprachlichen Minenfeld „im Wortsinn“ Hürden auftun, ist längst nicht auf der sicheren Seite.

Ein noch größeres Kunststück als Sick gelang nämlich dem Bayerischen Fernsehen, das über ein Brüxer Kohlebergwerk vermeldete: „Mit dieser Kohle lässt sich nicht nur sprichwörtlich viel Kohle verdienen“ – sondern sogar echte Kohle, womit das Perpetuum mobile erfunden wäre! Das Meisterstück lieferte der Sportjournalist Thomas Feltes, der in einem Aufsatz über „Ultras und Fanbeauftragte“ Schlimmes berichtete; „Insgesamt sehen sich die Fanbeauftragten in einer ’Sandwichposition‘ [zwischen Vereinsführung und Ultragruppen], in der sie auch häufiger real und nicht nur psychologisch ge- und zerdrückt werden.“

Selbst wer merkt, dass er sich gewissermaßen auf dem Glatteis befindet, gelangt also bildlich gesprochen nicht unbedingt ans sichere Ufer. Wer es aber nicht merkt, landet sowieso gleichsam im Abseits – und manchmal im Wunderland des Nonsens. Um mit einer sozusagen ollen Kamelle auch zu schließen, sei die Frankfurter Rundschau zitiert, die sich einst über Helmut Kohls Sommerurlaub in Österreich und seine damit verbundene Fastenkur vertippte: „Der Diät-Plan ist im wahrsten Sinne des Wortes manger.“ Und nicht etwa im wahrsten Sinne des Wortes dinck!

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!