piwik no script img

DIE UNMORAL DER GEGENSTÄNDE

■ Eine Retrospektive des Werks des franko-amerikanischen Stromlinien-Designers Raymond Loewy in der Akademie der Künste (West)

Dieser Designer arbeitete wie der Maskenbildner eines alternden Hollywood-Stars: die Karriere des franko -amerikanischen Monjou-Bartträgers Raymond Loewy begann 1929 damit, daß er auf einem New Yorker Dachboden einige Pfund Lehm an eine altertümliche Vervielfältigungsmaschine der Firma Gestetner hinklatschte. Der amerikanische Traum: Schönheitsoperation und Redesign. Die „Gute Form“, die „Funktion, die die Form bestimmt“, die „Vereinigung von Architektur, Industrie und Künste zur Philosophie des mechanischen Paradieses“, die „Moral der Gegenstände“ gar dieses ganze altweltliche und neosakrale Über-Bau-Haus noch über dem letzten Bleistiftspitzer demontierte der 1919 26jährig von Frankreich nach New York ausgewanderte parfümierte Selfmademan Raymond Loewy, indem er eben jenem Trivialwerkzeug 1933 - mitten in der allgemeinen wirtschaftlichen Depression - die Stromlinienform verpaßte wenn schon kein Sportwagen vor dem Haus, dann wenigstens ein schneller Spitzer auf dem Angestelltenpult. Mit der Stromlinie voran zum Besseren, auf allen Ebenen der Materie.

Der Titel der Anfang der 50er Jahre erschienenen Bestseller -Autobiographie und Designer-Bibel des Prestige-Predigers Loewy war auch gleichzeitig sein Konsum-Credo: Häßlichkeit verkauft sich schlecht - ein schöner Freifahrtschein für die Huldigung des reinen Äußerlichen. Logisch daß vor IHM all Ding gleich war: zwischen 1929 und 1974 (er verstarb 1986) stylte Loewy ein ganzes gegenständliches Universum mit Modeplakat, Mondrakete und Moskwitsch, mit Traktor, Thermoskanne, Tender-Lok, Taschenrasierer und Tankstelle, mit Flugzeug, Fanta-Flasche, Firmenschild, Futur-Auto, Fertigbüro und Fährschiff. „He streamlines the sales curve“, titelte 1949 das 'Time-Magazine‘ - aus der schlechtverkaufbaren materiellen Häßlichkeit wurde schließlich die immaterielle und ideelle Schönheit des guten Verkaufs selbst.

Dies und noch viel mehr (nämlich Entwürfe der ebenfalls um die Jahrhundertwende geborenen Zeitgenossen Norman Bel Geddes, Henry Dreyfuss und Walter Dorwin Teague aus den 30er und 40er Jahren) zeigt das Berliner Internationale Design Zentrum derzeit auf nierenförmigen Plastikteppichen in einer schön arrangierten und gestalteten ersten umfassenden Retrospektive, zur Zeit in der Akademie der Künste (West), später dann in Paris, Amsterdam und London. Unter schwungvoll beschreibschrifteten Wimpelschildchen sind die Sektionen aufgeteilt: „Loewy privat“, „Loewy und Partner“, „Modezeichnungen“, „Gestetner“, „Pencil Sharpener“, „Sears, Roebuck & Co“, „Frigidaire“, „Pennsylvania Railroad“, „Weitere Entwürfe der dreißiger Jahre“, „Zeitgenossen“, „Mode für die Zukunft“, „New York World's Fair“, „International Harvester“, „Coca-Cola“, „Lucky Strike“, „Weitere Entwürfe der vierziger Jahre“, „Kameras“, Rasierapparate“, „Greyhound“, „Automobile“, „Tankstellen“, „Verschiedene Entwürfe der fünfziger Jahre“, „Rosenthal“, „Weitere Entwürfe der sechziger und siebziger Jahre“, „NASA“, „Flugzeuge“, „Packungen“ und „Futuristik“ insgesamt über 300 Exponate.

Zu sehen sind damit all die aus Film, Funk und Fernsehen ebenso bekannten wie beliebten und schon immer für das Amerika schlechthin stehenden Sachen, das ganze warenwertvolle Selbstdarstellungsprogramm der Schönen Neuen Welt: „Industrial Design macht den Menschen glücklich, den Produzenten wohlhabend und hält den Designer beschäftigt.“ Jedes Ding ein Glücksbringer und Talismann, materialisierte Einbildungen und Träume, die Vorbilder derer, die später als Pop-Artisten ihrerseits die Ikonen der Konsumkultur zu Ikonen des KunstKommerzes nachbildeten. Wodurch sich das Nieder-Design dann posthum doch wieder sich mit der Hoch -Kunst vereinigte, denn was wäre Warhol ohne Loewy gewesen? Wie eine unvordesignte Dose verkünsteln?

Doch irgendwie wirken die Werke des „erfolgreichsten Formgestalters unserer Zeit“, wie der eitle Loewy sich selbst bezeichnete, auch merkwürdig verloren, so unter Glas oder hinter Kordeln. Unwirklich blitzt das „Starliner Coupe“ von Studebaker, mit dem 1953 ein neuer Stil im amerikanischen Autodesign begann, und in dem glückliche Paare für immer zum optimistischen Lächeln verurteilt waren. Zum Anfassen rundgeformt und zum Zurückweichen glattgeschliffen. Oder der kleine Lucky Strike Schrein: 1942 hatte Loewy die Packung redesignt. Jetzt liegen ursprüngliche und verschönte Packung in Plexiglas gegossen im Schneewittchen-Sarg, und zum Pressebesichtigungstermin hatte sich die ausstellungssponsernde Zigarettenfirma BAT nicht entblödet, ein erbärmliches Humphrey-Bogart-Double davor zu stellen. (Abgesehen davon, daß BAT als Sponsor erstmals selbst einlud und eigene Werbung für den „Gestalter zahlreicher Markenartikel“, mit Betonung eben auf „Marke“, machte - ein inhaltliches Eingreifen in ein kulturelles Projekt, das meines Wissens bisher in der Bundesrepublik in dieser unverhüllten Frechheit nicht üblich war.) Und dann noch die „Knorr„-Suppentüten, die „Persil„-Packung, die „Shell„- und „Exxon„-Logos - die Ausstellung ist ein einziger Wiedererkennungs-Parcours. Und dennoch: Diese Gegenstände sind viel zu vertraut. Indem sie zusammen ein komplexes System der möglichst glückhaften Alltagsbewältigung zur Verfügung stellen, ein weitschweifiges Weltweichbild zeigen, verliert sich retrospektiv das Einzelteil als Rädchen in der riesigen Wunschmaschine. Und solange diese Wunschmaschine bestimmungsgemäß läuft und läuft und läuft, also solange wie die Welt nicht untergeht, soll sie niemand in ihre Bestandteile profanisieren und das Ende des Zaubers riskieren!

Gabriele Riedle

„Raymond Loewy . Pionier des amerikanischen Industrie -Design“ bis 22. April in der Akademie der Künste (West). Katalog 48 DM.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen